Читать книгу Zehn Jahre, zehn Tage - Walther von Hollander - Страница 11
Hellwigs Maßnahmen
ОглавлениеDahls Flucht wird erst um sieben Uhr bemerkt. Der Wärter Hannemüller findet das Zimmer leer. Meldet es Troplowitz, der gerade die Visite macht. Sie suchen das schwere Haus ab, den Garten, nehmen noch zwei alte Wärter mit, schütteln im Park die Bäume, daß die Tropfen herunterklatschen, kriechen, bis sie triefnaß sind, durch alle Gebüsche. Um sieben Uhr fünfzehn meldet Troplowitz dem Geheimrat Hellwig die Flucht. Der Geheimrat hat sich gerade die Serviette unter dem weißen Bart um den Hals geknüpft und mit seiner Frau zu Tisch gesetzt. Er ist sowieso zornig. Denn die Kartoffelpuffer, auf die er sich den ganzen Tag gefreut hatte, sind lappig, hellgrün. Er wünscht sie kroß und goldbraun. Wie oft soll er das sagen. Nun darf er aufspringen, die Serviette auf den Stuhl werfen und unbeherrscht losbrüllen. Er schreit den Wärter an, der die engere, den Oberarzt, der die weitere und wichtigere Verantwortung hat. Er klagt, daß er der Behörde gegenüber geradestehen muß, und versichert seiner Frau, die zu trösten wagt, daß man bei Mehrung solcher Vorfälle die Bude zumachen kann. Rennt dann ins Büro, läßt die Alarmglocke schrillen, die dienstfreien Wärter antreten.
Er hält — neuer Zeitverlust — eine donnernde Rede gegen die Verschlampung des Betriebes, setzt sich an die Spitze des in Schützenlinie ausgeschwärmten Personals und durchsucht das Anstaltsareal Meter für Meter. Patrouillen in Regencapes und mit Regenschirmen werden ins Vorgelände geschoben, halten sich zornig unter den ersten Bäumen des Waldes oder begeben sich direkt zu Reimanns Gasthaus, um einen Iserbittern oder Stonsdorfer zu nehmen.
Um halb neun sieht der Geheimrat Dahls Flucht als gelungen an. Sein Plan ist fertig. Er wünscht die Sache nicht an die große Glocke zu hängen. Wozu den traurigen Fall aufrühren? Man muß die Ruhe der Familie schonen. Dahl gehört ja (Nanu? Mit einemmal?) nicht zu den gefährlichen Irren. Er wird kein Unheil anrichten, selbst wenn er ein paar Tage draußen bleibt.
Die Behörden sollen also nichts erfahren. Hingegen muß man die Familie telegrafisch benachrichtigen. Den alten Dahl sowohl wie die „falsche“ Baronin, die geborene Kagen. Troplowitz soll noch am gleichen Abend nach Hirschberg fahren und von dort aus am andern Tag die verschiedenen Angehörigen und unter Umständen die wenigen Freunde, deren Adressen man durch die Korrespondenz kennt, aufsuchen. Bei einem von ihnen muß der Ausgerückte zu finden sein.
Troplowitz ist sofort bereit. Noch bevor die Telegramme weg sind, sitzt er mit einem kleinen Lacklederkoffer, in einem hellbraunen weiten Mantel und mit einem beigefarbenen, rundgeschnittenen Hut (scheußlich steht er zu dem hellroten Bart), im Auto.
Als Adresse gibt er dem Geheimrat den „Schwarzen Adler“ in Hirschberg an. Er hofft, Alice Dahl noch dort zu treffen und mit ihr das Wichtigste verabreden zu können.
Falls Dahl nicht in Sicherheit gebracht wird, ist er nämlich — das weiß Troplowitz genau — in zwei, drei Tagen gefaßt, und die Flucht war umsonst. Übrigens ist ihm nicht ganz klar, ob er dem Baron, wenn er ihn nun findet, weiterhelfen wird. Gar nicht unmöglich, daß er ihn verhaften läßt.