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9.

Im Gegensatz zu seinem stillen, ernsthaften Bruder war Caspar eher ein Abbild Veronicas oder auch seines Großvaters Herbert. Immer lebhaft wurde er zu Hause als Nesthäkchen etwas nachsichtiger behandelt, war immer für eine Überraschung gut und zu allerlei extravaganten Unternehmungen bereit. Dabei machten ihm Klettertouren auf alle nur irgendwie dafür geeigneten Bäume großen Spaß und Veronica hielt die Luft an, wenn sie es mitbekam! Ein andermal installierte er einen Freiluftkäfigs auf seinem Fahrrad für seinen Wellensittich und das waren noch die harmlosesten Einfälle. Einmal wollte er mit ein paar Freunden zu einem Schulfest einen Heißluftballon steigen lassen, um den Namenszug der Schule und seiner Klasse über den Gästen schweben zu lassen. Vom Baugrundstück neben der Schule sollte er aufsteigen und vom Wind über den Schulhof getrieben werden. Unter strenger Geheimhaltung hatten sie in der väterlichen Garage eines Klassenkameraden Plastikplanen zurechtgeschnitten und zu einem Ballon zusammengeklebt, die Öffnung unten mit Draht versteift und eine Gaskartusche samt aufgesetztem Campingkocher daran befestigt. Am Tag des Festes brachten sie ihre Konstruktion heimlich zum ausgesuchten Ort und entzündeten das Gas am Brenner. Die Konstruktion blähte sich auch tatsächlich etwas auf, das Vehikel erhob sich sogar, bewundert von einigen Mitschülern, die inzwischen von nebenan herübergekommen waren, aber er kam gerade mal bis auf etwa drei Meter über den Boden. Dann fegte eine Windbö den Ballon zur Seite, die Plane fing Feuer, fiel zurück auf die Erde und ihr schönes Werk war dahin. Einige Mitschüler konnten sich gerade noch rechtzeitig zur Seite retten. Der Aufstand daraufhin war natürlich groß, zuerst in der Schule, dann auch zu Hause. Veronica schimpfte, aber mehr aus Erleichterung, dass nichts Schlimmeres passiert war. Nur Frank konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen über die Ideen und die Energie seines Jüngsten. Zwei Jahre nach Florian hatte dann auch er seinen Schulabschluss in der Tasche, so nebenbei, ohne dass der Vorgang besonders aufgefallen wäre. Zur Überraschung seiner Umgebung verkündete er, dass er in Wuppertal ein duales Studium aufnehmen und BWL studieren wolle. Auf diese Idee wäre niemand in der Familie gekommen. Dort kursierten ganz andere Überlegungen. Bei ihm hätte man eher an Kommunikationswissenschaften oder Journalismus gedacht wie bei seiner Mutter. Doch in der Oberstufe während eines Praktikums in der elterlichen Firma musste Steve ihm wohl schmackhaft gemacht haben, wie es wäre, einmal Chef im väterlichen Betrieb zu werden. Das gefiel ihm. Nun wohnte er also in Wuppertal, lehnte es ab von den Eltern Geld zu nehmen, denn er verdiene ja schon in seinem Ausbildungsbetrieb, einem Hersteller von diversen medizinischen Ausrüstungen. Er wollte seinen Studienkollegen gegenüber, keine Sonderstellung einnehmen und auf keinen Fall das Fabrikantensöhnchen sein, dem alles irgendwo hineingeschoben werde. Interessant war, dass seine Studentenbude im Gegensatz zu seinem Zimmer daheim erstaunlich aufgeräumt aussah wie Veronica bei einem Besuch verwundert feststellte. Dann schnappte aber heraus, dass dies nicht unbedingt auf ihn zurück ging und kein Wuppertaler Virus ihn angesteckt und urplötzlich zum Hausmann gemacht hätte, sondern dass er in dem Wohnheim Franzi kennengelernt hatte! Die adrette Rothaarige aus der Heidelberger Gegend war vor gar nicht so langer Zeit ebenfalls in den Gebäudekomplex eingezogen und wollte Lehrerin werden. Sie hatte die Zügel bei Caspar offenbar schon fest im Griff. Veronica amüsierte sich. Zwar wusste sie aus Erfahrung, dass ihr Kleiner nie allein bleiben würde, doch bei dieser Franzi konnte sie sich sogar vorstellen, dass es nicht nur vorübergehend war. Ihr Charmeur von Sohn und dieses erfrischend muntere Mädchen passten gut zueinander.

Trotzdem war Caspar keineswegs leichtfertig oder oberflächlich. Die Krankheit seines Vaters beschäftigte ihn sehr, allerdings auf ganz andere Weise als bei Florian. Seine Gedanken kreisten nicht um unbekannte Sphären. Ihn beschäftigte, was man ganz praktisch hier tun könnte. Irgendwo müsste es doch einen Ansatzpunkt geben, um seinen Vater zurück zu holen. Er redete lange mit Mitarbeitern in seiner Firma, die sich in der Medizin etwas auskannten. Er fand im Netz jede Menge Berichte über Patienten, die plötzlich und unerklärlich aus dem Koma aufgewacht waren. Er las in Fachzeitschriften über das Mikrobiom. So nennt sich die Gesamtzahl der Bakterien, die wir im Darm tragen. Ihr Einfluss - auf das Gehirn sei riesig. Die Idee faszinierte ihn. Ein „Bauchhirn“! Wie funktionierte das?? Wie der Zufall so spielte, liefen in letzter Zeit im TV ebenfalls einige Sendungen über dieses Thema. Er lud sie sich herunter und studierte sie intensiv. Sein Interesse an der Medizin stieg. Hirnzellen, könnten schon eine halbe Stunde nach einem Reiz mit dem Aufbau neuer Verbindungen zu anderen Nervenzellen beginnen, las er. Dort müsste man beginnen um für seinem Vater etwas zu bewirken. Der Gedanke haftete.

Franzi kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er sich rasch für etwas Neues begeistern konnte und nahm seinen Enthusiasmus anfänglich gelassen. Doch diesmal war es anders. Eines Abends überraschte er sie mit der Nachricht, dass er sich nach einem Studienwechsel erkundigt habe. „Und was soll's werden?“, fragte sie nicht sonderlich interessiert, sie kannte ihn ja. „Medizin,“ sagte Caspar. „Medizin?“ Sie konnte ihre Verblüffung nicht verbergen, fing sich aber gleich wieder und meinte: „Naja, - und in einem Jahr bist du dann Professor und rettest deinen Vater!“ Caspar überhörte ihre Spitze. „Ich meine es ernst.“ Seine Stimme klang wirklich danach. „Da könnte man vielleicht noch etwas bewirken, verstehst du, etwas das wirklich Sinn macht!“ „Das kannst du mit BWL auch.“ „Was denn?“, fragte Caspar. „Ein paar Renditen steigern, die Verkäufe hochfahren und die Shareholders glücklich machen? Damit diese „Nullen“ noch ein paar Nullen mehr vor dem Komma haben? Und falls ihnen das zu wenig ist, dann treten sie dich in den Hintern!?“ „Immerhin hast du dir das Studium ausgesucht.“ Eine bessere Erwiderung fiel ihr nicht ein. Außerdem kalkulierte sie bereits wie lange ein Medizinstudium dauern würde. Sie hatten sich beide längst darauf gefreut in zwei, spätestens drei Jahren mit allem fertig zu sein. Dann könnte das Leben richtig beginnen. „Und jetzt suche ich mir eben ein anderes Studium aus. Man kann doch seine Meinung ändern?“ „Geht das denn überhaupt? Was ist mit dem Studienplatz, dem numerus clausus?“ „Habe ich schon eruiert. Meine Noten würden reichen.“ Das Lernen hatte ihm noch nie sonderlich Schwierigkeiten bereitet. Außerdem war ein Mediziner aus seinem Betrieb mit dem Ordinarius an der Uni befreundet. Er würde ihm ein gutes Zeugnis über seine Arbeit in der Firma ausstellen.“ Damit beließen sie es vorerst. Insgeheim rechnete Franzi damit, dass sich seine Begeisterung schon wieder legen würde.

Verstellte Wegzeichen

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