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12.

Es herrschte ein richtiges Mistwetter in Eidengesäß und wenn der Besuch nicht schon lange angekündigt gewesen wäre, weil Tatjanas Freundinnen sowieso zu einer Vernissage nach Frankfurt wollten, dann hätten sie sicher abgesagt. Andererseits waren sie aber auch sehr neugierig, was sich in den Jahren seit ihrem ersten Besuch alles getan hatte. Damals waren sie kaum eine Woche nach Herbert und Tatjanas Umzug voller Wissbegierde hereingeschneit. Es war noch überall Chaos im neuen Heim, und sie standen den beiden beim Einräumen eigentlich nur im Weg herum. Ein weiterer Besuch hatte sich seitdem nicht mehr ergeben. Jetzt brannten sie darauf alles zu begutachten und vor allem, wieder einmal zu dritt Gott und die Welt ausgiebig durchzukauen. Gelegenheiten dazu gab es für ihren Geschmack viel zu wenige, weil Tatjana zu selten am alten Wohnort vorbeischaute.

Herbert hatte sich durchgerungen eine Stachelbeer-Baiser-Torte für das Kränzchen zu backen, eine seiner Fähigkeiten schon seit Kindheitstagen, als er beim Backen an Mutters Kittelschürze zu hängen pflegte, um die Teigschüssel auszulecken. Nebenbei hatte er sich ihre Backrezepte gemerkt und mit zehn seinen ersten Kuchen selbst gebacken. Jetzt wollte er seiner Frau zeigen, dass er nichts gegen ihre Freundinnen hätte, - solange er nicht an dem Gespräch teilnehmen müsse! Der Haussegen hing seit der Heimfahrt vor zwei Wochen immer noch etwas schief. Tatjana konnte ziemlich nachtragend sein, obwohl ja in Wirklichkeit sie ihm mit ihrer anzüglichen Bemerkung wegen der Schwiegertochter auf den Schlips getreten war. Herbert fiel es im Moment auch nicht ein, einen Schlusspunkt zu setzen. Denn wenn es jemand schaffte, ihn so zu ärgern, wie sie letztlich, dann wurde er stur. Trotzdem ging ihm die Situation gegen den Strich. Das Dilemma bestand darin, dass ein Einlenken von ihr erfahrungsgemäß nicht zu erwarten war. 'She never gives up, she never gives in,' dachte er und summte die Melodie vor sich hin, als er den Puderzucker über die Torte streute. Die Torte war also eine Art Friedensangebot.

Die Besucherinnen kamen an und hatten nichts Eiligeres zu tun, als unter Tatjanas Führung neugierig das ganze Haus zu durchstreifen. Sie liefen von oben bis unten, begutachteten alles und jedes und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätten sie auch noch in die Schränke geguckt. Gelegentlich ließen sie ein „Ach, wie nett“ oder „Sehr geschmackvoll!“ hören, wobei nicht ganz klar war, ob das herablassend oder vielleicht etwas neidisch war, je nachdem welche der beiden Damen es sagte. Die zwei Dachzimmer mit den sichtbaren Deckenbalken, die Herbert für Gäste ausgebaut hatte, fanden die Freundinnen „Süß! Wie ein Puppenhaus“ und Ariane zog in der Tür übertrieben den Kopf ein. „Naja, die Leute waren früher auch kleiner,“ meinte sie. „für mich wären solche Räume nichts,“ wohl eine Anspielung auf ihre Altbau-Villa in Köln. Schließlich nahmen die Damen zum Kaffee im Wintergarten Platz. Draußen prasselte gerade wieder ein Schauer aufs Glasdach. Dieser Anbau fand Gnade vor ihren Augen und sie widmeten sich dem Kuchen. Aber nur nebenbei, denn jetzt war hauptsächlich Reden angesagt. Tatjana erwähnte, dass Herbert die Torte gebacken habe. Die beiden fanden das auch wieder „sehr nett,“ um gleich weiter zu schnattern.

Als Wortführerin in der Runde fungierte Tatjanas noble Freundin Ariane von Degendorf. Der Name klang schon nach Programm. Sie konnte mit Worten jeden gnadenlos niedermetzeln, besonders wenn es sich um Personen 'nicht von Stand' handelte. Solche Fertigkeit erreicht man nur durch jahrelange Übung. Verglichen mit ihr war der gelegentliche Adels–Dünkel von Tatjana völlig harmlos. Herbert fand es schon immer unergründlich, wie man mit so einer Person befreundet sein konnte. Vielleicht sonnte sich seine Frau in der adeligen Gegenwart der „Von“ oder war davon angetan, wenn diese mal wieder auftischte, wen sie alles wann und wo und warum getroffen hätte,- nur Prominente, versteht sich, oder was sie dafür hielt. Die Dritte im Bunde schien dagegen nur als schmückendes Beiwerk der Hauptperson anwesend zu sein, denn als solche betrachtete sich diese Ariane selbstverständlich. Der Name der Dame: Schmitz, Renate, nichts „von“ oder „zu“, nur Schmitz. Das mochte allenfalls als rheinischer Adel durchgehen wie Schmitzebill oder Schmitz-Hannes, doch mit einer echten „von'“ konnte es selbstverständlich nicht konkurrieren. Außer gelegentlichen Ausbrüchen von Geschwätzigkeit, welche sie aber gleich wieder stoppte, so als stünde ihr das nicht zu, beschränkte sich Frau Schmitz aufs Zuhören und Zustimmen. Ein dankbares Publikum für die von Degendorf.

Franks Schicksal bot dem Trio genügend Anlass zu ausgiebigen Diskussionen und Spekulationen. Dazu kamen eigene Berichte über Krankheiten oder schwere Schicksale, von denen jeder schon einmal gehört hatte. Der Fall einer Bekannten wurde erörtert, deren Mann während des Hausbaus am Herzinfarkt verstorben war, tragisch, tragisch. Als Tatjana Herberts tatkräftige Mithilfe am Wintergarten ansprach, zeigten sich die Damen davon wieder einmal angetan, wenn auch nicht zu sehr, denn Ehemänner standen wegen ihres Geschlechtes per se unter ihrem Rang. Und Hausbau war schließlich deren Pflicht. Was die Torte anbelangte, wie schon gesagt: schön, schön, eine ordentliche Bewirtung war auch schließlich nur standesgemäß. Schon redeten sie weiter. Herbert zog sich dezent zurück und hörte noch im Hinausgehen, wie 'unmöglich' oder 'skandalös' irgendetwas oder irgendwer wäre. Dazu brauchte es keine besonderen Anlässe, auszusetzen gab es immer etwas.

Nach einer Stunde kam er nochmals in den Wintergarten, um sich zu verabschieden, denn der Schachclub wartete. Bei seinem Erscheinen verstummte das Gespräch schlagartig und die Damen musterten ihn mit kleinen Seitenblicken, ohne ihm richtig in die Augen zu schauen. „Ist etwas?“, fragte Herbert ein bisschen amüsiert. „Habe ich etwas an mir?“

„Was soll schon sein,“ antwortete seine Frau. Dabei tauschten die Drei Blicke unter sich aus. „Man macht sich eben so seine Gedanken.“ „Wie schön für dich,“ sagte Herbert. Er hörte aus dem Tonfall seiner Frau, dass die Gegenwart ihrer Freundinnen wohl Wasser auf ihre Mühlen gegossen hatte, vielleicht bezüglich ihres noch immer nicht ausdiskutierten Zwists. Aber er empfand keinerlei Lust auf Erörterungen und drehte sich zum Gehen. „Hätte ich mir ja denken können, dass dich das nicht interessiert, wer hört schon gerne die Wahrheit!“, meinte Tatjana anzüglich. „Bei der Wahrheit sind die Männer absolut nicht mehr mutig,“ ergänzte Ariane. „Das stimmt!“, pflichtete auch die dritte in der Runde geflissentlich bei. Sie hätte auch dem genauen Gegenteil zugestimmt, Hauptsache die 'von' hatte es gesagt. „Und welche Wahrheit wäre das bitte?“ Herbert wandte sich direkt Ariane zu und fühlte, wie die Provokationen bei ihm langsam Wirkung zeigten. „Es geht um Anstand und Benehmen,“ gab diese zurück und hob die Nase noch etwas höher.“ „Genau! Deine merkwürdige Beziehung zu deiner Schwiegertochter nämlich, die du ja bei jedem Fehlverhalten entschuldigst und in Schutz nimmst wie deine Geliebte!“ „Skandalös!“, zischt die von Degendorf halblaut. „Finde ich auch,“ die Schmitz nickte mal wieder. Das war bei Herbert dann ein Wort zu viel. „So, so! Skandalös!“, sagte er und baute sich gerade vor dem Trio auf. „Skandalös finde ich wie hier in der Runde offenbar Vorurteile gepflegt und Urteile gefällt werden und zwar über Sachverhalte, die sie gar nicht kennen und auch nicht wirklich interessieren. Oder besser gesagt, die sie überhaupt nicht zu interessieren haben! Sich das Maul zu zerreißen ist ja viel amüsanter als ein paar Gramm Gehirnschmalz auf eine objektive Betrachtung zu verwenden!“ „Ich muss doch sehr bitten!“, meinte die Wortführerin des Trios, doch zu mehr kam sie nicht, denn Herbert kam jetzt richtig in Fahrt. „Und wenn sie schon von Anstand und Benehmen reden, oder was sie dafür halten, wo bleibt der denn bei ihnen? Was hier wirklich angebracht wäre, das wäre ein bisschen Mitgefühl! Und zwar nicht so sehr mit meinem armen Sohn, denn der merkt ja leider nichts davon, sondern mit seiner Frau und seinen Kindern, die seit Monaten unter dieser Situation leiden und in Ungewissheit leben müssen. Oder ist man in ihren Kreisen dazu nicht fähig?“ Herbert machte eine herausfordernde Pause. „Das muss ich mir nicht bieten lassen, von so etwas wie Ihnen schon gar nicht. So hat noch niemand zu mir gesprochen“, empörte sich die von Degendorf, während Tatjana und die Schmitz betroffen erstarrten. „Dann wird es aber höchste Zeit, dass sie 'von so etwas' wie mir einmal aus ihrem adeligen Storchennest heruntergeholt werden.“ Herbert funkelte sie grimmig an. „Und um nochmals auf Anstand und Benehmen zurück zu kommen: Was ist denn das für ein Benehmen, wenn Sie hier zu Gast sind und über den Gastgeber in seinem eigenen Haus herziehen?“ „Herbert, jetzt reicht es aber,“ zischte seine Frau. „Es ist auch mein Haus und es sind meine Gäste!“ „Deshalb werde ich mir von 'so etwas' noch lange nicht sagen lassen, was ich zu tun oder zu lassen habe!“ Das Soetwas wiederholte er im gleichen Tonfall wie die von Degendorf vorher und seine Geste mit dem Daumen in ihrer Richtung unterstrich seine ganze Verachtung.

„Wir gehen!“, beschied diese und richtete sich mit einem Ruck auf. An ihrer Arroganz prallte jede noch so berechtigte Kritik wirkungslos ab. Die Schmitz wagte keinen Widerspruch. „Super, wie du das hingekriegt hast, meine Freundinnen derart vor den Kopf zu stoßen! Einmalig!“ Tatjana kochte. „Wartet auf mich.“ Sie verschwand im Haus, während die Damen wortlos den Wintergarten verließen und sich in der Diele anzogen. Herbert stand ebenfalls stumm mit verschränkten Armen im Durchgang und musterte die Gruppe. Tatjana kam erstaunlich rasch wieder die Treppe herunter, in der Hand eine kleine Reisetasche, die sie immer für die Wochenendausflüge gepackt hatte, und sagt zu den Wartenden. „Ich komme mit!“ Herbert macht keinerlei Anstalten sie zurückzuhalten.

Verstellte Wegzeichen

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