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13. DAS ALTE RUSSLAND

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Wie ging es nun in Rußland weiter, das sich nach den napoleonischen Kriegen mit „Kongreßpolen“ vergrößert hatte. Finnland war allerdings schon 1809 als völlig autonomes Großfürstentum zu Rußland gekommen. Der Kaiser von Rußland1) war somit auch der König eines sehr stark verkleinerten Polens und Großfürst (Suurruhtinas) von Finnland – womit Rußland wieder einmal weiter nach Westen vordrang. Alexander I., der 1825 in Taganrog „starb“,2) wurde durch Nikolaus I. abgelöst, der einer Verschwörung von Adeligen (geführt vom Fürsten Sergej Nikolajewitsch Trubetzkoj) und einer Reihe von Intellektuellen gegenüberstand. Diese „Dezembristen“ (Dekabristy) wollten teilweise eine konstitutionelle Monarchie, zum Teil aber eine Republik in Rußland einführen. Viele von ihnen waren Freimaurer. Alexander I. war tief religiös, ein Träumer, Nikolaus I. eng konservativ und kirchlicher gesinnt als sein Vorgänger. Dieser Aufstand, der nur zu geringem Teil von der Armee unterstützt wurde, scheiterte völlig; einige von den Anführern wurden hingerichtet, viele nach Sibirien verbannt. Doch Nikolaus verstand sich als „strenger Vater“: Einer der Verschworenen wurde ihm in Ketten im Winterpalast vorgeführt, sie beteten zusammen in einer Kapelle, dann umarmte und küßte der Kaiser den Verurteilten, gab ihm seinen Segen, wünschte ihm Einkehr und Reue und übergab ihn dann seinen Wächtern. Manche der Frauen begleiteten ihre Männer in die Verbannung.

1830 brach jedoch die Revolution in Kongreßpolen aus, die mit ziemlicher Mühe niedergeschlagen wurde. Das war die Zeit der „Polenlieder“, die Deutschland begeisterten.3) Dennoch ging die Fiktion eines vom russischen Kaiser regierten „Königreichs Polen“ nicht verloren. Damals hatte die französische Juli-Revolution in Polen zündend gewirkt, 1848 aber wagte niemand gegen den Herrscher aufzutreten, der das Land mit eiserner Hand regierte, während es überall im Westen, selbst in England, Unruhen, Rebellionen und Revolutionen gab. Dann kam der Tod Nikolaus I. mitten im Krimkrieg und die Regierung Alexanders II., des „Befreier Zaren“ (Tsarj Oswoboditelj), der auf einen schleunigen Frieden drang, der Rußland territorial aber nur die Donaumündung in Südbessarabien kostete. Das große Ereignis in der russischen Geschichte war jedoch die Beendigung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 durch kaiserlichen Ukáz.

Wir müssen uns aber vorstellen, daß die Leibeigenschaft in Rußland recht spät kam, erst mit dem Ende des 16. Jahrhunderts und primär von der Regierung als Steuereintreibungsmethode und nicht von den Grundbesitzern gefordert wurde. Es gab zwei Regelungen der Leibeigenschaft: die Abgabe des Obrók in Geld (pro männlichen Kopf) oder die bárschtschina, die Arbeitsleistung. Auf jeden Fall war der Gutsbesitzer der Mann, der die Steuer an den Staat ablieferte. Pro Bauernfamilie war ein Minimum von 12 bis 15 Hektar vorgesehen. Die Leibeigenschaft gab es jedoch nur im Zentrum und im Westen Rußlands, nicht aber im hohen Norden, fernen Osten oder tiefen Süden in den Kosakengebieten. Weder die deutschen Kolonisten noch die Russen Sibiriens kannten die Leibeigenschaft. Eine sowjetische Schätzung spricht von 55 Prozent der Bauernschaft, die hörig, und von 45 Prozent, die am Anfang des 19. Jahrhunderts frei waren.4) Ursprünglich war das Verhältnis zwischen dem Gutsbesitzer und der Bauernschaft patriarchal, verschlechterte sich aber durch den Absentismus der Gutsbesitzer, die oft herzlose Verwalter anstellten. (Viele von diesen waren Deutsche, manche auch Polen.5))

Man kann aber den Charakter und die Stellung der Bauernschaft nur dann verstehen, wenn man sich die soziale Gesamtstruktur des alten Rußlands vor Augen hält. Der Adel hatte dort seit dem Sturz des Bojarentums unter Iwan dem Dräuenden6) nicht annähernd die Bedeutung, die er im Westen hatte. Er war sehr zahlreich. In der Beamtenschaft (dem Tschin) wie auch beim Militär erfolgte die Nobilitierung (die persönliche als auch die erbliche) automatisch. Bei dem großen adeligen Sektor der Bevölkerung (der Prozentsatz mag allerdings niedriger als in Polen gewesen sein) darf man sich auch nicht wundern, daß dann später bei den Bolschewiken zahlreiche Adelige auftauchten. Sie genossen an und für sich, wie schon Leroy-Beaulieu urteilte, kein besonderes Prestige. Oft waren hohe Adelige (auch Fürsten) bettelarm und unterschieden sich kaum von freien Bauern. Andere waren sehr reich, wie zum Beispiel die Scheremetjews. Noch viel zahlreicher aber war der Adel in Georgien, und nur der Eingeweihte (nicht aber der Ausländer) wußte „wer wer“ war.7)

Die Leibeigenen unterstanden zwar bei kleinen Vergehen der Gerichtsbarkeit des Gutsherren (mit dem sie sich oft duzten oder ihn mit dem Patronymikon anredeten), die Prügelstrafe war auch vorgesehen, aber wer einen Bauern erschlug, wurde mit dem Tode bestraft. (Manchmal erschlugen aber Bauern einen unangenehmen Gutsherren.)8) Man vergesse hier nicht, daß die Leibeigenschaft in Rußland nur 13 Jahre nach der Bauernbefreiung im österreichischen Galizien, aber zwei Jahre vor der Aufhebung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten stattfand – und die Sklaverei war unvergleichlich härter. Leibeigene waren zwar (im Prinzip) glebae adscripti, an die Scholle gebunden, durften aber abgesehen von ihrem eigenen Land auch anderswo eigenen Besitz und überdies eigene Leibeigene haben – und so weiter. Im 18. Jahrhundert gab es ganze Hierarchien von Leibeigenschaften. Manche dieser Leibeigenen (genau so wie die Plebejer im alten Rom) waren sehr reich, vermieden es aber, von ihrem Grundherren die Freiheit zu erkaufen, denn anstatt einer Kopfsteuer von zweieinhalb oder drei Rubel im Jahr, die sie an ihren Herren abführen mußten, wären sie nun mit ihrem großen Vermögen dem Staat gegenüber steuerpflichtig geworden. So haben wir zum Beispiel den Fall eines Leibeigenen des Grafen Scheremetjew, der seine Freiheit nach langer Überlegung mit 135 000 Rubel kaufte.9) (Auch er besaß wieder Leibeigene, dushi, d. h. Seelen.) Dieser Betrag war im alten Goldwert ungefähr 1 Million Mark, in heutigen D-Mark aber unvergleichlich mehr. Bei der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 lebten auch längst Unmengen von Leibeigenen in den Städten, keineswegs immer als „Proletarier“, sondern sehr oft in der Eigenschaft von Bankiers, Großkaufleuten, Intellektuellen usw.

Die russische Gesellschaft konnte eben mit der westlichen in keiner Art und Weise verglichen werden; unsere Klischees waren für den Osten unverwendbar. Nicht nur war der westliche Begriff einer Plebs in Rußland unbekannt,10) die Gesellschaft war auch völlig „gemischt“.11) Man konnte ein Fürst, aber nicht beliebt sein, und so blieb man „draußen“, oder noch als Leibeigener geboren, aber witzig, begabt und sympathisch und war deshalb „drinnen“. Auch die Frauen spielten gesellschaftlich eine viel größere Rolle als in „demokratischen“ Ländern.12) Wie mobil die russische Gesellschaft war, ersieht man sehr deutlich, wenn man die Struktur der Schülerschaft in den Gymnasien betrachtet. Schon längst vor der Revolution war der Sektor der Bauernsöhne unvergleichlich höher als bei uns,13) doch sollten diese Dinge unsere angeblich so Gebildeten schon aus der aufmerksamen Lektüre der großen russischen Romane und Theaterstücke wissen. Bei Dostojewskij finden wir eine völlig gemischte Gesellschaft und nicht minder so bei Tolstój oder Turgénjew. In der Anna Karénina sehen wir den kalten Snob Serpuchówskij, der von einer Reise zurückkehrend seinen Diener auf die Lippen küssen muß, dann sich aber schnell mit einem seidenen Taschentuch den Mund abwischt.14) Die Gutsbesitzerin, die in Tschechows „Kirschgarten“ aus Paris zurückkommt, küßt auch den alten Kammerdiener und nennt ihn „liebes Greischen“ (staritschók),15) Mit den Bauern duzte man sich oft gegenseitig, und wenn man am Lande eingeladen war (und dort gerne Wurzeln schlug), küßte man zum Abschied auch die alte Köchin, die einen mit Vornamen und dem Patronymikon ansprach. Einem ungarischen Kommunisten sagte ein Russe, daß die alte Regierung brutal war, aber eines gab es nicht: Arroganz.16) Die alte Gesellschaft war brüderlich, aber mit dem Bolschewismus wurde es anders, denn man war nicht mehr in Christus brüderlich vereint, zwar nicht mehr unbedingt reicher oder ärmer, sondern mächtiger oder ohnmächtiger, beziehungsreicher oder beziehungsärmer – durch die Partei und die bürokratische Hierarchie. Damit hörte sich dann jede Brüderlichkeit auf.

Auch der Arbeiterklasse ging es nicht halb so schlecht, wie man sich das bei uns vorstellt. Die russische Industrie war klein, aber nicht winzig; die Eisenindustrie war sogar beträchtlich. Dort wurde zur Zeit der Großen Katharina eine Woche hindurch am Tage zwölf Stunden, in der folgenden Woche in der Nacht zwölf Stunden, in der dritten Woche aber überhaupt nicht gearbeitet – was auf einen Achtstundentag herauskommt.17) Soziale Gesetze für die Arbeiterschaft gab es in Rußland früher als im Westen. Schon unter der kurzen Herrschaft der Kaiserin Anna Leopoldowna im Jahre 174118) wurden strenge Schutzgesetze für die Fabriksarbeit aber auch für die Landwirtschaft erlassen.19) Tatsache aber ist es, daß zahlreiche Reisende, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Westen besuchten, vom niedrigen Lebensstandard der dortigen Arbeiter und Bauern entsetzt und erschüttert waren.20) Freilich gab es Schwierigkeiten auch nach der Beendigung der Leibeigenschaft: selbst nicht faule und dem Alkohol abholde Bauern konnten als Folge der damit verbundenen Agrarreform die Ablöse für ihre Parzellen nicht pünktlich zahlen. Ein besonderes Übel war jedoch der Mir,21) der Gemeinbesitz der Dörfer, der alljährlich neu verteilt wurde. Wer heute ein Stück Land bebaute, bekam im folgenden Jahr ein anderes. Dies wurde als „gerecht“ befunden, endete aber damit, daß niemand mehr das Land pflegte. Hingegen gefiel den Sozialisten die Einrichtung des Mir als eine Basis des Sozialismus, und seine Abschaffung durch Stolypin wurde von ihnen als „kapitalistisch-individualistische“ Herausforderung betrachtet.

Wenn wir in Rußland dennoch einem raschen Wachstum linker Ideen anarchischer oder sozialistischer Art begegnen, so hat dies mit einem rein ideologischen Wachstum zu tun. Ideas have consequences. Die Überzeugung, daß Ideen unbedingt einen geeigneten Nährboden haben müssen, um sich richtig ausbreiten zu können, fußt auf einem Ammenmärchen, dessen uneingestandener Zweck es meistens ist, in höheren Schulen Halbwüchsigen die Weltgeschichte auf eine recht primitive (aber sofort einleuchtende) Art verständlich machen zu können.

Die linken Ideen, die in Rußland zum erstenmal in der Aristokratie Wurzeln gefaßt hatten, ergriffen nun die neue Intelligentsija der Halb- und Dreiviertelgebildeten, von Idealisten, die sich für das „Volk“ begeisterten und „ins Volk gingen“. Darunter gab es zahlreiche Vertreter des Kleinadels, junge Männer und Frauen, denen auch die „Propaganda der Tat“ zusagte.22) Vergessen wir nicht, daß Bakunin und Kropotkin Edelleute waren, daß der ältere Bruder Lenins, Alexander Iljitsch Uljanow, der sich an einem Mordkomplott gegen den Kaiser beteiligt hatte, dem Erbadel angehörte, daß der große Inspirator der Linken, Graf Leo Tolstoj, nicht gerade ein Proletarier war, sondern den Typ des „reuigen Edelmanns“ verkörperte, daß aber die Giganten der russischen Geisteswelt – Solowjów, Dostojewskij, Leóntjew, Chomjaków, Mereshkowskij – alle rechts standen.

Leroy-Beaulieu nannte nicht nur den Kleinadel als Klasse, die viele Revolutionäre hervorbrachte, sondern auch die Juden.23) Diese waren rechtlich in vieler Beziehung behindert. So durften sie nur in den westlichen Gouvernements dauernd leben, im großen und ganzen in den Gebieten, die durch die polnischen Teilungen an Rußland gekommen waren. Eine Ausnahme bildeten die Akademiker (Maturanten)24) und die Kaufleute erster Klasse. So gab es eine sehr emanzipierte jüdische Gesellschaft in Petersburg und in Moskau, die auch Kontakte zur russischen Gesellschaft hatte. Für das Universitätsstudium gab es einen Numerus Clausus, der aber mit zehn Prozent recht weitherzig war. Wer sich taufen ließ und orthodox wurde, hatte praktisch freie Bahn. Beispiele dafür sind die Karrieren der beiden Rubinsteins, berühmte Musiker, die in den höchsten Gesellschaftskreisen verkehrten: Antoni und Nikolaj. Nikolaj wurde Direktor des Moskauer Konservatoriums, Antoni heiratete eine Fürstin Tschekuanow.25) Auch die Frau des Ministerpräsidenten Graf Witte war eine Jüdin. Juden konnten zwar nicht Grundbesitzer sein, doch dieses Gesetz wurde oft durchbrochen. So war Trotzkijs Vater ein reicher Großbauer (der nie Sozialist wurde), der 250 Joch besaß und noch 400 dazu pachtete.26) Es war aber natürlich, daß Juden sich liberalen und sozialistischen Gedanken nicht verschlossen, wenn sie ihren Glauben verloren. Ihr Prozentsatz im städtischen Proletariat wie auch in der Intelligentsija war außerordentlich hoch. Das Christentum, die Monarchie, das ganze „Establishment“ des Russentums mußte ihnen als „der Feind“ erscheinen. Die wütenden Volksaufstände gegen arme, zumal auch fromme Juden gerichtet, die „Räubereien“ (pogrómy), die von den staatlichen Behörden oft toleriert wurden, machte sie zu Revolutionären und ließ später viele in den Reihen der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) aufscheinen.

Ein anderes revolutionäres Element waren die Mädchen und Frauen, die sich auch gerne (wie in unseren Tagen hierzulande) an Terrorakten beteiligten. Besonders bei den SR, den Sozialrevolutionären, viel mehr als bei den Sozialisten, spielten sie eine große Rolle. Die Studentin Wjera Zassúlitsch versuchte den Petersburger Stadthauptmann Trjepow zu27) erschießen, doch dank einer glänzenden Verteidigung wurde sie freigesprochen. (Rußland versuchte damals noch ein Rechtsstaat zu sein.) Hier aber muß man sich vor Augen halten, daß so viele Ausländer den Frauen in Rußland größere Energie zusprachen als den Männern.28) (Auch in den russischen Romanen sind die Frauen sehr oft die stärkeren.)

Zu bemerken ist aber hier auch, daß die Russen im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht ganz und gar keine geborenen Kollektivisten sind und daß schon deshalb die anarchistisch-nihilistischen Richtungen in Rußland sehr deutlich die Oberhand hatten. Anfänglich waren die Narodnaja Wolja und die Sozialrevolutionäre Bewegung führend. Diese Organisationen waren es auch, welche für die politischen Morde verantwortlich waren. Keineswegs waren es die unromantischen Mitglieder der RSDAP. Diese hatte auch bis 1917 keinen einzigen Märtyrer zu beklagen, denn echte Marxisten wollen „wissenschaftlich“ sein, glauben an den unausweichlichen Triumph des Sozialismus und an kollektive Aktionen der Massen. Für individuelle Taten hatten sie nie etwas übrig.

Man muß sich in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß unter Alexander II. die Todesstrafe im Prinzip abgeschafft war und nur auf jene Revolutionäre angewandt wurde, die nach dem Leben des Kaisers oder eines Mitglieds der kaiserlichen Familie trachteten.29) Für den Mord, auch den mehrfachen, standen Gefängnis und Exil (in der Regel nach Sibirien), wo schließlich den früheren Kriminellen Land zugeteilt wurde. Sibirien war immer ein viel freiheitlicheres Land als das europäische Rußland, der Lebensstandard war höher, der exilierte Radischtschew fand dort viele neue Freunde und ein angenehmes Leben.30) Man erinnere sich in diesem Zusammenhang auch an Dostojewskijs Schuld und Sühne, wo der Polizeikommissär dem Verbrecher, der zwei Frauen umgebracht hatte, zuspricht, er sei noch jung und könne doch nach seiner Strafe ein neues Leben beginnen. Da die Richter mit der Bestrafung an einen sehr festen Tarif gebunden waren, beschlossen die Geschworenen oft, einen sympathischen Mörder nur als Totschläger einzustufen. Das war alles im frühen 19. Jahrhundert in Großbritannien sehr anders, wo bis in die Zwanzigerjahre hinein der Dieb, der einen Gegenstand im Werte von mehr als zwei Pfund gestohlen hatte, erbarmungslos aufgeknüpft oder – was manche noch mehr fürchteten – nach Australien verschickt wurde.31) Auch die Prügelstrafe lebte in England und in Amerika sehr lange.32) Freilich, auch in Südeuropa dachte man immer sehr anders über das Verbrechen als im Norden: der Kirchenstaat war sogar berühmt für seine Milde.33) Auch gab es im alten Rußland höchst kuriose Betrafungen: Als zum Beispiel Alexander Herzen zum Exil (Ssylka) nach Perm in Nordostrußland verurteilt wurde, mußte er zur Strafverschärfung Staatsbeamter werden. (Er war unehelicher Geburt, gesellschaftlich wie Pierre in Krieg und Frieden völlig akzeptiert und dazu noch reich – aber er mußte nun täglich ins Büro!)34)

Die Märchen, denen man auch bei unseren „Gebildeten“ über das alte Rußland begegnet, werden nie aussterben. Selbst russische Liberale, wie zum Beispiel Wladimir Nabokow, waren stets entsetzt, welch blühender Unsinn bei uns auch in Universitäten verzapft wurde. Über den Triumph des Bolschewismus gab es eigentlich nur zwei Theorien: er wäre a) die natürliche Reaktion auf den „Zarismus“ und b) er wäre nichts anderes als der „Zarismus“ rot angestrichen. So einfach macht man sich das – auch heute noch!

Die falsch gestellten Weichen

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