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Vorwort des Herausgebers

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»Nach 1918 bedeutet Österreich etwas wesentlich anderes als vorher.« Diesen auf den ersten Blick banalen, für jemanden, der eine Geschichte Österreichs schreiben will, aber fundamentalen Satz formulierte der dem autoritären »Ständestaat« eng verbundene, in spezifischer Weise gleichzeitig großdeutsche und großösterreichische Historiker und Melker Benediktinerpater Hugo Hantsch 1933 in einem Vortrag im Rahmen der Salzburger Hochschulwochen. Im Bürgerkriegsjahr 1934 bezeichnete er Österreich pathetisch als »das übriggebliebene Fundament des alten Baues«, »das pulsierende Herz eines zerschlagenen Körpers«, und 1937 ging er im Vorwort zum ersten Band seiner Geschichte Österreichs davon aus, dass »der Österreicher« 1918/19 (von Gott? von der Geschichte?) »als Universalerbe« der Habsburgermonarchie »eingesetzt« worden sei »und daß er damit zwar einen reichen Schatz gefunden, doch freilich auch die Verpflichtung übernommen habe, ihn redlich und tapfer zu hüten«. Wie dem auch sei: Der mit dem Namen Österreich bezeichnete geographische und politische Raum hat sich zwischen dem 10. und dem 19. Jahrhundert jedenfalls stark verändert und insgesamt gewaltig vergrößert. 1918 wurde er mit einem Schlag auf das Territorium eines der Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns reduziert.

Einige der Probleme, vor die sich die Autoren einer Geschichte Österreichs gestellt sehen, erhellen aus einem Vergleich mit der Geschichte Bayerns. Die Bayern haben das Epochenjahr 1918 ohne radikalen Bruch in ihrem historisch fundierten Landesbewusstsein durchlebt. Der territoriale Ausgangspunkt und Kern jeder Darstellung der bayerischen Geschichte ist das große, seit dem 6. Jahrhundert bestehende Herzogtum der Bayern, aus dem im Laufe der Jahrhunderte so bedeutende Teile wie die später von den Habsburgern beherrschten Länder Österreich und Steiermark (habsburgisch seit 1282), Kärnten und Krain (unter habsburgischer Landesherrschaft seit 1335), Tirol (habsburgisch seit 1363) und Salzburg (Bestandteil der Habsburgermonarchie von 1805 bis 1809 und seit 1816) ausgeschieden sind und aus dem das (im Spätmittelalter in mehrere Teilherzogtümer aufgeteilte) Territorialherzogtum und spätere Kurfürstentum der Wittelsbacher hervorgegangen ist, dem 1621 die Oberpfalz und 1777 die Kurpfalz angegliedert wurden. Das 1806 geschaffene Königreich Bayern wurde um zahlreiche ehemals reichsunmittelbare Territorien, Städte etc. in Schwaben und Franken vergrößert. Wenn man von den 1504 zu Tirol gekommenen altbayerischen Städten Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel und dem 1779 als Innviertel an das Land Österreich ob der Enns angeschlossenen Gebiet absieht, ist Bayern in der Neuzeit in mehreren Etappen gewachsen. 1919 wurde aus dem Königreich Bayern – territorial unverändert – ein konstitutioneller Freistaat im Rahmen der Weimarer Republik, der 1933 zu einer gleichgeschalteten Verwaltungseinheit des Deutschen Reiches gemacht wurde. 1945 wurde der bayerische Staat wiedererrichtet, und die im Dezember 1946 proklamierte Verfassung des Freistaats Bayern beruft sich in der Präambel auf die »mehr als tausendjährige Geschichte« des »bayerischen Volkes«, was sich freilich nur auf Altbayern beziehen kann (und ein seit fast eineinhalb Jahrtausenden existierendes »bayerisches Volk« hypostasiert). Bayern hat jedenfalls als Land der Bundesrepublik Deutschland rechtlich in etwa die gleiche Stellung wie seinerzeit in der Weimarer Republik und im wesentlichen dieselben Grenzen wie bis 1918 innerhalb des Deutschen Kaiserreichs.

Österreich hingegen, verstanden als Österreich-Ungarn bzw. dessen westlicher Teilstaat (»Cisleithanien«), hat den Ersten Weltkrieg nicht überlebt. Es hatte durch die Kriegserklärung an Serbien den Ersten Weltkrieg als ein Staat ausgelöst, der sich im Zeitalter des Nationalismus und der Ausbildung von Nationalstaaten – z. B. des deutschen Kaiserreichs unter Einschluss des Königreichs Bayern – aus einem vielsprachigen allmählich in einen multinationalen Staat verwandelt hatte. In den Augen eines Teils der groß- und kleinstädtischen Eliten seiner Nationen war Österreich-Ungarn zunehmend zu einem unzeitgemäßen Gebilde geworden, einer Art lebendem Anachronismus. Allerdings dachten vor 1917/18 wahrscheinlich nur kleine Gruppen politischer Aktivisten ernsthaft an eine Aufteilung der Habsburgermonarchie in souveräne Nationalstaaten, die infolge der nationalen Gemengelage in der Praxis vielfach selbst nichts anderes als ebenfalls multinationale Staaten sein konnten und Ende 1918 auch tatsächlich wurden.

Heute, rund 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie, sehen sich Historiker und Historikerinnen Österreichs in viel radikalerer Weise mit der Frage nach dem räumlichen Substrat ihrer Arbeit konfrontiert als Historiker Bayerns. Im vorliegenden Buch wird unter »Österreich« für die Zeit vor 1918 in etwa jener Raum verstanden, der von einem oder mehreren auf dem Boden der heutigen Republik Österreich gelegenen politischen, ökonomischen und kulturellen Zentren aus beherrscht oder jedenfalls maßgeblich beeinflusst wurde, wobei aus pragmatischen Gründen das heutige Staatsgebiet überrepräsentiert ist, also beispielsweise Niederösterreich, Tirol und die Steiermark stärker berücksichtigt werden als etwa Krain, Böhmen und Ungarn. Die von Brigitte Mazohl und dem Unterzeichneten verfassten Abschnitte können auch als Versuch einer problemorientierten Erzählung der Geschichte der Habsburgermonarchie (1526–1918) gelesen werden, wobei ein Schwerpunkt auf den österreichischen Ländern im engeren Sinn liegt und die anderen Teile der Monarchie vor allem im Hinblick auf ihre Beziehungen zu diesen und zum Wiener Zentrum berücksichtigt sind bzw. soweit es zum Verständnis der Monarchie als Ganzes notwendig ist. Die von Walter Pohl und Christian Lackner beigesteuerten Kapitel sind in erster Linie der Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung der österreichischen Länder und der Geschichte ihrer Bewohner im Mittelalter gewidmet. Die von Oliver Rathkolb verfassten Abschnitte bieten einen Abriss der Geschichte der Ersten und der Zweiten Republik Österreich sowie der »Ostmark« bzw. der »Alpen- und Donau-Reichsgaue« in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus.

Es ist mir ein Bedürfnis, vor allem der Mitautorin und den Mitautoren des Bandes herzlich für die Beteiligung an diesem Projekt sowie für kritische Kommentare zu einer früheren Fassung dieses Vorworts und der Einleitung zu danken. Möge diese handliche »Geschichte Österreichs« ihren Zweck als solide, von Fachleuten für die einzelnen Epochen verfasste, ohne spezielle Vorkenntnisse verständliche, aber die nun einmal existierende Komplexität nicht über Gebühr reduzierende Überblicksdarstellung erfüllen und bei Leserinnen und Lesern nicht nur in Österreich wohlwollendes Interesse finden.

Wien, im Frühling 2015 Thomas Winkelbauer

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