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14.

Die Fortschritte bei Frank waren quälend langsam. Manches Mal erschien es, dass sich gar nichts zum Besseren bewegte. Frank wollte daher nicht, dass irgendjemand etwas von seinem Aufwachen erfuhr. Erst, wenn wirklich Hoffnung bestünde, dass er wieder….. aber soweit wagte er im Moment gar nicht zu denken. Man hatte von Seiten des Krankenhauses die Anwendungen durch den Ergotherapeuten zwar intensiviert. Doch mehr als das Heben und Senken der Lider war bisher nicht möglich.

Wieder einmal war es Joe, durch den Frank weiterkam. Joe hatte eine geheimnisvolle Art Menschen anzurühren, die mittlerweile die ganze Station kannte, aber nicht erklären konnte. Einmal war es ein autistisches Kind, das aus seiner Isolierung herausgetreten war und Kontakt mit seiner Umwelt aufgenommen hatte. Joe konnte den Ärzten nicht beschreiben, was er mit ihm angestellt hatte, es geschah bei ihm intuitiv. 'Unser Medizinmann' hieß es bald unter den Kollegen. Heike kam die Idee, er solle vielleicht eine Heiler-Ausbildung machen. In England wäre es schon längst Gang und Gäbe, dass Heiler die Krankenhäuser bevölkern. Auch bei uns sei bekannt, dass Kranke, an die besonders gedacht, für die zum Beispiel gebetet würde, schneller gesunden. Nur die Traditionalisten wollten so etwas nicht wahrhaben. Sie meinten immer noch, der Mensch wäre nur eine - zwar komplizierte, jedenfalls aber logisch erklärbare Maschine und nichts Anderes. Egal, was wer auch immer dachte, für den kleinen Jungen bedeutete Joes Intervention einen Riesenschritt nach vorne und seine Eltern waren ihm unendlich dankbar.

Dass Joe an diesem Tag mit Frank über Tiere sprach, hatte keinen besonderen Grund, es ergab sich einfach so. Vielleicht war er auf das Thema gekommen, weil er wusste, dass viele Menschen einen besonderen, emotionalen Bezug zu Tieren haben. Er hatte in seiner Jugend in Afrika einen kleinen dressierten Affen zum Spielgefährten gehabt, der Abeo hieß und bei ihm zu Hause den Status eines Familienmitgliedes genoss. Er erlaubte sich ständig allerlei Unfug. Das Klauen von Lebensmitteln war noch das Harmloseste. Er konnte auch Kleidungsstücke entwenden und sogar anziehen, was ihm keiner beigebracht hatte. Damit stolzierte er zum Ärger der Erwachsenen und zur Freude der Kinder auf dem Dach herum, außer Reichweite von Joes Eltern. Er schien ganz genau um seine Wirkung zu wissen. Joe liebte ihn sehr und beide waren unzertrennlich.

Frank signalisierte, dass er als Kind auch ein Haustier besessen habe, einen kleinen Mischlingshund, Struppi hieß er, wie der in dem Disney-Film. Dem habe er ihm Männchen machen und apportieren beigebracht. Joe erzählte weiter, dass seine Familie damals noch in einem Dorf im Norden von Nigeria lebte, wo Überfälle der islamistischen Boko Haram Terroristen an der Tagesordnung waren. Einmal wurden sie nachts von Schüssen und Geschrei geweckt und bekamen mit, wie im nächsten Moment ein Terrorist ihre Tür eintrat und in den Raum stürmte, die Kalaschnikow im Anschlag. Abeo sprang mit großem Gezeter von seinem Schlafplatz oben auf einem Regal herunter und den Mann an, der so verdutzt war, dass Joes Vater Zeit fand, nach seiner Pistole zu greifen. Der Terrorist schoss zwar noch, traf aber nur Abeo, ehe er selbst von Joes Vater getroffen wurde. Zu ihrem großen Glück war am Vorabend eine Militärstreife im Ort angelangt, von der die Terroristen wohl nichts mitbekommen hatten. Sie griff ein und schlug die Angreifer zurück. Diese zogen sich ohne den Verletzten zurück, der von der Streife abtransportiert wurde. Zum Glück war niemand getötet worden. Nur der kleine Abeo hatte den Vorfall nicht überlebt. Joe trauerte lange um ihn, seinen Lebensretter. Die Familie siedelte nach dem Angriff in den Süden um, zur Vorsicht.

Abeos Tod schien Frank sehr zu berühren. „Und was ist aus deinem Struppi geworden?“, fragte Joe. Er sah wie Tränen in Franks Augen glitzerten. „Ist ihm auch etwas passiert?“ Frank schloss die Lider einmal. „Hey!“, rief Joe plötzlich. „Was war denn das? Was hast du gemacht??!!“ Frank verstand nicht. „Du hast einen Finger gehoben! Mach das nochmal!“ Joe war ganz aufgeregt und nahe ans Krankenbett herangetreten. Frank verstand immer noch nicht. „Du hast deinen Zeigefinger gehoben und den Mittelfinger auch ein bisschen, eben gerade, als ich von deinem Hund gesprochen habe!“ Frank schaute ungläubig. „Mach's nochmal! Denk an deinen Hund, du kannst das, los!!“ Joe hing über Franks Bett und seiner Hand wie eine Raubkatz vor dem Sprung. Und tatsächlich: Frank bewege den Zeigefinger der rechten Hand. Zum ersten Mal nach diesen langen Monaten hatte er bewusst einen anderen Muskel als die Augenlider in Gang gesetzt, nur ein/zwei Zentimeter, aber er konnte es wiederholen. Er hatte bewusst von einem Körperteil Besitz ergriffen. Joe war gerührt und sofort kam ihm eine neue Idee. „Statt mit den Augenlidern kannst du jetzt mit dem Finger Signale geben!“ Sie versuchten es. Es war schwierig und diese Aktion strengte sehr an, aber es ging! Joe bekam noch heraus, dass Franks Hund überfahren worden war. Struppi hatte sich von seiner Mutter losrissen, um nach der Schule Frank auf der anderen Straßenseite zu begrüßen. Das war schon so lange her, aber es schmerzte bis heute und doch hatte es Frank ein Stück Leben zurückgegeben.

Franks neue Fähigkeit blieb erhalten und veranlasste den Ergotherapeuten zu neuen Trainingsmethoden. Der Erfolg animierte Frank selbstständig daran weiter zu arbeiten. Joe kam schon wieder mit etwas Neuem: zwei einfachen Schaltern, mit denen Frank nun selbst das Radio und den Fernseher bedienen konnte. Frank war glücklich: ein kleines Stück Selbständigkeit! Mit einem dritten Knopf war er auch in der Lage sich per Summton aktiv zu melden, wenn er etwas wollte. Nur seinen Verwandten gegenüber sollten Joe und Heike immer noch nichts verlauten lassen, jetzt noch nicht.

Verstellte Wegzeichen

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