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11.

Das Geschäft mit Korea lief schon seit ein paar Jahren, zuletzt aber nicht mehr so rund wie bisher. Eine Neuentwicklung sollte wieder Schwung in die Angelegenheit bringen und eine Reise nach Ulsan stand an. Sie hatten das neue Ventil im Angebot, das sich selbst kontrollierte und Alarm schlug, ehe es den Geist aufgab. Daher konnte es ohne langes Suchen oder gar einen Betriebsausfall ersetzt werden. Seine Entwicklung war nach Steves Marktkenntnis einmalig und sehr erfolgversprechend. Bei ihrem letzten Besuch in dem asiatischen Land noch vor Franks Infarkt und vor der Serienreife hatten sie deswegen bereits neue Kontakte angebahnt. Nun könnte eventuell ein Abschluss bei einer der ganz großen Werften des Landes gelingen und damit der Durchbruch in Fernost. Sie würden zum Global Player aufsteigen, nicht nur in Korea. Steve war zunehmend nervös, je näher der Reisetermin heranrückte. Die technischen Vorbereitungen machten ihm keine Sorgen, wohl aber die kaufmännischen. Sie waren Franks Domäne gewesen, doch der fiel ja aus.

Steve streckte gegen Abend wieder einmal den Kopf zu Veronicas Bürotür herein. Die anderen hatten längst Schluss gemacht. Draußen ging ein trüber Novembertag zu Ende, nur Veronica saß noch immer über einem Stapel von Papieren an ihrem Schreibtisch. „Feierabend!“, sagte Steve, „morgen ist auch noch ein Tag.“ Veronica schaute auf und sah müde aus. „Oder willst du heute Abend noch den Eiffelturm besteigen oder das Empire State Building?“ „Eher einen Büroturm in Korea, beziehungsweise in Ulsan,“ erwiderte sie. „Ich habe gerade nochmal das Angebot für Hyundai vor mir.“ „Genau darüber wollte ich auch mit dir sprechen.

Aber ich habe heute Mittag nichts gegessen. Vielleicht gehen wir zum Griechen und reden dort, was meinst du? Ich habe ein richtiges Loch im Bauch.“

Veronica war einverstanden und sie kehrten um die Ecke bei Panos ein. Sein kleines Restaurant war vollgestopft mit nachgemachten griechischen Statuen und Büsten. Die Bouzouki Klänge in der Luft ließen sofort eine Ahnung von Sonne, Strand und Urlaub aufkommen. Panos Haritglou, klein, stämmig, mit einem imposanten Kaiser Wilhelm Bart und rabenschwarzen Haaren, obwohl er die sechzig sicherlich hinter sich hatte, begrüßte sie wie alte Freunde persönlich und ließ es sich nicht nehmen ihnen gleich den ersten Ouzo zu kredenzen. Als Aperitif, meinte er. Später würden sicher weitere folgen, betitelt als Magenwärmer oder Verdauungshilfe oder zum Abschied. Einen Anlass fand Panos immer! Es war nicht sehr viel los an diesem Wochentag und Veronica und Steve zogen sich in eine der Nischen zurück, wo sie ungestört waren. Sie redeten natürlich über das Geschäftliche, das aber eigentlich schon alles geklärt war. Veronica hatte die Reise gut vorbereitet. Sie bestellten Suflaki und einen Hirtensalat und genehmigten sich einen Schluck Roten, bis das Essen kam. Mitten im Kauen fragte Steve dann plötzlich: „Willst du nicht mitkommen?“ Verblüfft schaut Veronica auf. „Wohin?“ - „Nach Korea!“ Steve nickte ihr aufmunternd zu. Sie zögerte. „Das kommt jetzt ein bisschen plötzlich. Darauf war ich nicht vorbereitet!“ „Na und?

Was hältst du von der Idee?“ Veronica holte Luft. „Ich weiß nicht. Was soll ich denn dort?“ „Verhandeln!“, sagte Steve. „Ich weiß doch, dass du das kannst. So wie kürzlich bei Bayer. Du hast es doch drauf, das Kaufmännische.“ Bei dem Chemieriesen hatte sie vor einiger Zeit zum ersten Mal stellvertretend für Frank an einer entscheidenden Verhandlung teilgenommen und am Ende einen Auftrag eingefahren. „Also!?“, beharrte Steve. Veronica wand sich ein bisschen. „Das geht mir zu schnell. Lass mich erst einmal darüber nachdenken.“ Der Gedanke erschien ihr schon reizvoll, andererseits war da aber auch viel Unbekanntes. „Ich kenne doch überhaupt nichts von dem Land, den Gebräuchen dort und der Mentalität der Asiaten. Du warst schon da. Ob eine Frau für solche Verhandlungen überhaupt die richtige ist?“ Steve ließ das alles nicht gelten. „Die Koreaner sind gar nicht so, die haben sich längst an den Westen angepasst.- im Wesentlichen,“ ergänzte er auf ihren skeptischen Blick hin. „Außerdem sind die Verträge vorformuliert. Unsere Bedingungen sind klar, du weißt wie weit wir gehen können. Den Rest überlasse ich deiner weiblichen Intuition!“ Veronica war noch nicht überzeugt, versprach aber darüber nachzudenken.

Die Reise-Idee beschäftigte sie in den folgenden Tagen mehr, als sie sich eingestehen wollte. Es wäre natürlich eine gute Gelegenheit ihre Stellung in der Firma ganz neu zu definieren. Bisher fühlte sie sich noch als Aushilfe, als rechte Hand von Steve, eine Stütze wegen der ausgefallenen Geschäftsleitung. Dort in Ulsan würde sie offiziell in leitender Funktion auftreten. Noch kannte sie wenig von diesem Land, hörte allenfalls, wenn der Nordkoreaner wieder einmal mit der Vernichtung der Welt drohte oder Trump den Verbrecher hoffähig machte. Doch wie die Menschen in Südkorea lebten, fühlten und arbeitete, immerhin in einer der führenden Wirtschaftsnationen Asiens, davon wusste sie nichts. Welche Traditionen noch lebendig waren, wie sich das ganze Land anfühlte, das reizte schon sehr. Sie hatte erlebt, wie man ein Land trotz allen angelesenen Wissens ganz anders wahrnimmt, wenn man selbst dort ist. Wenn man registriert, wie es dort riecht, welche typischen Geräusche in der Luft hängen wie z.B. das Knattern der Tuck-Tucks in Indien und der Geruch der Gewürze, oder die Art, wie die Menschen miteinander umgehen, wenn sie die Hände vor der Brust falten und mit einem Lächeln „Namaste!“ sagen. Diese spezielle Atmosphäre eines Ortes lässt sich mit Worten schwer beschreiben. Als die Mauer noch stand, musste sie einmal wegen einer Kunstausstellung ins damaligen Ostberlin. Sie sollte für die Mediengruppe berichten, bei der sie arbeitete. Schon die Einreise war recht gewöhnungsbedürftig, die Grenzer muffig und ziemlich arrogant. Aber darüber hätte sie noch hinwegsehen können. Doch als sie allein vor dem Bahnhof Friedrichstraße stand, fiel ihr schlagartig die Bedrohung auf, die zwischen den Häuserfronten hing wie ein dunkler Schatten über ihrem Kopf. Nichts deutete augenscheinlich auf die Zustände in diesem Land hin, und trotzdem fühlte sie beim Atemholen eine Beklemmung, als ob ihr ein Stein auf der Brust läge.

Veronica begann sich im Internet über Korea zu informieren. Sie fand jede Menge Bilder, die einen modernen Industriestaat zeigten mit verwegen anmutender Architektur und riesigen Industrieanlagen, aber auch mit idyllischen Tempeln und Häusern mit geschweiften, niedrigen Dächern. Die abgebildeten Frauen schienen Kleider in allen nur denkbaren Pastellfarben zu lieben, die wie Biedermeierroben unter der Brust gebunden waren und dann locker nach unten fielen. Aber in den Straßen liefen die Mädchen und Frauen im modernen Look herum wie bei uns. Die Männer ergötzten sich anscheinend gerne bei fremdartig anmutenden, traditionellen Ringkämpfen. Je mehr sie sah, um so neugieriger wurde sie. Die Aussicht dieses Land zu besuchen war schon verlockend. Und dass vielleicht sie es sein könnte, die für ihre Firma eine neue Epoche einleiten würde, schmeichelte ihr ebenfalls. Zu Hause, also in ihrer Familie, wurde sie nicht wirklich gebraucht. Den Kindern musste sie eher nachreisen, um sie einmal zu Gesicht zu bekommen. Sie standen nicht andauernd vor der Haustür. wie bei einem befreundeten Ehepaar, deren Sprösslinge regelmäßig daheim erschienen, bepackt mit schmutziger Wäsche und mit leerem Portemonnaie. So etwas fehlte ihr wahrhaftig nicht und von ihren Söhnen kannte sie so etwas auch nicht! Also sagte sie Steve zu.

Verstellte Wegzeichen

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