Читать книгу Verstellte Wegzeichen - Walter Buchenau - Страница 10

Оглавление

7.

Auch Steve war in der Firma nicht entgangen, dass Veronica angestrengt aussah. Nachdem sie sich anfangs beim Einarbeiten noch etwas zurückgehalten hatte, weil die häufigen Krankenhausbesuche dazwischenkamen, arbeitete sie mittlerweile fast wie besessen. Steve hatte sie im ersten Monat ab und zu ins Krankenhaus begleitet, nun aber seit längerem nicht mehr. Was sollte er auch dort? Immer nur den gleichen tristen Anblick ertragen? Vielleicht waren die bedrückenden Umstände der eigentliche Grund für Veronicas offensichtliche Arbeitswut, eine Flucht, überlegte er. Allerdings trugen ihre Anstrengungen in der Firma erfreuliche Früchte. Deswegen musste Steve auch wieder einmal nach Korea, wo ein Unternehmen in Busan ihre Ventile für den dortigen Markt in Lizenz fertigte. Dieses Geschäft könnte eventuell ausgeweitet werden. Er wollte in Ulsan die Kontakte zu einer Werft, die schon Frank geknüpft hatte, intensivieren und möglichst einen Abschluss vorbereiten. In der Zwischenzeit war Veronica vor Ort die kommissarische Leiterin des ganzen Betriebes, eine neue Erfahrung für sie. Steves Reise verlief dann recht erfolgreich, die Gespräche mit hohen Repräsentanten der Werft waren angenehm und versprachen Gutes für die Zukunft, wenn auch endgültige Abschlüsse noch ausstanden.

Eine Woche danach kam Steve wieder einmal wegen einer Nachfrage in ihr Arbeitszimmer, obwohl er das auch telefonisch hätte erledigen können. Die Vorzimmerdame registrierte penibel, dass dieses Vorbeischauen sich häutfe. Veronica bemerkte es nicht. Sie war zu sehr mit ihren Aufgaben beschäftigt. Umso mehr erstaunte es sie jetzt, dass das Geschäftliche lediglich als Vorwand diente und er sie eigentlich etwas zögerlich und umständlich, unter Erwähnung ihrer Arbeitsbelastung und der strapazierten Gesundheit, zu einem Konzert einladen wollte. Sehr ungewöhnlich fand sie. Sie kannten sich seit Jahren und sein Privatleben war nie Gesprächsthema gewesen. Sie wusste, dass er allein in einer ziemlich komfortablen Penthaus Wohnung lebte, dass er Musik liebte, denn in seinem Büro schaltete er die Anlage mit den exzellenten Bose-Lautsprechern nur aus, wenn andere sich bei einer Besprechung gestört fühlten. Aber sonst kannte sie nichts von ihm. Diana Damrau singe in der Festhalle, erzählte Steve, zusammen mit ihrem Mann Nikolas Testé, ebenfalls einem Weltklasse-Sänger. Das sei schon außergewöhnlich, dass Weltstars in die Provinz kommen, das dürfe man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Veronica mochte zwar ebenfalls Musik, aber ihr Interesse galt mehr der bildenden Kunst. Deshalb zögerte sie, trug die üblichen Einwände vor – ihr sei nicht nach Ausgehen zu Mute; es läge noch so viel Arbeit auf dem Schreibtisch. Außerdem, was würde man in der Firma von ihr denken, ihr Mann liege im Koma und sie ginge aus? Und sie wisse auch gar nicht, was sie zu dem Ereignis anziehen solle. Doch Steve ließ nicht locker, es müsste ja niemand davon wissen und überhaupt würde es gar nicht zu ihrer sonstigen, freien Einstellung passen. Sie nähme niemanden etwas weg und ihr Privatleben ginge keinen etwas an. Sie ließ sich schließlich überreden und willigte ein.

Der Abend kam und war tatsächlich ein Erlebnis. Diana Damrau in einer eleganten, ihre Figur betonenden Robe stellte sich wirklich als die Ausnahmesängerin heraus, die die Kritiker begeistert bejubelten. Die leisen Passagen in einigen Mozartarien oder ihre brillanten Koloraturen als „Königin der Nacht“ waren ein Gedicht, dazu spürte man ihre außerordentliche Bühnenpräsenz und erlebte ihr schauspielerisches Talent. In Mimik und Gestik verkörperten sie und ihr Mann die Figuren so lebensnah und plastisch, dass das allein schon den Besuch wert gewesen war. Dann der wunderbare Gesang. Ihr Mann ergänzte sie in den Duetten perfekt. Ein besonderes Ereignis für Veronica war aber, als Nikolas Testé die Arie des Philipp aus Don Carlos sang: 'Sie hat mich nie geliebt`. Wirklich ergreifend wie sein wunderbar warmer, kräftiger Bassbariton die Stimmung ausmalte. Philipp, der mächtigste Mann der damaligen Welt, allein in seinem Palastgemach nach einer durchwachten Nacht. 'Die Kerzen sind heruntergebrannt und noch immer flieht der Schlaf meinen brennenden Augen.' Und ihm geht auf, dass seine Königin nie etwas für ihn als Mann empfunden hatte, dass sie nur aus staatspolitischer Raison an seiner Seite stand. All seine Macht schützte ihn nicht vor der Einsamkeit und der bitteren Erkenntnis: 'Schlaf find' ich erst, wem man mich hat gebettet zum letzten Schlaf im Escorial….' Wirklich ergreifend. Veronica blickte verstohlen zu Steve und bemerkte, dass ihn die Musik zu Tränen gerührt hatte. So hatte sie ihn noch nie erlebt und sie fühlte sich nicht nur von der Arie des Philipp berührt.

Der Konzertabend veränderte ihr Verhältnis zueinander spürbar. Steve, der freundliche, der verlässliche, zurückhaltende, aber immer präsente, wenn Not am Manne war, so kannte sie ihn, - nun war es auch Steve, der musikalische, der ein Herz hatte und keine Scheu es zu zeigen. Sein gelegentliches Vorbeischauen im Büro empfand sie jetzt als sehr angenehm.

Verstellte Wegzeichen

Подняться наверх