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15.

Es war schon eine Woche vergangen, seit Tatjana im Streit das Haus in Eidengesäß verlassen hatte und sie hatte bei Herbert lediglich verlauten lassen, sie sei bei der einen oder anderen Freundin, falls Post für sie käme. Herbert war es recht. Er sah auch keine Veranlassung irgendetwas zu unternehmen, um sie zur Rückkehr zu bewegen, etwa bei der von Degendorf anzurufen. Das fiel ihm schon gar nicht ein. So schwieg Tatjana weiterhin beleidigt und Herbert kostete zu Hause seinen Freiraum aus wie schon lange nicht mehr. Er hatte sich eine Drechselbank gekauft und probierte nach Herzenslust neue Profile in Holz aus, mit denen er das Treppenhaus stilvoll verschönern wollte.

Der monatliche Besuchstermin bei Frank rückte heran, es würde der letzte vor Weihnachten sein und Herbert machte sich allein auf den Weg. Er hatte sich bei Veronica angemeldet und versprochen vorbeizukommen, um sie ins Krankenhaus mitzunehmen. Sie war erstaunt, als er allein aufkreuzte. Herbert meinte nur, seine Frau sei bei ihren Freundinnen, erwähnte aber nichts von ihrem Zerwürfnis. Kurze Zeit später liefen sie durch die längst gewohnten Gänge der Klinik, bemerkten kaum die Gerüche und Geräusche, alles wie immer, fühlten nur unterschwellig die dumpfe Gegenwart von Krankheit und Tod, von Hoffnung und Verzweiflung, mit denen die Wände imprägniert zu sein schienen. Heike nickte ihnen aus ihrem Raum zu, als sie vorbei gingen und schaute ein wenig verwundert. Als sie Franks Zimmer betraten, wussten sie warum: Tatjana saß bereits auf der Bettkante bei ihrem Sohn und hielt wie immer seine Hand. Sie drehte den Kopf um, musterte beide kurz von oben bis unten mit einem „Ach, ihr…..!“, was dem Tonfall nach schon wieder nach einer Spitze klang. Herberts gerader Blick ließ sie erst einmal nicht fortfahren. Sie tauschten ein förmliches „Hallo“ aus und Herbert fragte, um überhaupt etwas zu sagen, ob sie schon lange da sei. Während er für Veronica und sich zwei Stühle ans Bett heranzog, meinte Tatjana. „I c h bin schon eine ganze Weile hier.“ Was so viel hieß wie: 'kommst du auch endlich mal bei??'

Frank hielt die Augen fest geschlossen, doch seine Ohren waren dafür weit geöffnet. Seit er so eingeschlossen in seinem bewegungslosen Körper lag, schienen seine Sinne viel schärfer geworden zu sein. Er erkannte genau die unterschwelligen Töne bei sonst ganz belanglosen Sätzen. Vor vielen Jahren war ihm das einmal bei einem Stück von Harold Pinter aufgefallen. Ines, seine damalige Flamme und begeisterte Theatergängerin hatte ihn mitgeschleift. Sie saßen in einem Kellertheater, ganz dicht am Podest, die Darsteller zum Greifen nahe, und der einfache Dialog des Stückes, der sich vor der Hand um bloße Alltäglichkeiten drehte, war hinterlegt mit so viel Gereiztheit und Aggression, dass es Frank ganz kalt wurde. Gefühlte einhundert Jahren Ehekrieg schwangen darin mit. Der Dialog seiner Eltern klang jetzt auch danach. Herberts Erwiderung: „Auf der Straße war mittags zu viel los, da war mir die Zeit zu schade “, drückte so viel aus wie: er hätte zu Hause Besseres zu tun gehabt, als im Stau zu stehen, um fünf Minuten früher da zu sein, während sie vielleicht noch bei ihren schrecklichen Freundinnen herumlungerte. „Ich habe den Zug genommen“, entgegnete Tatjana, was durch die Blume wohl bedeutete: 'Du hast es ja nicht für nötig befunden dich um mich zu kümmern und mich vielleicht abzuholen.' „Schont die Umwelt!“, meinte Herbert lakonisch und Tatjana schluckte. „Ariane war so nett, mich zum Bahnhof zu fahren,“ ergänzte sie spitzt. Die Betonung lag auf 'Ariane' und sollte wohl besagen: '..ganz im Gegensatz zu dir.!!' Herberts Schweigen ersetzte jede Antwort. Er ließ lediglich ein kleines „Hm!“, hören und Frank vernahm in Gedanken: 'Wenn dir deine Freundinnen sooo wichtig sind, dann zieh doch ganz bei ihnen ein!' Das kam anscheinend auch so ähnlich bei Tatjana an. Sie merkte, dass sie bei Herbert eine gefährliche Grenze erreicht hatte, über die sie besser nicht hinweggehen sollte und hielt die Luft an. Die Untertöne dieses Gesprächs erreichten Frank wie in einer Simultanübersetzung, Nun war er doppelt froh, sich nicht zu erkennen gegeben zu haben, Veronica schwieg währenddessen eisern. Sie bemerkte ebenfalls, was sich kaum verhüllt zwischen ihren Schwiegereltern abspielte und fürchtete, jede Äußerung ihrerseits würde nur weiteres Öl ins Feuer gießen. Frank lauschte in diese laute Stille hinein. Von seiner Frau hatte er die ganze Zeit über nichts vernommen außer der kurzen Begrüßung ihrer Schwiegermutter. So wenig nun ein Laut von ihr herüber drang, so wenig fühlte er sich merkwürdigerweise auch davon berührt. Dabei stand sie dort ganz nahe an seinem Bett, immerhin die Mutter seiner Kinder, mit der er ein Vierteljahrhundert verheiratet war. Diesmal unterbrachen keine Schwester oder Joe die Beklommenheit im Raum, bis sich Herbert nach geraumer Zeit endlich aufraffte zu sprechen.„Ich denke, ich fahre mal so langsam wieder, fährst du mit?“ Es klang wie ein Angebot an seine Frau. „Ja,“ antwortete Tatjana schnell und fügte noch ein „Gerne“ hinzu, aus dem Frank ihre Erleichterung heraushörte, dass ihr Mann wohl bereit war, zur Tagesordnung über zu gehen. Frank beschloss nach diesem Besuch, auch in nächster Zeit nichts von seinen Fortschritten preiszugeben. Er musste sich erst darüber klar werden wie er in dieses ganze Gefüge seines bisherigen Lebens und seiner Beziehungen noch passte.

Nachdem die Familie gegangen war, kam Heike herein und installierte Joes Knopfsystem wieder. Sie hatten es vorher abgebaut, um Frank nicht zu verraten. Seit neuestem gab es auch eine Buchstabiertabelle mit dem Morsealphabet, noch eine von Joes Ideen. „Na, wie war's? Fühlst du dich gut?“, fragte sie. Das Du hatte sie mittlerweile von Joe übernommen, beziehungsweise es hatte sich einfach eingeschlichen. „Nein,“ signalisierte Frank und morste zur Erklärung: „Streit!“ Heike bekam leicht heraus, was sich zugetragen hatte. Das getrennte Auftauchen seiner Eltern war Zeichen genug. „Was willst du jetzt tun?“ „Nichts,“ morste Frank. Es wäre mit den Eltern auch halbwegs wieder in Ordnung. Nur sollte sie nochmals allen auf der Station und den Therapeuten einschärfen sein Geheimnis zu wahren, bis auf weiteres wenigsten. Dann schloss er die Augen. Für heute hatte er genug. Heike legte kurz die Hand auf die seine. „Das wird schon!“, sagte sie und ging. Nach den Spannungen während des Familienbesuchs tat ihm die Geste gut.

Verstellte Wegzeichen

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