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Duisburg Meiderich, 21. April

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Die Sporthalle war ziemlich leer. Auf dem Parkett bewegten sich eine Gruppe Kinder. Nahe des Eingangs saßen einige Mütter auf Turnbänken, Stoffbeutel oder Plastiktüten zwischen ihren Beinen und unterhielten sich. Die fetzige Musik aus der transportablen Musikanlage wurde unterbrochen. Die Kinder blieben nach ein paar Bewegungen orientierungslos stehen. Die Leiterin der Tanzgruppe >Beyond Rhythm< erklärte den Ballettratten, was diese falsch getanzt hatten. Dabei führte sie die Bewegungen vor, wie sie diese wünschte. Mehrmals wiederholte sie die Schrittfolge. Dann hatten die Kleinen diese Schritte trocken – also ohne Musik – zu wiederholen. Die Musik setzte wieder ein. Wieder stoppte sie. Die Reihenfolge von Vormachen, üben und Nachmachen wiederholte sich. Erst beim dritten Versuch zeigte sich die Übungsleiterin zufrieden.

AnnaLena Knoop war schon eine geraume Zeit in dem Tanzclub aktiv. Sie liebte es, sich durch Bewegung auszudrücken. Und das alles in Begleitung von Musik. Das war ihre Welt. Sie musste bei den Übungsleiterinnen Eindruck hinterlassen haben, denn vor kurzem war sie gefragt worden, ob sie in dieser Formation wettkampfmäßig mittanzen wollte. Sie wollte, denn dies bedeutete doch für sie einen tänzerischen Aufstieg. Die anderen Mitglieder der Formation BR, wie die Balletteusen sich selbst abkürzten, nahmen schon des längeren an Wettkämpfen teil. AnnaLena war gewillt, diese neue Herausforderung anzunehmen. Nun ja, das wöchentliche Tanzen, welches sie bislang absolviert hatte, befriedigte sie schon lange nicht mehr. Und als Frau Melcheor, die Leiterin der Beyond Rhythm, sie gefragt hatte, hatte sie zugestimmt. Zugestimmt, ohne Rücksprache mit ihren Eltern zu nehmen. Diese beugten sich dem Wunsch ihrer Tochter zunächst widerstrebend, weil dieses bedeutete, neben den Übungsterminen noch Turniertermine wahrnehmen zu müssen. In der Regel war diese Aufgabe meistens Christel Knoop zugefallen, aber heute hatte sie einen Friseurtermin. Mikael, der gerade Freizeit hatte, erklärte sich gerne bereit, hier einzuspringen. Er begleitete seine Tochter gerne zum Tanztraining, wenn seine Zeit dies erlaubte. Heute war es wieder so weit. Er selbst betrieb gerne Sport. Er war der Meinung, die Sportart sei egal, die man betrieb. Wichtig war nur die körperliche Bewegung und diese musste Spaß machen. Wenn seine Tochter Spaß am Tanzen hatte, dann war es seine Pflicht, dies zu unterstützen und zu fördern.

Die Musik hatte wieder eingesetzt und macht jede Unterhaltung der zuschauenden Elternteile unmöglich. Knoop störte so etwas nicht, denn die anderen Zuschauer waren alles Mütter. Er kannte zwar alle Frauen, aber er legte keinen gesteigerten Wert darauf, sich den dauernden Gesprächen anzuschließen. Meist ging es um Kindererziehung, Abnehmen und um Mode. Diese Themen interessierten ihn recht wenig. Die Mütter schienen das akzeptiert zu haben, ja er hatte manchmal den Eindruck, so als störte er den weiblichen Gedankenaustausch. So saß er meist abseits, genoss die teilweise noch linkischen Bewegungen von AnnaLena und glaubte zu erkennen, wie diese langsam geschmeidiger wurden. Eigentlich hatte er von dieser Sportart keine Ahnung. So hielt er mit seinen Eindrücken hinter dem Berg. Stattdessen nutzte er die Zeit, seine Gedanken wandern zu lassen. Heute hatte er eine gehobene Stimmung. Er hatte Irene Gottschlag der fahrlässigen Tötung überführen können. Als die Polizeibeamten sie gewaltsam vom Fernseher wegschleppen mussten und sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Folge nicht mehr zu Ende sehen konnte, war sie zusammengebrochen. Sie leugnete nichts und bat nur noch darum, eine Wiederholung dieser Folge sehen zu dürfen. Sein Bericht war schnell geschrieben und was der Staatsanwalt daraus machte, interessierte ihn wenig.

Heute war eine neue Mutter dazu gekommen. Auf jeden Fall hatte er sie vorher hier nie gesehen. Sie hatte sich abseits auf eine der Bänke gesetzt. Aber neu zu sein war wohl nicht der eigentliche Grund ihrer Abschottung. Wenn man ihr Aussehen betrachtete, dann war klar, warum sie in die Gruppe der anderen Mütter nicht passte, vielleicht auch nicht passen wollte. Augenfällig waren die verschiedenen Piercings, mit denen sie ihre Haut an Mund, Backe, Augenbraue und Ohren hatte durchstechen lassen. Auch ihre Kleidung war nicht nach Maßstäben von Mode ausgerichtet, sondern auf Konfrontation getrimmt. Die sehr tief ausgeschnittene gelbe Bluse steckte in einem knallroten Top, welches nur die Brustpartie umspannte. Auch der lachsfarbene Minirock verdeckte kaum mehr als das Notdürftigste, wäre da nicht die blaue Strumpfhose gewesen. Die grünen Lederstiefel reichten bis zum Knie und waren high Heels gleich geschnitten. Um den Hals trug sie eine Vielzahl von Ketten, um die Gelenke eine Fülle von Armreifen unterschiedlichster Art. Auch die Finger dienten als Aufbewahrungsort für Ringe aller Formen. Die ausgefranste, durch Gel igelförmig gestylte Frisur war kaminrot gefärbt. Dabei hatte diese Frau durchaus ansprechende Gesichtszüge. Jedenfalls empfand Knoop dies so.

Die Übungsleiterin hatte gerade noch einmal den Ablauf der Tanznummer begonnen als es polterte und schepperte. Die Neue musste wohl ihre Einkaufstasche umgestoßen haben. Auf jeden Fall verstreute sich deren Inhalt weitflächig. Einige Orangen waren sogar auf die Tanzfläche gerollt und behinderten die Tanzübungen. Fahrig machte die Bunte, so hatte Knoop sie heimlich getauft, Versuche, den Inhalt einzusammeln. Keine der Mütter machte Anstalten zu helfen. Kurzentschlossen erhob sich Knoop und bückte sich nach den Orangen und Äpfeln. Den Arm voll, legte er alles in die hingehaltene Tasche. Mit einem schüchternen Lächeln wurde es ihm gedankt. Als er auch noch weitere Lebensmittel und Konservendosen herantrug, dankte sie ihm mit einer schwachen Stimme. Knoop fiel auf, diese Stimme stand im deutlichem Kontrast zu äußeren Erscheinung der Bunten. Als alle Teile wieder in der Tasche lagerten, dankte sie ihm erneut.

Er reichte ihr die Hand. „Keine Ursache. Ich heiße Mikael.“ Im Sport war es üblich, sich zu duzen.

Ihre braunen Augen verweilten eine Zeitlang auf seinem Gesicht. „Ich heiße Alekzandra.“ Dann setzte sie sich auf die Bank und schaute der Tanzgruppe zu, die noch einmal ihre Übung aufnahm. Knoop setzte sich wieder auf seinen alten Platz und beobachtete seine Tochter. War es elterliche Arroganz oder nüchterne Betrachtung. AnnaLenas Bewegungen schienen ihm flüssiger als vorher.

Die Übungsstunde war beendet. Wohltuend war die Stille, die nun eintrat für seine Ohren. AnnaLena stürmte auf ihren Vater zu, um zu erfahren, wie er das Erscheinungsbild ihrer neuen Tanznummer einschätzte. Vorsichtig sprach er ein Lob aus. Kaum hatte das Kind die ersten positiven Worte gehört, da war sie auch schon verschwunden. Eine Traube von Mädchenkörpern nahm sie auf. Nach und nach wurde die ein oder andere von ihren Müttern gerufen. Die Traube wurde immer kleiner. Knoop rief nun auch nach AnnaLena. Unwillig folgte sie seiner Anordnung. Ebenso unwillig zog sie ihren Anorak über das verschwitzte Trikot. Auf dem Weg zu seinem Wagen erblickte Knoop Alekzandra, die über den Parkplatz ging und mittels Sender einen Mercedes Cabrio öffnete. Knoop schenkte ihrer Begleitung keine Beachtung.

„Na. Da staunst du. Dies ist wirklich ein Junge. Der einzige übrigens in der Gruppe. Er ist seit heute bei den BR.“ AnnaLena musste ihre Bemerkung loswerden, ehe sie in den Wagen stieg.

Knoop schaute nun genauer hin. Schau an, die Bunte war Mutter eines Jungen.

Der Flug des Fasans

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