Читать книгу Die falsch gestellten Weichen - Von Kuehnelt-Leddihn Erik - Страница 16

10. DEUTSCHES DRAMA: ERSTER AKT

Оглавление

Nach den Revolutionsjahren 1848–1849 spitzte sich jedoch die Lage im Herzen Europas weiter zu; große und kleine Kriege folgten: Frankreich und Sardinien gegen Österreich; die deutschen Staaten, geführt von Preußen und Österreich, gegen Dänemark; die deutschen Staaten, geführt von Österreich, gegen Preußen; die deutschen Staaten, geführt von Preußen, gegen Frankreich. Der deutsch-französische Krieg wurde durch den echt bonapartistischen Drang Napoleons III. ausgelöst, es seinem Onkel gleichzutun und kriegerische Lorbeeren zu ernten. (Freilich wollte auch Bismarck diesen Krieg, den er für unvermeidlich hielt.)1) Schon im Krimkrieg, als Napoleon III. an der Spitze einer französisch–britisch–sardinisch–türkischen Koalition Rußland angriff – einer der unsinnigsten Kriege der Weltgeschichte, der eine Viertelmillion Menschenleben kostete –, zeigte der französische Kaiser seine Kampfeslust.2)

Napoleon III., der als Bonaparte fast automatisch Europas linkem Lager angehörte, setzte sich auch für die Sache des Risorgimento3) ein und erklärte 1859 Österreich den Krieg. Österreich verlor die Schlachten von Magenta und Solferino gegen die französisch-sardinische Allianz, doch gegen die Erwartungen der Italiener brach Napoleon nach der Schlacht von Solferino, die mit schwersten Verlusten auch für die Franzosen geendet hatte, den Krieg ab. Österreich verlor die Lombardei, die es schon seit 1713 besessen hatte,4) behielt aber die Provinz Venedig. 1864 wandte sich der Deutsche Bund, von Österreich und Preußen geführt, gegen Dänemark, das sich anschickte, entgegen der gesetzlichen Erbfolge Schleswig und Holstein zu annektieren, auf das die Linie Augustenburg einen legitimen Anspruch hatte. Von einem rein menschlichen Standpunkt war der Krieg des Deutschen Bundes gegen Dänemark, das einer mehr als zehnmal größeren Machtanballung gegenüberstand, keineswegs anziehend. (Sogar die österreichische Flotte war von der Adria heraufgekommen, und in der Seeschlacht vom Helgoland siegte Tegetthoff über dic Dänen; die Preußen hatten keine nennenswerte Flotte.) Somit ging dieser Krieg anders aus als am Ende die revolutionäre Erhebung der Schleswig-Holsteiner im Jahre 1848–1849, die durch die Einmischung der Großmächte zugunsten der dänischen Krone entschieden worden war. Die Armeen Österreichs und Preußens überrollten die Dänen, deren König nicht nur Holstein verlor, das stets dem Deutschen Bund angehörte, sondern auch Schleswig, das die „Eiderdänen“5) ihrem Land zu erhalten gehofft hatten. Auch eine versprochene Volksabstimmung im nördlichsten Schleswig (mit dänischer Mehrheit) wurde nicht damals, sondern erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs abgehalten.

Doch gerade die Neuordnung in Schleswig-Holstein sollte zum schicksalshaften Zankapfel zwischen Österreich und Preußen werden. Die Österreicher hielten Holstein, die Preußen Schleswig besetzt. Heute noch kann man in Altona (das damals zu Holstein gehörte) im St. Pauli-Viertel neben der kleinen katholischen Kirche6) eine Erinnerungstafel für die dort im Spital verstorbenen österreichischen Krieger sehen. Österreich bestand darauf, daß nach dem Sieg die legitime Dynastie eingesetzt werde, aber Preußen warf zu diesem Zeitpunkt ein begehrliches Auge auch auf Holstein, denn die beiden „meerumschlungenen“ Herzogtümer sollten dazu beitragen, Preußen einen Zugang zur Nordsee zu geben.7)

Allerdings war der Konflikt zwischen Wien und Berlin über die Herzogtümer von nur sekundärer Bedeutung. Die Frage der Hegemonie innerhalb des Deutschen Bundes und der Führerrolle in der Schaffung eines neuen Reichs anstelle des Bundes wirkte sich viel verhängnisvoller aus. Für den Ausbruch des deutsch-preußischen Krieges war viel mehr noch die geheime und bald öffentliche Allianz zwischen Preußen und dem Königreich Italien ausschlaggebend. Sie verstieß gegen einen Hauptgrundsatz des Deutschen Bundes, demzufolge kein Mitgliedstaat einen Vertrag schließen durfte, der gegen ein anderes Mitglied gerichtet war. Im Falle eines Sieges über Österreich versprach Preußen den Italienern das gesamte Venetien.

Dieser Krieg von 1866 zwischen dem von Österreich geführten Deutschen Bund und Preußen war einer der folgenreichsten militärischen Auseinandersetzungen der Neuzeit. Preußen, der Rechtsbrecher, war siegreich und nicht zuletzt auch, weil es besser technisch ausgerüstet war. Das Zündnadelgewehr, als damals modernster Hinterlader, gab den Preußen eine derartig überlegene Feuerkraft, daß die süddeutsch-österreichische Phrase: „So schnell schießen die Preußen nicht!“ sich bald allgemein eingebürgert hatte.8) Österreich mußte dann Venetien an Italien abtreten, obwohl es die italienische Armee und Flotte besiegt hatte – bei Custoza und bei Lissa;9) nun lag die italienische Grenze wenige Kilometer vom wichtigen Seehafen Triest entfernt, und im Ersten Weltkrieg mußten die Österreicher am Isonzo anstatt am Po und westlich der Etsch für den Bestand der Monarchie kämpfen.10) Diese Abtretungen waren auch aus höherer Sicht ein Schlag gegen das Deutschtum – genau so wie die Annexion Schlesiens durch Friedrich II., die den Ländern der Wenzelskrone – Böhmen, Mähren und Schlesien – ihre deutsche Mehrheit genommen hatte, was sich 1919 und mehr noch im Jahre 1945 fatal auswirkte.

Vom Ausgang des deutsch-preußischen Krieges sagte der Kardinal Antonelli mit Recht: „Cascia il mondo! Die Welt bricht zusammen!“ Er bedeutete das Ende des Deutschen Bundes wie auch das Ende der großdeutschen Idee, also der Einigung der deutschen Länder einschließlich Österreichs unter der Führung des Hauses Habsburg. Er bedeutete auch die brutale Einverleibung einer Reihe von deutschen Fürstentümern, die in diesem Krieg auf Seiten des Bundes teilgenommen hatten – von Hannover, Kurhessen, Nassau und der Freien Reichsstadt Frankfurt, deren Bürgermeister beim Einmarsch der Preußen sich das Leben nahm. Durch diese Annexionen, die drei deutsche Fürsten zu Exulanten machten, hatte Bismarck einen wahren Bruch in der europäischen Geschichte herbeigeführt. Einverleibungen von Monarchien waren zur Zeit der napoleonischen Kriege im Schwang gewesen, doch war diese Notzeit nun vorbei. (Die Teilungen der polnischen Rzeczpospolita gehörte auf ein anderes Blatt. Ein Wahlkönigtum war durch keine Dynastie zwischenstaatlich gesichert.) Deutlich schrieb Engels im Jahre 1895, als man den deutschen Sozialdemokraten vorwarf, sie wären Umstürzler, die folgenden Zeilen:

„Diese Fanatiker des Anti-Umsturzes von heute, sind sie nicht selbst die Umstürzler von gestern? Haben wir etwa den Bürgerkrieg von 1866 heraufbeschworen? Haben wir den König von Hannover, den Kurfürsten von Hessen, den Herzog von Nassau aus ihren angestammten, legitimen Erblanden vertrieben und diese Erblande annektiert? Und diese Umstürzler des Deutschen Bundes und dreier Kronen von Gottes Gnaden beklagen sich über Umsturz? Quis tulerit Gracchos de seditione quaerentes? Wer könnte den Bismarckanbetern erlauben, auf Umsturz zu schimpfen?“11)

Es sei aber hier vermerkt, daß Österreich nach dem Frieden von Prag im August 1866 in „Süddeutschland“, also südlich der Mainlinie, seinen Einfluß behalten durfte, aber keinerlei Anstalten traf, zu den drei Ländern – Bayern, Württemberg und Baden – in eine nähere, vielleicht föderative Beziehung zu treten. Zu sehr war Österreich mit seiner inneren Neuordnung und seinem Verhältnis zu Ungarn beschäftigt um seinen Blick westwärts zu wenden. Der „Ausgleich“ von 1867 stand vor der Tür.

Die falsch gestellten Weichen

Подняться наверх