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8.

Auf dem Heimweg von ihrem letzten Besuch bei Frank, vier Wochen nach Herberts Spaziergang mit seiner Schwiegertochter über den Friedhof, gerieten er und Tatjana richtig in Streit. Die Stunde bei Frank war wie üblich verlaufen, Tatjana saß am Bett, hatte wieder einmal Franks Hand in der ihren und redete mit ihm wie mit einem Kind. Herbert registrierte es genervt und bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Veronica stand am Fußende und machte keine Anstalten Tatjana am Bett abzulösen. Herbert spürte eine gewisse Veränderung in ihrer Haltung, sie war nicht mehr so angestrengt bemüht Mitgefühl zu zeigen, sondern wirkte eher wie eine erstaunte Beobachterin, die das Gesehen irgendwie einzuordnen versuchte. Die Enkel waren diesmal nicht dabei und Tatjanas Aufmerksamkeit deshalb nicht abgelenkt. Daher fokussierte sie sich mehr und mehr auf die Schwiegertochter, die so gar nicht tat, was sie ihrer Meinung nach zu tun gehabt hätte. Während sie wieder mit Frank redete, richteten sich ihre Worte eigentlich an die Frau zu Füßen des Krankenbettes. Der Tenor ihrer Worte lautete in etwa: „I c h bin und bleibe bei dir, auf m i c h wirst du immer zählen können, i c h weiß was du brauchst. Andere müssten das eigentlich auch wissen, nicht nur eine Mutter, aber das scheint ja heute nicht mehr selbstverständlich zu sein!“……..und so weiter. Veronica drehte sich zum Fenster und schwieg eisern dazu. Herbert bekam es natürlich ebenfalls mit und unterbrach seine Frau mit einem ärgerliche „Tatjana!“. Aber sie überhörte es geflissentlich, völlig erfüllt von ihrer Mission, die sie aus der Mutterrolle ableitete. Es herrscht ziemlich dicke Luft und sie drohte sich zu entladen. In der Absicht die Situation zu entschärfen, wie es Herberts Naturell entsprach, erkundigte er sich bei Veronica nach der Firma und wie sie sich inzwischen dort fühle. Sie erzählte eher beiläufig von den letzten Entwicklungen bei 'Ebert&Preuß', aber man merkte ihr an, dass ihre Gedanken noch bei den Sticheleien der Schwiegermutter weilten. Herbert brach schließlich den Krankenbesuch ab mit der gleichen Ausrede wie letztens: er wolle nicht zu lange im Dunkeln heimfahren. Auf dem Rückweg setzten sie die einsilbige Veronica noch vor ihrem Haus ab und starteten dann in Richtung Gelnhausen, beziehungsweise nach Eidengesäß, dem „Arsch der Welt“, wie Herbert zu spotten pflegte.

Dort waren sie eigentlich recht glücklich und freuten sich in der Regel darauf wieder heimzukehren.

Herbert hatte nach dem Umzug vor ein paar Jahren endlich seine handwerklichen Fähigkeiten austoben können. Im Schweinestall war sein Werkstatt-Reich entstanden mit vielen Männerspielzeugen aus dem Baumarkt: Bohrmaschinen, Trennscheibe, Fräse, Kappsäge und so weiter. Bald wuchs am Haus ein neuer Wintergarten empor, an dem er kräftig mitbaute. Das war die beste Investition für das Heim bisher, denn rasch wurde es zu ihrem liebsten Aufenthaltsort. Von dort blickte man in den Garten und weit in die Landschaft hinaus, denn hinter der Hecke an der Grundstücksgrenze begannen sofort die Felder. Tatjana trauerte längst nicht mehr um das Gärtchen in Köln. Der Bauerngarten hinter ihrem neuen Zuhause, noch vom verstorbenen Vorbesitzer angelegt, mit seinen akkuraten, in Buchs eingefassten Beeten, entsprach voll und ganz ihren Vorstellungen von Überschaubarkeit und Ordnung. Herbert hatte mit seiner umgänglichen Art im Ort bald jede Menge Bekanntschaften geschlossen, die er anlässlich der Einweihung des Wintergartens zum Umtrunk einlud. Das kam natürlich gut an. Es gab im Dorf einen Heimatverein, dem er beitrat und er gründete mit einem Lehrer und drei weiteren Interessenten einen Schachclub. An Abwechslung fehlte es ihm nicht. Und wenn Tatjana mal wieder nach Stadtluft und Kultur zumute war, dann fuhren sie rasch nach Frankfurt, gingen in eines der vielen Museen, saßen im Nizza am Main, der Anlage mit den Palmen oder besuchten ein Theater.

Diesmal hielt sich ihre Freude auf der Heimfahrt allerdings in Grenzen. Kaum ausgestiegen konnte Tatjana nicht mehr an sich halten. Ob er das denn nicht bemerkt habe, wie gleichgültig und gelangweilt sie dort herumgestanden sei. Einfach unglaublich! Wie wenig Empathie sie für ihren Sohn empfände in dieser unglücklichen Lage, immerhin sei er ihr Ehemann und der Vater ihrer Kinder. Als ob die Besuche nur noch lästige Pflichtübungen seien. Und wenn sie schon so kalt wäre und nichts mehr empfände, - traurig genug, wenn man bedenke, was Frank alles für sie getan habe, - dann sollte sie es wenigstens nicht so offensichtlich heraushängen lassen, sollte etwas Anstand zeigen und die Kontenance wahren. 'Kontenance', das war das Reizwort, das das Fass zum Überlaufen brachte. Herbert hatte sich um des lieben Friedens willen mit Antworten bisher zurückgehalten, aber bei 'Kontenance' konnte er nicht mehr. „Kontenance!!“, schnaubte er. Wo sie denn das wohl wieder aufgeschnappt habe? Da war er also wieder, dieser Adelsdünkel, der ihn schon so oft bis aufs Blut gereizt hatte. Für Tatjanas Eltern war er von Anfang an der Unstandesgemäße, der Underdog, und das blieb er auch immer. Nicht einmal zu ihrer Hochzeit waren sie gekommen, als er mit Tatjanas Zustimmung die aufwendige Inszenierung abgelehnt hatte, die die Schwiegermutter veranstalten wollte. Ohne sie zu fragen hatte sie alles bis ins Kleinste geplant, vom Menü über den Tischschmuck bis zur Gästeliste, weil das irgendwelche, ebenfalls adelige Freunde, beeindrucken sollte. Aber jung und verliebt wie sie damals waren, wollten Herbert und Tatjana lieber ein fröhlich ungezwungenes Familienfest mit allen ihren Freunden und Herberts Eltern, die sie beim ersten Kennenlernen sofort mit offenen Armen aufgenommen hatten. Ganz bestimmt sollte es keine Repräsentations-Veranstaltung werden. Da sie es also wagten, die steife Prozedur der Mutter abzulehnen, quittierte diese es mit einem indignierten Fernbleiben von der Trauung. Ihr Mann musste zwangsläufig mitziehen, was ihn bei seiner einzigen Tochter sehr grämte. Ab und zu - und Herbert meinte, dass das mit dem Älterwerden bei Tatjana nun öfters geschehen würde, - „rülpste“ bei ihr wieder dieser familiäre 'von'-Dünkel empor, Die Erziehung kann man eben nicht verleugnen.

„Was erwartest du denn?“, fragte er. „Soll sie in Sack und Asche herumlaufen und sich auf dem Boden wälzen wie die Klageweiber im Orient?“ Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Das hätte ich mir doch denken können, dass d u sie verteidigst!“, schnappte sie. „Du drückst bei ihr ja immer sämtliche Augen zu, egal was sie tut, die liebe Schwiegertochter, auch wie sie die Kinder erzogen, beziehungsweise verzogen hat!“ „Na und? Sind deine Enkel etwa liederlich oder verkommen? Was war denn so falsch an ihrer Art mit ihnen umzugehen, kannst du mir das erklären?“ „Darum geht es doch gar nicht, ich meine ganz prinzipiell hast du doch noch nie etwas an ihr auszusetzen gehabt.

Du…“ „Ja, prinzipiell!“, unterbrach sie Herbert. „Prinzipiell habe ich nämlich nichts an anderen Menschen herum zu nörgeln, solange sie mir nicht krumm kommen und das war bei ihr nie der Fall. Das ist der Unterschied zwischen uns. Dir macht es doch Spaß, andere klein zu reden oder auseinander zu nehmen, wie in eurem Kränzchen. Du hattest an Veronica schon immer etwas auszusetzen. Sie konnte dir doch 'prinzipiell' nie etwas recht machen!“ „Und dir,“ sie suchte nach Argumenten, „dir ist „prinzipiell“ doch alles recht bei ihr, weil du verknallt bist in deine eigene Schwiegertochter.“ Das 'Prinzipiell' klang dabei bei ihr wie bei einem Kind, das die Zunge herausstreckt.

„Jetzt ist es aber wirklich gut!!“ Herbert betonte jedes Einzelne seiner Worte. „Diese Frau!“, sagte er und sein Tonfall verschlug Tatjana im Moment jedes weitere Wort, „hat bis heute eine tadellose Ehe geführt, hat uns tolle Enkel beschert, hat nun faktisch ihren Mann verloren. Sie lebt seit Monaten in Spannung und Ungewissheit über ihre Zukunft. Und sie hat sich in der Firma in Franks Aufgaben hineingeschafft, so dass sie jetzt praktisch an seiner Stelle mit Steve die Firma leitet. Und dann erwartest du, dass sie am Krankenbett Pirouetten dreht oder Theater spielt?“ Tatjana wusste im Moment nichts Stichhaltiges zu entgegnen. Beleidigt dreht sie sich weg. „Du wirst es eben nie verstehen, was Haltung bedeutet.“

Herbert trat wütend aufs Gas und bog auf die Überholspur. Tatjana saugte hörbar die Luft ein. „Fahr nicht so schnell!“, keuchte sie. „Gewöhn dich daran!“, gab Herbert ungerührt zurück und überholte mit einhundertfünfundneunzig einen dicken Mercedes.

Verstellte Wegzeichen

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