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Oberhausen Lirich, 20. April

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Der Rhein-Herne-Kanal und ein Schienenstrang zerteilen den Stadtteil Lirich. Zwischen Kanal und Schiene liegt ein schmaler Streifen, der seit je her ausschließlich industriell und gewerblich genutzt wurde. Entsprechend war die Beschaffenheit der Gebäude. Sie entstanden im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Damals ging es darum, Gebäude schnell und kostengünstig zu erstellen. Alles wurde dabei den unternehmerischen Aspekten untergeordnet. Das psychische Empfinden der Arbeiter spielte keine Rolle. Kostengünstig bedeutete, ein Stahlgerüstbau sorgte für die Stabilität. Die Felder zwischen den Stahlträgern wurden mit Ziegelsteinen ausgemauert, ganz so wie die Holzkonstruktionen des Hausbaus im Mittelalter. Die große Nachfrage nach Ziegeln führte über die Handformerei zu einer Mechanisierung der Herstellung. Diese Massenproduktion machte den einzelnen Stein unsagbar preisgünstig. Kein Wunder also, dass alle Industriegebäude deshalb so gleichartig aussahen. An Wärmedämmung, Lichteinfall wurde damals nicht gedacht. Als solche Forderungen den Arbeitsablauf bestimmten, wurden die Gebäude aufgegeben. Platz gab es ja genug, um modernere Hallen an anderen Stellen des Ruhrgebietes errichten zu können. Wenn diese ungenutzten Gebäude nicht verfielen, dann lag das daran, sie wurden einer anderen Nutzung zugeführt. Handwerker, Künstler, Nischenbetriebe sickerten hier ein und erfüllten den toten Industrieraum mit anderem Leben.

In eines dieser Gebäude waren die Satan Sons gezogen. Die Satan waren eine Gruppe von Motorradfreunden. Freunde waren sie aber nur untereinander. Es gab andere, rivalisierende Motorradgruppen neben der ihren. Dies waren die erklärten Feinde, die ihre Familie zusammenschweißte. Weil die ein oder andere Maschine früher von der Konkurrenz ab und zu in Brand gesteckt worden war, bevorzugten die Satan Sons, ihre Motorräder mit in ihr Clubhaus zu nehmen. Die alte Industriehalle, war dazu bestens geeignet. Hier störte das hochtourige Geräusch von Zweirädern ebenso wenig wie laute Musik, mit der sie ihre Köpfe vollzudröhnen gewillt waren. Auch der Geruch von Benzin und Schmierstoffen war ein Parfüm für die Freunde des Motorsports. Aber auch das ungestörte Feiern war hier möglich. Hier gab es keine Nachbarn, die bei einer Rauferei sofort die Polizei riefen.

Wer den armseligen Eindruck der Außenfassade mit in das Innere des Komplexes nahm, der wurde überrascht. Die noble Ausstattung war augenfällig. Es gab einen Arbeits- und einen Wohntrakt. Im Arbeitsbereich gab es einen großzügig angelegten Parkplatz für die Zweiräder. In der gegenüberliegenden Ecke dieses Hallenteils erregten Werkbänke und Werkzeuggalerien die Anerkennung jeden Motorradfreaks. Hier konnte man nach Lust und Laune an seinem Gefährt herumschrauben, reparieren oder tunen. Oben an der Wand waren mit mannshohen, goldumrandeten schwarzen Buchstaben die Lettern >SFFS< befestigt. Nur die Eingeweihten der Szene wussten, diese vier Buchstaben dienten allein der Verehrung ihrer Gruppe. Aus dem Englischen übersetzt könnte man dies >Es leben die Satan Sons< deuten.

Von einer dicken Mauer getrennt lag der Wohnkomplex. Der Wohntrakt war eingerichtet wie ein Mehrsternehotel. In dem riesigen Versammlungsraum standen einer Vielzahl von unterschiedlichen Ledergarnituren. Eine bestimmte Stilrichtung gab es nicht. Dazwischen standen einzelne Ledersitze. In einigen davon konnten durchaus zwei Personen Platz finden. Eine Bar, mit schummrigen Licht erhellt, bot eine Galerie von hochprozentigen Getränken, nebst einer Zapfanlage für verschiedene Biersorten. Ebenfalls durch eine Wand verdeckt lag eine voll eingerichtete Küche, die jeder Großküche Konkurrenz bieten konnte. Auf der nachträglich eingebauten zweiten Ebene gab es eine Reihe von Zimmern, die jedem zur Verfügung standen. Zum Schlafen oder sonst wie, je nach Bedarf. Anwärter auf den begehrten Mitgliederstatus oder die Schnallen, wie die Frauen der Mitglieder genannt wurden, sorgten für Sauberkeit oder sorgten für Essen und Trinken.

Der Mann mit der Lederhose flegelte sich auf dem Sofa. Seine Motorradstiefel lagen auf dem Polster, ohne Rücksicht auf die Sauberkeit des Leders zu achten. Auf einen Beistelltisch stand eine geöffnete Flasche Bier, die ab und zu den Durst des Mannes stillte. Seine Augen waren geschlossen. Er hatte Kopfschmerzen. Er hatte gestern, beziehungsweise heute Morgen noch, zu viel getrunken. Scheiße, warum konnte er nicht die Finger vom Alkohol lassen, wenn er genug gesoffen hatte?

„Hey, Spagetti, bist du wach?“ Die Stimme gehörte dem Road Captain der Satan.

Spagetti öffnete die Augen. „Bohäh, Chaos, du nervst. Siehst du nicht, ich denke angestrengt nach?“

„Ach so. Du überlegst, wie du die Mama in die Federn kriegst? Habe ich nicht Recht?“ Ein fettes Grinsen beherrschte die Gesichtszüge des Road Captains.

Silvio „Spagetti“ Laufgen winkte ab. „Geh´ mir nicht auf die Eier. Was willst du?“

Chaos zog einen Sessel heran und setzte sich. Er fuhr durch seine langen, blonden Haare, bündelte sie mit seinen Fingern und warf sie über den Kragen seiner Kutte. „Na, mal im Ernst. Sollten wir nicht mal wieder eine Church abhalten?“ Church bedeutete dabei soviel wie Versammlung.

Spagetti richtete sich auf. Sein längstüberstandenes Aknegesicht zog sich zusammen. „Ist die Familie nicht vor kurzem schon zusammengekommen?“

Frank Rüsting, den alle nur als Chaos kannten, kratzte sich an seinen langen Kotletten. Dabei gewannen die Buchstaben T, O und D, die zwischen den Handknochen tätowiert waren, ein scheinbares Eigenleben. „Mag sein, aber wir habeen einiges zu schultern. Wir haben drei Anwärter. Sollen wir die nicht zu Mitgliedern machen? Dann müssen Kutten her und eine Kuttentaufe sowieso.“ Rüsting nannte seinem Boss die drei Namen.

Dieser ließ seinen Blick über die eigene Kutte gleiten. Seine Hände bewegten sich andächtig über die Vorderseite der ärmellosen Jacke. „So eine Kuttentaufe ist immer was Schönes. Ich weiß noch, wie es bei mir war. Muss so vor fast 25 Jahren her sein. Um mir diese zu verdienen, musste ich mit einem Bike auf der Brust drei Liter Bier saufen.“ In seinen Augen trat ein melancholischer Ausdruck. Wieder glitten die Handflächen über das Leder. „Nie wieder würde ich die abgeben. Eher müsste man mich abstechen, wenn ich es nicht vorher schon mit ihm gemacht habe.“ Hämisch blickte er seinen Road Captain an. „Kannst du mir glauben.“ Er tippte auf das Abzeichen, welches in Höhe der rechten Brust auf die Kutte genäht war. >Dequiallo< stand dort mit großen Buchstaben. „Weißt du noch? Habe ich dafür bekommen, als ich den drei Schweinen eine Freifahrt in das OP des nächsten Krankenhauses besorgt habe. Wollten mir die Wichser doch meine Kutte abnehmen. Zwei von denen tragen heute einen Bart, damit sie die Narben von mir nicht jedes Mal anschauen müssen, wenn sie in den Spiegel schauen. Die dritte Sau wäre sogar bald draufgegangen. Schade, aber sie hat überlebt!“ Die Vertiefungen seiner narbigen Haut nahmen eine dunklere Farbe an.

Rüsting winkte mit der rechten Hand ab. „Beruhige dich Spagetti. Ich kenne die Geschichte. Hab´ sie schon mehrfach gehört.“

Laufgen sank zurück in die Lederpolster seines Sofas. „Ich höre sie immer nur gerne wieder. Eine Church ist nicht schlecht. Wir müssen auch dringend besprechen, ´ne Wohltätigkeitsfahrt zu organisieren. Kannst dir ja inzwischen mal Gedanken darüber machen.“ Er kratzte sich an der Oberlippe, die einzige Stelle in seinem Gesicht, wo keine Haare wuchsen. „Du hast doch von der toten Nutte in Rheinhausen gehört. Die gehörte bestimmt den Sculls. Möchte jedenfalls darauf wetten. Die Presse hat mir darüber zu ausführlich berichtet. Schadet dem Geschäft. Wir müssen dringend was unternehmen. Eine Wohltätigkeitsfahrt wäre da eine Möglichkeit. Oder?“ Laufgen machte aber mit Stimme und Gesten deutlich, hier gab es keine Entscheidung von anderen, nur seine eigene.

Der Road Captain der Satan Sons nickte bedächtig mit dem Kopf. Ab und zu wurde eine solche Fahrt durchgeführt, um Unbeteiligte durch Geschenke für sich einzunehmen. „Wäre nicht schlecht. Wie laufen denn die Geschäfte im roten Bezirk, President?“

Laufgen richtete sich in den Polstern auf. „Wir sollten zufrieden sein. Noch garantieren sie uns allen den Lebensstandard, den wir haben. Auch im weißen Bezirk läuft alles rund.“

„Ich weiß“, murmelte Rüsting. "Die Leute werden nie die Finger von den Drogen lassen.“ Er erhob sich.

Laufgen schüttete den letzten Inhalt seiner Bierflasche in seinen Mund. Während er sich in die Poster räkelte, rülpste er langanhaltend und legte seine Hände auf den Kugelbauch. „Jungs, da wir gerade vom Geschäft reden. Ich brauche jemanden, der morgen wieder ein Paket vom Flughafen holt. Vogel, kannst du das übernehmen?“

Das vorbeigehende Muskelpaket blieb abrupt stehen. Es war aber keine Frage, sondern eine Anweisung. Auch Diederich „Vogel“ Drosse hatte das so verstanden. „Wie viel muss ich diesmal bereitstellen?“

„Wir kriegen das Normalpaket für 150.000 Euro. Wirklich ein Schnäppchen.“

Drosse fuhr mit seiner Hand über den rasierten Schädel. Er bewegte seinen Kopf leicht hin und her. Dadurch folgte der Haarzopf am Hinterkopf schlangengleich den Bewegungen. „Hey, ist ein bisschen spät.“

Der President schnellte aus den Polstern hoch und trat nach den Hosenbeinen seines Schatzmeisters, dessen Reaktion zu spät erfolgte. So taumelte er einige Schritte zurück. „Bist du bescheuert, Vogel? Willst du den Deal platzen lassen, oder was?“

Vogel rieb sich das Bein, dann hob er abwehrend seine Hände. „Ruhig Spagetti, ruhig.“ Ich glaube, soviel haben wir gerade noch. Sonst besorg ich was kurzfristig.“

Laufgen lehnte sich wieder zurück. „Mach´ Dampf, Mann. Sonst quetsch´ ich dir die Eier. Dann sehen sie so aus, wie mein Gesicht. - Ach so, noch was. Unsere Freunde aus dem Libanon brauchen wieder `ne Ladung Waffen. Jonny!“ Er winkte eine Bohnenstange heran, die sich eilfertig näherte. „Jonny kannst du die Palette mit auf den Wagen packen, der übermorgen in den Freihafen fährt?“

„Wie üblich?“ Jonny Töbela schmierte seinen Kaugummi mit einem Schluck Bier. Dabei zuckte er wie immer leicht mit seinem Kopf.

Laufgen nickte. „Übrigens, Vogel. Die Sache bringt 620.000 Euro in unsere Kriegskasse. Du bekommst das Geld, wenn du beim Verladen dabei bist. Und nun genug von der Arbeit. Chaos, kannst du mir nicht eine Kopfschmerztablette holen?“ Laufgen zeigte dabei auf die leere Flasche Bier.

Der Flug des Fasans

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