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Henriette wird geweckt

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Alfred Dahl ist um halb elf am Hause Henriettes angekommen. Der Feldgendarm von Rödeln, der hier in Zivil und nur offiziös Posten steht, zieht sich bescheiden ins Dunkel des nachbarlichen Nußbaums zurück.

Im Erdgeschoß ist es hell. Der Diener Adam sitzt in der Küche, trinkt eine Flasche Bier, raucht und liest die Zeitung. Er hat den Rock ausgezogen und Filzpantoffeln an. Dahl pfeift. Adam rührt sich nicht. Er kennt Regenvögel genug.

Dahl pfeift. Oben in Henriettes Zimmer brennt Licht. Aber Henriette schläft schon. Sie liegt auf einem Ohr und über das andere hat sie einen Arm gelegt. Die unnatürlichen Locken stehen ab, der mehlweiße Hals leuchtet.

Dahl pfeift. Die alte Frau Kagen schiebt die Vorhänge beiseite und bückt sich, so daß nur ihr Kopf im Fenster sichtbar wird, weiß bezopft und neugierig. Sie rennt im Hemd, barfüßig über den Flur, rüttelt die Tochter, die gerade zu träumen anfängt, daß sie ganz jung ist und im Anbau wohnt. „Eee is door!“ zischelt die Alte. „Ee kümmt! Wook up!“

Henriette fährt auf. Sieht zwischen Schlaf und Wachen in Alfred Dahls Gesicht, in die lebensgroße gemalte Fotografie im Goldrahmen, die an der Wand gegenüber hängt, zeigt abwehrend darauf, heult laut und klagend los. „Er!“ schreit sie. „Er — der —? Nein, nein!“

Dann erst ist sie wohl ganz wach. Sie springt aus dem Bett, rennt sinnlos durchs Zimmer, kämmt sich, fährt mit dem Rotstift über die Lippen, wirft alles wütend in die Ecke, schickt die Mutter hinaus („Nein, um Gotteswillen, ich muß allein sein!“), schließt ab. Rennt an den Kleiderschrank, sucht die Kleider so rasch durch, daß ein paar herunterfallen, knüllt sie wütend zusammen, findet schließlich den chinesischen Mantel, einen kostbaren Kimono, innen hellblau und außen rosa, reich bestickt und mit einem riesigen bunten Schmetterling auf dem Rücken. Dazu rote Pantoffeln. Aber nein — das mag er ja alles nicht. In die Ecke damit! Da ist noch ein hellblaues Kleid mit Brokatgürtel. Auch schmetterlingshaft flügelig, auch zu jung eigentlich. Aber das hilft nun nichts. Das zieht sie über. Andere Hausschuhe findet sie auch nicht. So setzt sie sich mit nackten Füßen und Beinen auf den Bettrand, wartet.

Es ist ganz still im Haus. Wie, wenn er nicht kommt? Wäre es nicht besser ohne ihn? Ja, jetzt weiß sie, es wäre besser. Da! Die Haustür wird geöffnet. Adams helle, devote Stimme, eine dunklere dazu. Vier Stiefel die Treppe hinauf. Klopfen. Herzklopfen. Sie steht auf. Ihre Arme hängen schlaff. Adam steckt den Kopf zur Tür herein und kräht: „Herr Baron Alfred Dahl.“

Henriette schlägt die Arme unter, neigt langsam den Kopf und sagt freundlich: „Ich lasse bitten.“

Zehn Jahre, zehn Tage

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