Читать книгу Verstellte Wegzeichen - Walter Buchenau - Страница 4

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1.

Was ist das? - Wo bin ich? - Wer bin ich? Bin ich überhaupt - oder nicht? - Warum frage ich das? - Wieso weiß ich es nicht? Fragen türmten sich auf, Antworten aber verschwanden im Nebel. Verwirrt ließ er den Eindruck auf sich wirken. - Das ist so - neu. Und alles ist so anders als … .- als was? Oder wo?

Er war äußerst verwirrt. Vor seinen Augen sah er alles in Weiß, überall nur weiß. Aber es war da, wirklich gegenwärtig, stellte er fest! Seine Augen wanderten ein wenig zur Seite, doch der Impuls den Kopf ebenfalls zu drehen, ließ sich nicht ausführen. Das Weiße in seinem Blickfeld knickte seitlich ab, da war eine Kante, unter der es etwas dunkler weiter ging, aber schon wieder blasser wurde. Dann kamen zwei weitere Linien und anschließend wurde es sehr hell: blau oder grau, etwas dazwischen. Es blendete und seine Augen schwenkten zurück. Er schaute erneut geradeaus auf das Weiß wie eben und senkte den Blick ein wenig. Auch dort erschien am Rande des Weißen eine solche Kante, danach kam ein anderes Weiß mit Strukturen darin und wenn er den Blick ein Stückchen zur Seite rückte, zeigte sich etwas tiefer ein brauner, schmaler Winkel neben einer glänzenden Fläche. Noch etwas weiter seitlich schimmerte es grün. Eine Wiese ist grün, fiel ihm ein, ein Busch oder ein Baum ist grün. Aber nicht flach wie dort. 'Ein Bild vielleicht', dachte er! Das schien sehr real zu sein und hatte nichts zu tun mit diesen anderen Bildern, die in ihm noch so lebendig waren. Eben war er noch durch sie hindurch gewandert oder besser gewatet und sich gezwängt. Manchmal war er auch geflogen, natürlich konnte er dort fliegen. Nur zum Schluss musste er in den Sumpf zurück, dem er erst eben entkommen war. Seine Augen tasteten noch einmal das Weiße ab, das sie zuerst ausgemacht hatten. Eine Idee kam geschwebt, aber es war mühsam, sie einzufangen. Es dauerte eine Weile, bis er sie denken konnte: 'Ein Zimmer! Ich bin in einem Zimmer. - Aber wo? Und Warum? Und weshalb kann ich den Kopf nicht drehen?' Es ängstigte ihn. Er schloss die Augen, zog sich für den Moment zurück aus dieser weißen Kälte, spürte sich in eine andere Realität zurück, obwohl das Zimmer und selbst das strukturlose Weiß vor seinem Blick noch sehr gegenwärtig und greifbar waren. Was aber war wirklich?

Die Bilder innen erschienen ihm viel vertrauter. Nicht dass es immer angenehm gewesen wäre. Er erinnerte sich jetzt, wie er ganz zu Anfang auf einem Berggrat einer schemenhaften Gestalt folgte. Keine Ahnung, wer das sein mochte und weshalb es ihn dorthin verschlagen hatte. Alles um ihn herum wirkte düster und der Himmel war sternenlos verhangen. In der Ferne am Ende des lang gezogenen Bergrückens glühte der Horizont orangerot.

Als sie näherkamen, öffnete sich vor ihnen eine baumlose, tiefe Senke. Unten brodelte ein Lava-See und spuckte orange Fontänen in die Höhe. Die Luft war drückend und die Glut tünchte den Himmel in die verschiedensten Rotschattierungen. Die Wolken schwebten niedrig wie der Deckel auf einem Topf, aus dem es kein Entrinnen gab. Die Gestalt vor ihm hatte sich verflüchtigt. Er stand nun alleine da, abseits des Glutsees und steckte plötzlich in einer zähen, braunen Pampe, die überall am Körper haftete und ihn festhielt. Was war das? Er wollte nur heraus, das Einzige, was ihm klar war. Aber wie? Er hatte keine Vorstellung und keine Richtung. Alles war undurchdringlich und beängstigend. Zeit existierte hier nicht, ebenso wenig wie Erinnerungen oder eine Zukunft. Ein Zustand ohne jede Orientierung. Er konnte weder sagen, wer er war, noch was er war, nur dass er war. Und hatte keine Idee, wozu das alles. Einzig seine nicht enden wollenden Bewegungen in diesem Laufrad aus Schlamm waren jetzt Realität.

Unmöglich abzuschätzen wie lange er in dem Sumpf gefangen war. Irgendwann hatte er sich dann doch herausgearbeitet. Die Gegend veränderte sich danach dramatisch. Eine sanfte Hügellandschaft breitete sich vor ihm aus mit Wiesen, Bauminseln und sonderbaren Gebäuden, von denen er nicht wusste, wozu sie dienten. Gestalten tauchten auf, die ihm vertraut vorkamen, ohne dass er konkret jemanden erkannt hätte. Sie gingen stumm an ihm vorbei. Und dann gab es da einen Vogel - oder einen Schmetterling - etwas, das ihn umschwebte und ihm wohlgesonnen zu sein schien. Wie eine große Hummel oder eine Libelle, aber geformt aus - Licht! Durch sie hindurch konnte er die Hügel dahinter sehen. Dieses Licht tröstete ihn. Es sprach mit ihm, aber ohne Worte: er solle nicht traurig sein, das Schwerste habe er schon geschafft. Nur weiter so! Es war ein freundliches Wesen. Eine Elfe aus einem Märchen? Aber sie hatte nichts Unbestimmtes, Verschwommenes an sich, sondern war trotz ihrer Durchsichtigkeit ganz handfest und gegenwärtig.

In dieser neuen Umgebung konnte er sich wirklich wohl fühlen. Sie war hell und warm, und er wanderte ziel- und absichtslos auf kleinen Trampelpfaden umher. Die freundliche Zuwendung dieses allgegenwärtigen Kolibris oder was es auch immer war, tat gut und ermunterte ihn zu weiteren Erkundungen. Einmal entdeckte er ein Tal zwischen den Hügeln, einen Wiesengrund, schmal und baumbestanden. Die Äste der Eichen und Trauerweiden hingen bis auf die Grasnarbe hinab und strahlten Geborgenheit aus. Er spürte die Feuchtigkeit der Halme unter den nackten Füßen und es war ihm, als ob er tanzen müsste, einfach sich drehen, die Arme ausbreiten und herumwirbeln. Er wollte die ganze Landschaft umarmen. Dabei saugte er den Geruch von Frische und Grün in sich ein. Er kreiselte so lange, bis es ihn schwindelte und er sich ins Gras fallen ließ. Das was sein Tal, es gehörte ihm, sein Eigentum, er spürte es, hier konnte er glücklich sein!

Wie lange er dortgeblieben oder später weiter durch die Landschaft gestreift war, die ihm immer neue, überraschende Ausblicke bot, wusste er nicht. Stets war er begleitet von dem sanften Helfer. Aber immer auch auf der Suche nach jemandem oder einem bestimmten Ort, obwohl er keinerlei genauere Vorstellung davon hatte. Dabei wurde er nicht ungeduldig. Nein, wirklich nicht, die Umstände hier bedrückten nicht. In dem braunen Sumpf war das anders gewesen. Er wusste hier instinktiv, dass er eine Bestimmung hatte. Dann erblickte er plötzlich einen Berg, einen einzigen. Groß und unübersehbar, wie ein gewaltiges Ausrufezeichen erhob er sich vor ihm in der Ebene. Auf ihn musste er hinaufsteigen, das war ganz eindeutig. Auch sein lichter Helfer ermutigte ihn dazu. Also ging er es an. Seltsam nur, dass es sich gar nicht wie Bergsteigen anfühlte, sondern eher wie fliegen. Er musste nur wollen, schon funktionierte es. Wenn er sich nicht konzentrierte, fiel er wieder zurück. Lange ging es so bergauf, bis sich irgendwann plötzlich nichts mehr vor ihm befand - buchstäblich nichts, weder oben noch unten oder seitlich, rechts und links – nichts. Null. Nur Schwärze. Ein abgrundtiefes Nichts! Doch das erschreckte gar nicht. Eigentlich haben wir Augenmenschen doch in aller Regel Furcht vor der Dunkelheit und dem, was dort auf uns lauern könnte. Doch zu seinem größten Erstaunen fühlte sich dieses Nichts unglaublich wohl an! Es war Lust, es zu sehen, es lockte ihn dort hinein zu gehen, sich ganz in das Schwarz zu stürzen um aufzugehen in der absoluten Dunkelheit. Es gelang ihm nicht. Sein Begleiter bedeutete ihm - wobei er nicht hätte sagen können, womit oder wodurch, - er wusste einfach, dass er noch warten müsse. Er wäre noch nicht so weit, signalisierte er. Und schon befand er sich wieder unten in seinem Tal.

Wieder verging viel Zeit, die sich trotzdem nicht wie Zeit anfühlte. Er verbrachte sie mit weiteren Erkundungen dieses wunderschönen Parks oder Garten Edens, mit überraschenden Begegnungen, die sich aber nun der Erinnerung entzogen, bis ein Verlangen in ihm aufstieg und er spürte, dass er diesen Bergweg erneut gehen solle. Wieder kam der Aufstieg, die Schwärze, die gleichen Gefühle, die unbändige Freude oben angekommen zu sein, so dass er sich von diesem Ort nie mehr trennen wollte. Es fühlte sich an wie ein einziges, überwältigendes Atemholen. Aber wieder durfte er nicht bleiben. Sein Begleiter drängte ihn unmissverständlich wieder zu gehen, diesmal nicht nur zurück in die hügelige Landschaft oder 'sein' Tal, diesmal sogar zurück zu dem Sumpf, wo der gläserne Kolibri lautlos verschwand. Erneut steckte er in dem zähen Morast wie anfangs. Im Gegensatz zum ersten Mal war sein Ich-Bewusstsein dabei völlig klar und fragte erfolglos nach dem Sinn und Zweck dieses Zustandes.

Trotzdem kämpfte er sich voran, kannte unbewusst seine Richtung. Nach einer geraumen Zeitspanne erreichte er eine Erhebung wie eine Barriere, die quer zu seiner Laufrichtung das Weiterkommen versperrte. Er zögerte, schaute sich unschlüssig um und entdeckte seitlich, den Eingang zu einer Höhle. Sie forderte unzweideutig zur Erkundung auf. Also kroch er hinein. Hinter der Öffnung verengte sich der Hohlraum zuerst, schon wollte er wieder umkehren. Doch dann weitete er sich wieder und ein schwacher Lichtschein voraus lockte ihn zu folgen. Die Luft war schwül und drückend, vorsichtig tastete er sich voran. Die Wände rückten allmählich näher, je weiter er vordrang, die Decke wurde niedriger, bedrückender. Doch der Lichtschein voraus war ein Versprechen. Er meinte sogar einen frischen Luftzug zu verspüren, fühlte, dass er jetzt nicht anhalten dürfe, ohne dass es ihm jemand sagte. Am Ende des Stollens brauchte er schließlich alle Kraft, um sich durch eine schmale Öffnung nach draußen zu zwängen und war im Freien.

Mit einem Mal nahm er jetzt seinen Körper wahr. Er fühlte seinen Kopf, seine Finger und Zehen, die kribbelten und pulsierten; er bemerkte, wie Luft in seinen Brustkorb strömte und der Bauch sich rhythmisch dehnte. Es signalisierte dem Bewusstsein ganz eindeutig, dass sein Leib existiert. So hatte er sich die ganze Zeit über – oder Nicht-Zeit in dieser anderen Dimension - nicht wahrgenommen. Ihn fröstelte auf einmal. Dann registrierte er das Weiß.

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