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6. PROUDHON, DER KONSERVATIVE SOZIALIST

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Der französische Fourierismus kam dank der Schriften und Ideen eines Mannes zum Erlöschen, der unglücklicherweise von Marx verdrängt wurde – von Pierre Joseph Proudhon. Wie Fourier in Besançon geboren, entstammte er den Unterschichten. Sein Vater arbeitete als Faßbinder in einer Bierbrauerei, er aber zuerst am Feld, hatte dann das Glück in einem (katholischen) collège aufgenommen zu werden, wo er Lateinisch, Griechisch und Hebräisch lernte. Er verlor aber bald seinen Glauben und wurde Sozialist. Doch auch in seinem Atheismus, der sich gegen Ende seines Lebens verflüchtigte, hatte er zum Unterschied von Marx eine echt humanistische, wenn nicht metaphysische Weltschau. Auch war er ein „Personalist“, ein „Distributist“ eher denn ein Kollektivist und stand auch der Demokratie äußerst kritisch gegenüber. Zwar fürchtete er die Riesenunternehmen, aber auch nicht weniger den zentralistischen Staat, und zwar beide als Feinde der Freiheit. Ein Konservativer wird in den Schriften Proudhons erstaunlich viel Rüstzeug für seine Ideologie finden, und hätte sich Proudhon in Kreisen der Rechten bewegt, würde er vielleicht seine linken Überzeugungen bald verloren haben. Henri de Lubac SJ schrieb ein ausgezeichnetes Buch Proudhon et le christianisme.1) Constantin Frantz, der große deutsche Konservative, konnte seine Bewunderung für Proudhon nicht verbergen und bedauerte, daß er einen „Französischen Radikalen“ zitieren müsse, denn Deutschland, das klassische Land der Denker, sei unfruchtbar geworden.2) Proudhon andererseits, war überzeugt, daß sein Frankreich ein „Land der Mittelmäßigkeit“ war.

Wir möchten hier nur einige Stellen aus den Schriften Proudhons zitieren, um zu zeigen, wie seine Anschauungen mit den sozialistisch-kommunistischen Thesen, die diktatorisch, zentralistisch und demokratisch waren, in Konflikt geraten mußten. Also hören wir:

„Die Februarrevolution (1848) hat das Klassenwahlrecht abgeschafft, aber damit ist der demokratische Puritanismus noch immer nicht zufriedengestellt. Einige wollen das Wahlrecht auch den Frauen und Kindern geben. Andere protestieren gegen die Entziehung des Wahlrechts bei den Bankrotteuren, entlassenen Verbrechern und Zuchthäuslern. Man muß sich wundern, daß sie nicht Pferden und Eseln das Stimmrecht geben wollten.“3)

„Die Demokratie ist die Staatsform ohne Grenzen.“4)

„Geld, Geld und wieder Geld – das ist der Lebensnerv der Demokratie.“5)

„Die Demokratie ist teurer als die Monarchie, sie ist mit der Freiheit unvereinbar.“6)

„Die Demokratie ist nichts als die Tyrannis der Mehrheit: sie ist die allerabscheulichste Tyrannei, denn sie ruht weder auf der Autorität eines Monarchen, noch auf dem Adel einer Rasse oder auf den Privilegien von Besitz oder Talent. Ihre Grundlage sind Zahlen und Ziffern und ihre Maske der Name des Volkes.“7)

„Die Demokratie ist die Aristokratie der Mittelmäßigkeit.“8)

„Die Autorität, die in der Monarchie das Prinzip des Regierens ist, wird in der Demokratie das Ziel der Regierung.“9)

„Das Volk wird dank seiner Minderwertigkeit und seines Elends stets die Stoßtruppe für Freiheit und Fortschritt sein – aber aufgrund seines Unwissens und der Primitivität seiner Instinkte, der Dringlichkeit seiner Bedürfnisse und der Ungeduld in seinen Wünschen wird es immer einfache Formen der Autorität suchen. Es kümmert sich keinesfalls um Rechtsgarantien, von denen es keine Ahnung hat…, es hat Vertrauen in einen Führer, dessen Ziele es zu kennen glaubt…, diesem Führer gibt es Autorität ohne Grenzen und eine unwiderstehliche Kraft… Das Volk glaubt nicht an Prinzipien, die allein es retten könnten: Es fehlt ihm völlig die Religion der Ideen.“10)

„Die Demokratie ist tatsächlich in ihrer Essenz militaristisch.“11)

„Jeder Staat hat dank seiner Natur die Tendenz, annexionistisch zu sein.“12)

„Wenn man sie allein läßt oder wenn sie nicht von einem Tribun geführt sind, werden die Massen nie etwas erreichen. Sie schauen immer in die Richtung der Vergangenheit. Sie haben keine Traditionen…, von der Politik verstehen sie nichts als die Intrigen, vom Regieren nur den Vergeud und die bloße Gewalt, von der Justiz nur die Anklagen, von der Freiheit lediglich die Schaffung von Idolen, die am nächsten Tag wieder gestürzt werden. Der Aufstieg der Demokratie stellt den Anfang einer Ära der Rückständigkeit dar, die Nation und Staat umbringen wird.“13)

„Nimm die Situation, in der du dich befindest, wie ein Mann an, und überzeuge dich ein für allemal, daß der der glücklichste Mensch ist, der am besten weiß, arm zu sein.“14)

„Meine Anschauungen über die Familie sind dieselben wie die des alten römischen Gesetzes. Der Familienvater ist für mich ein Souverän.“15)

„Wenn wir sagen: ‚das Volk’, dann verstehen wir darunter unweigerlich den am wenigsten fortschrittlichen Teil der Gesellschaft, den unwissendsten, den feigsten und den undankbarsten.“16)

„Wenn die Demokratie sich auf die Vernunft beruft, dann soll sie sich vor allem der Demopädie, der Erziehung des Volkes widmen.“17)

„Das zwanzigste Jahrhundert wird eine Periode der Föderationen einleiten oder die Menschheit wird ein tausendjähriges Fegefeuer erleiden müssen.“18)

Mit diesen und anderen Aussagen mußte Pierre Joseph Proudhon, der ein Autodidakt war, ein selbstloses Leben führte und von hohen Idealen, von der Liebe viel mehr als vom Haß bewegt wurde, mit einem anderen Denker in Konflikt geraten – mit Karl Marx. Beide waren Sozialisten, aber das Leitmotiv Proudhons (der nicht mit vollem Unrecht oft als Anarchist bezeichnet wurde) war eben doch ein christliches. Für seine Ideen brachte er die größten Opfer dar.

Sein Buch Système de contradictions économiques ou Philosophie de la misère (1846) war die Ursache seines Zusammenstoßes mit Marx. Der Bourgeois aus Trier attakkierte Proudhon in einem wüsten Pamphlet, La misère de la philosophie. Marx war ein rein intellektualistischer Revolutionär, der bereit war, über Leichen zu gehen, Proudhon ein sensitiver Revolutionär, dem die menschliche Persönlichkeit am Herzen lag. Wie Henri de Lubac hervorhob, kam er aus der Franche Comté, einem Teil Frankreichs, der lange unter spanischer Herrschaft stand und spezifisch spanischen Einflüssen ausgesetzt gewesen war. Dort blühte auch ganz besonders die Liebe zur persönlichen Freiheit. Marx hingegen kam aus einem ganz anderen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Milieu.

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