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8. DER MARXISMUS

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Solange man Marx nur nennt, aber nicht liest, ist der Fortschritt des Sozialismus nicht aufzuhalten. (Herbert Eisenreich im Wiener Journal, März 1983.)

Der Marxismus ist aber nicht nur antijüdisch, er ist auch unproletarisch und höchst ‚bourgeois‘. Gerade deshalb appelliert er so stark an die im Grunde linke, kleinbürgerliche Mentalität kommerziellen Charakters. Waldemar Gurian hatte völlig recht als er schrieb, daß „der Bolschewismus die geheime und uneingestandene Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft ausspricht, wenn er in Gesellschaft und Wirtschaft absolute Elemente sieht. Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit war immer der Kriegsruf der Bourgeoisie. Die Entwicklung und der Sieg der bürgerlichen Gesellschaft haben zum Sieg dieser Ideen verholfen. Der Bolschewismus ist aber zugleich ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Verurteilung. Er zeigt, wohin die geheime Lebensauffassung dieser Gesellschaft führt – und dies mit eiserner Logik.“1) Und es war auch der amerikanische Romancier und Theaterschriftsteller Ben Hecht, der uns ermahnt hatte, nicht an das Klischeebild des Kommunisten als verdreckten, bluttriefenden Revoluzzer zu glauben. Für Hecht war der Kommunismus eine Bewegung, die völlig legitim aus der mittelständischen Demokratie kam. „Der Bolschewismus“, schrieb er, „ist die logische Folge der Demokratie, ein weiterer Schritt hinunter im Abstieg der Menschheit. Bis zum Erscheinen Lenins und Trotzkijs war die amerikanische Demokratie zweifelsohne die grauenhafteste Beleidigung, die auf die Intelligenz unserer Rasse durch die geistig Tieferstehenden geschleudert werden konnte. Doch der Bolschewismus ist noch einen Schritt weitergegangen. Sobald aber unsere niedrigsten Charaktere – die Mehrheit der Politiker, Intellektuellen und Schriftsteller – daraufkommen, daß der Bolschewismus nicht der Rote Terror ist mit der Bombe in der einen und dem Dolch in der anderen Hand, sondern eine gesellschaftliche Ordnung, die unsere noch an Schwäche und abnormaler Dummheit übertrifft, dann wird man jeden verhaften, der nicht ein Bolschewik ist.“2) Harold Laski, der verstorbene Ideologe der Labour Party und Professor an der London School of Economics, drückte sich einfacher aus. Er sah ganz einfach den Sozialismus als weiteres unausweichliches Evolutionsstadium der Demokratie, eine Ansicht, die zweifellos bei Freund und Feind sehr verbreitet ist.3)

Die Siege des Marxismus als Doktrin (wir denken jetzt nicht an die Siege der Roten Armee) haben zumeist nur unter den geistig Tiefstehenderen, den Ungebildeten, Halb- und Dreiviertelgebildeten stattgefunden. Diese Dokrin ist eine fausse idée claire: Sie wirkt besonders in einem Land mit krassen Vermögensunterschieden, wo Millionen von Armen einer Handvoll sehr Reicher gegenüberstehen. Dann liegt es doch „auf der Hand“, daß eine „Neuverteilung“ die Armen reicher machen würde oder noch besser, daß man die Produktionsmittel der „Allgemeinheit“ gibt. Das aber macht die Reichen nur arm, wirkt kulturzerstörend, vermindert zwar den Neid, gibt den Armen kaum ein Pflästerchen4) und schafft einen allmächtigen Staat. „Gleichheit“ gibt es nur in der Sklaverei und nicht in der Freiheit, und welch verschwindender Prozentsatz unserer Mitbürger hat eine auch nur blasse Ahnung von der Wirtschaft. Wer natürlich nichts von einer Wissenschaft versteht, kann darüber „leicht reden“!

Ein weiterer Faktor für diese erfolgreichen Vorstöße des Marxismus ist in der religiösen Krise unserer Zeit zu finden. E. F. W. Tomlinson sagte dazu: „Da die Menschen nicht ohne Philosophie leben können, und wenn sie die richtige von sich weisen, müssen sie sich eben mit dem Abschaum aller anderen begnügen. Der dialektische Materialismus ist ein Konvolut vom Abschaum der heruntergekommenen Metaphysik des 19. Jahrhunderts.“5) Wie wir aber schon andeuteten, besitzt der Marxismus auch pseudoreligiöse Aspekte aus dem Alten und dem Neuen Testament, die nicht nur Dogmen beinhalten, sondern auch an den Opfersinn des Menschen und an seine asketischen Neigungen Anforderungen stellen. Gerade dieser quasireligiöse und zum Teil auch eschatologische Charakter der marxistischen Orthodoxie verursacht bei den Sozialisten, die viel Wasser in ihren Wein gegossen haben, den „Sozialdemokraten“, nur zu oft schwere Gewissensbisse. Dabei aber dürfen wir nie vergessen, daß bei einer Mischung von Wasser und Wein es der Wein ist, der dem Trunk den Geschmack verleiht – und nicht das Wasser.

In England hatte Marx, der sehr wenig mit Engländern verkehrte, sondern viel eher in der Emigraille zuhause war, gewisse Kontakte mit Robert Owen, dem Gründervater des britischen Sozialismus. Im Alter von zwanzig Jahren war dieser begabte Mann, Sohn eines kleinen Kaufmanns, Direktor einer Textilfabrik geworden. Er machte sich jedoch bald unabhängig und gründete in Schottland eine Fabrik, die aber eher ein soziales als ein sozialistisches Experiment war. Dann kaufte Owen von Georg Rapp, Leiter einer kommunistischen deutschen Sekte, eine Siedlung im südlichen Indiana. Die „Rappites“ übersiedelten dann nach Pensylvanien, wo ein neues „New Harmony“ unter der Kontrolle Owens eröffnet wurde, aber auch dieses Experiment war ein Mißerfolg. 1829 kehrte Owen nach England zurück, und er, der ein Reformist gewesen war, wurde nun ein radikaler Sozialist. Er verlor viel von seinem Einfluß, weil er das Christentum angriff, doch ging er in die Geschichte ein, als er 1833 die erste britische Gewerkschaft gründete und dies, wiewohl sein Interesse eher einer modernisierten Zunftbewegung galt. Dann Jegte er die Grundlagen für ein ethisches System, eine Pseudoreligion mit Zentren in halb England in der Form von Halls of Science. Die Basis seiner Lehre war eine Milieu-Theorie: Der Mensch sei das Produkt seiner Umgebung. Das beeinflußte Marx, und diese Lehre ist heute zweifellos ein Dogma der Halbgebildeten. Vor seinem Tod aber machte Owen eine neue Kehrtwendung und wandte sich dem Spiritismus zu.

Marx gründete sechs Jahre nach Owens Tod, 1864, die Internationale Arbeitervereinigung, die „Erste Internationale“, deren Geschichte durch Marxens Kampf mit dem Anarchisten Bakunin zutiefst geprägt wurde. Bakunin, ehemaliger Offizier und Edelmann, war hingegen der Lehrer des großen Anarchisten, des Fürsten Kropotkin.6) Marxens Haß auf die Russen geht auf diese Auseinandersetzung mit Bakunin zurück, der 1872 von der Ersten Internationale ausgeschlossen wurde…, kein Wunder, denn Bakunin sah sehr genau, daß der Marxismus stracks zum allmächtigen, totalitären Staat führen würde.

Bakunin war ein abenteuerlicher Mann, und das war auch Ferdinand Lassalle. Dieser Sohn eines jüdischen Kaufmanns, Intellektueller ersten Ranges, Organisator der deutschen Arbeiter, öfters angeklagt wegen politischer Umtriebe, meistens freigesprochen, mutig, witzig, ein großer Liebhaber des schönen Geschlechts und Theaterschriftsteller, wurde von Marx als auch von Engels leidenschaftlich gehaßt und zweifellos auch beneidet. Lange einer Gräfin Hatzfeld verbunden, deren Advokat er auch war, fiel er schließlich in einem Duell mit einem Rumänen in der Nähe von Genf. Das Herz und die Hand von Helene von Dönniges, Tochter eines bayrischen Diplomaten, waren die Ursache dieses Zweikampfs gewesen.

Lassalle war vielleicht kein Genie, doch hatte er einen guten Kopf und veröffentlichte mehrere politische und gesellschaftskritische Essays, wie auch ein Buch über Heraklit, das im Geiste der Philosophie Hegels geschrieben war. Lassalles Haltung war national und sozialistisch zugleich; er lehnte auch die Monarchie keineswegs ab und appellierte an Wilhelm I. von Preußen, eine „soziale Monarchie“ zu errichten. Bismarck, mit dem er einen engen Kontakt hatte, sagte in seiner Gedenkrede im preußischen Landtag, Lassalle sei durch und durch Monarchist gewesen, nur hätte er nicht gewußt, ob Preußen von der Dynastie Lassalle oder Hohenzollern hätte regiert werden sollen. Doch dieser brillante Mann war Marx ein Dorn im Auge. Hätte er länger gelebt (er starb im Alter von 39 Jahren), würde die deutsche Arbeiterbewegung eine ganz andere Entwicklung genommen haben, zwar auch eine „nationalsozialistische“, aber ganz und gar nicht im Sinne Hitlers. Als Lassalle 1864 im Zweikampf gefallen war, verlor Marx seinen stärksten Konkurrenten. Erst drei Jahre später wurde der erste Band von Das Kapital in seiner endgültigen Fassung veröffentlicht.

Der alternde Marx war eine tragische, zugleich aber eine alles andere als erbauliche Figur. Das Fiasko der Pariser Commune erschütterte und verbitterte ihn. Freunde außer Engels hatte er keine. Er hatte eine tiefe Zuneigung zu seinen drei Töchtern, von denen zwei später durch Selbstmord endeten. Sein einziger legitimer Sohn, für den er aber nichts übrig hatte, starb mit acht Jahren, nicht zuletzt aus Geldmangel. Seine Frau, die ihn vergötterte, führte ein Höllendasein. Zudem verführte er die getreue Haushälterin, Lenchen Demuth, die ihm einen Sohn gebar, dessen Vaterschaft Engels übernahm, denn man konnte damals einer deutschen Arbeiterschaft nicht zumuten, einen Ehebrecher und Verführer von Hausangestellten als ihren Führer anzuerkennen.7) (Erst auf dem Totenbett gestand Engels den völlig aus den Wolken gefallenen Töchtern, daß ein ihnen so bekannter junger Mann ihr Halbbruder war.)8) Das idealisierte Familienleben Marxens ist heute als häusliches Jammertal demaskiert worden; die arme Jenny Marx, nêe baronne Westphalen (wie es tatsächlich auf ihrer Visitkarte zu lesen war) lebte in einem wahren Inferno der Armut, denn der gute Karl konnte sich nicht dazu aufraffen, für seine Familie einen Lebensunterhalt zu verdienen. Dabei aber war dieser Proletarierführer ein Snob, der sich teure Anzüge bauen ließ. Neueste Forschungen geben uns das Bild eines im Grunde eitlen, widerlichen, haßerfüllten Menschen. Jean Paul sagt uns in seinem Quintus Fixlein: „Jedem Jahrhundert sendet der Unendliche einen bösen Genius zu, der es versucht.“ Ähnlich äußerte sich auch Goethe.9) Zweifellos war Marx dieser Mann, dessen konkrete Prophezeiungen fast ausnahmslos nicht in Erfüllung gingen, der also logischerweise völlig diskreditiert sein müßte und nach dem kein Hahn mehr krähen sollte, der aber dennoch heute vielleicht lebendiger und „aktueller“ ist als vor hundert Jahren. Das hat seine guten Gründe, als da sind: die Dummheit (die größte Weltmacht), das kurze Gedächtnis der Menschen und die Begeisterungsfähigkeit für „klare aber falsche Ideen“. So glaubt auch heute noch der Mann auf der Straße, daß das „Sozialproblem“ seine Analogie in einer Gefängniszelle mit vier Arrestanten besitzt, darunter einem bärenstarken brutalen Kerl. Dieser nimmt mit roher Gewalt die Hälfte der Portionen seinen Zellengenossen weg und frißt sie selbst auf. Aber nur ein Idiot wird dieses Exempel auf die freie Wirtschaft in einem freien Land übertragen, denn das ist ein mindestens so großer Unsinn wie das „Recht auf Arbeit“. (Wie verwirklicht man das im Falle eines Schriftstellers, Schauspielers, Trapezkünstlers oder Augenarztes?) Doch der Marxismus kommt einem echten Bedürfnis nach: Er „erklärt“ dem Einfältigen die ihm ansonsten sinnlos erscheinende Weltgeschichte und füllt überdies ein ideologisches Vakuum aus, das von echt aufbauenden Ideen erfüllt werden sollte. Doch darüber später mehr.

Die Wirtschaft spielt im Gedankengut Marxens noch vor der Philosophie und der Politik die Hauptrolle, aber sie ist überraschenderweise das schwächste Glied in dieser Kette. Daher auch die Armut in der Welt des Sozialismus, was ihn eigentlich diskreditieren sollte. Der Mensch jedoch ist eher ein fühlendes als ein denkendes Wesen und der Sozialismus kommt den neidigen Massen entgegen. Wie sagte doch Churchill? „Der Kapitalismus verbürgt die ungleiche Verteilung des Reichtums, der Sozialismus aber die gleiche Verteilung der Armut.“ Daher seine Stärke!

Die falsch gestellten Weichen

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