Читать книгу Der Henker von Rothenburg: Inquisiton in Rothenburg - Werner Diefenthal - Страница 13
ОглавлениеMarie stand vor den Toren Rothenburgs, mitten in einem Gewitter. Es stürmte, der Wind pfiff ihr um die Ohren und peitschte ihr Regen ins Gesicht. Ihre Kleider waren durchgeweicht, sie fror erbärmlich, aber von fern konnte sie das warme Licht hinter den Fenstern des Henkershauses sehen, das ihr einladend entgegen leuchtete.
Sie wollte ihrem Zuhause entgegen hasten, aber plötzlich hielt sie etwas zurück. Sie sah an sich herunter. An ihren Füßen waren schwere Ketten befestigt. Als sie die Arme hob, sah sie auch dort die Glieder der Kette.
Plötzlich zog sie jemand mit sich fort, weg von ihrem Heim, weg von dem Haus, in dem sie wohnte, zerrte sie hoch zum Schafott, auf dem Matthias mit einer langstieligen Axt stand. Sein Blick war finster, das Gesicht ausdruckslos.
»Köpf sie endlich, die Hure des Teufels«, hörte sie eine Stimme. Elsa Steiner stand links von Matthias, neben ihr der Vogt. Er legte Matthias die Hand auf die Schulter, sein Lächeln war kalt.
»Denk daran, was ich dir versprochen habe. Du bekommst ein Stück Land, ein Haus, fern von Rothenburg. Du musst nicht mehr der Henker sein, kannst ein normales, ehrbares Leben führen und jedes Mädchen heiraten, das dir gefällt.«
Er wies auf eine Reihe junger Frauen, die schon mit entzückten Gesichtern warteten. Marie erkannte Helga, Greta, sogar Magdalena.
Matthias nickte. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht. Er würde sie töten. Panisch schrie Marie um Hilfe.
»Markus! Wo bist du?«
»Ich helfe dir nicht«, hörte sie seine Stimme und erkannte, dass er es war, der sie zum Schafott gezogen hatte. »Ich gehorche nur meinem Herrn!«
Markus zwang sie in die Knie, drückte ihren Oberkörper nach vorne, bis ihr Kopf den Hauklotz, auf dem er immer das Holz gespalten hatte, berührte.
»Schlag ihr endlich die Rübe ab«, geiferte Elsa und Marie sah aus den Augenwinkeln, wie Matthias die Axt hob.
›Wieso nimmt er eine Axt‹, schoss es ihr noch durch den Kopf, als das Mordinstrument nach unten fiel und sich in ihren Hals biss.
Keuchend und schweißgebadet fuhr Marie hoch, sah sich panisch um. Sie lag neben dem Grab ihrer Mutter, war immer noch auf dem Gutshof, zu dem sie mit Matthias gereist war. Es war nur ein Traum gewesen!
Marie wartete auf die einsetzende Erleichterung, aber die wollte nicht kommen. Sie sah wieder Matthias, der die Axt hob. Sah wieder den Vogt, hörte Elsa keifen. War es ihr Schicksal, doch geköpft zu werden?
Marie taumelte auf die Füße, rannte einige Schritte zur Seite und erbrach sich stöhnend. Da spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, hörte die Erleichterung in Matthias´ Stimme.
»Da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht.«
Sie stand da, hilflos vornübergebeugt und erbrach sich erneut.
»Marie«, sagte er. »Was ist denn?«
Sie sah ihn an.
»Matthias«, flüsterte sie. »Ich habe Angst.«
»Wovor?«
Stockend erzählte sie ihm von seinem Traum, immer wieder von Tränen unterbrochen. Er nahm sie in den Arm. Es war tröstlich, ihn zu fühlen.
»Es war nur ein Traum, ein böser Traum.«
»Und wenn nicht?«, antwortete sie.
Matthias wusste nicht, was er sagen sollte.
»Ich liebe dich, das weißt du. Und niemals werde ich zulassen, dass dir etwas Böses geschieht. Und jeder, der Hand an dich legt, wird dafür büßen.«
Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wurde Marie wütend auf ihn.
»Zum Teufel, Matthias!«, fauchte sie den erstaunten Mann an. »Verstehst du es denn nicht? Liebe! Darum geht es doch gar nicht!«
»Worum geht es denn dann?«
Jetzt wurde Marie noch zorniger.
»Verdammt! Du hast mich geheiratet, weil du keine bessere Option hattest. Aber wenn mich jetzt der Vogt würde loswerden wollen, und dir dafür ein besseres Leben bietet - ich bin mir nicht so sicher, dass du das ablehnen würdest.«
Matthias wich einen Schritt zurück.
»Das stimmt nicht …«
Marie war nicht zu bremsen.
»Ach, das stimmt nicht? Wem willst du das erzählen? Ich weiß doch, was du denkst. Du willst nicht mehr Henker sein! Du willst wie jeder andere auch die Frau heiraten, die du liebst, und nicht eine, die zufällig auf dem Schafott auftaucht. Warum solltest du die Gelegenheit nicht ergreifen, wenn sie dir geboten wird?«
Er griff nach ihr, doch sie schlug seine Hand weg.
»FASS MICH NICHT AN!«
»Marie! Das ist nicht wahr! Wenn der Vogt das macht, dann brenne ich mit dir durch, egal, was kommen sollte. Und das weißt du genau!«
Sie sah zu Boden. Konnte das stimmen? Aber ihr immer noch vom Wein umnebeltes Gehirn ließ es nicht zum, dass sie ihm glaubte, für sie wurde es immer mehr zur Wahrheit.
Anklagend sah sie Matthias an.
»Du redest und redest und redest. Du tust immer so, als ob du alles verstehst. Aber du verstehst nichts! Gar nichts! Warum hast du mir nicht einfach den Kopf abgeschlagen? Das wäre nicht so schmerzhaft gewesen!«
Matthias wusste nicht mehr, was er tun sollte. Marie gab ihm die Schuld daran, dass sie noch lebte, dass sie nicht im Grab lag. Wie sollte er das verstehen?
»Marie, Herrgottnochmal! Was soll das? Ich habe dich gerettet. Mehr als einmal. Und ich habe mich in dich verliebt. Am Ende ist es doch egal, wie es dazu gekommen ist! Glaubst du wirklich, ich könnte dich jetzt noch töten? Aber vielleicht willst du jetzt MICH loswerden. Du gehörst ja jetzt zur feinen Gesellschaft und kannst etwas Besseres bekommen!«
Marie winkte ab.
»Denk doch, was du willst. Du hast mir in der letzten Zeit zu oft gesagt, dass du am liebsten weggehen würdest. Und jetzt willst du mir erzählen, dass du die Gelegenheit dazu nicht ergreifen würdest meinetwegen? Das glaube ich nicht. Wenn du nicht der Henker wärst, die Frauen würden dir die Türe einrennen. Du hättest schnell eine Neue gefunden, eine, die du wirklich willst und nicht eine Notlösung!«
Damit ließ sie ihn stehen, rannte einfach davon.
Matthias stand da, als wenn ihn der Blitz getroffen hatte. Er wurde wütend. Wütend auf Marie, wütend auf sich selber. Sollte er hinterherlaufen? Nein! Er hatte auch seinen Stolz.
»Kaum erfährt sie, dass sie vielleicht eine feine Dame sein könnte, schon bin ich ihr nicht mehr gut genug«, brummte er. Er schüttelte den Kopf. Die Tränen stiegen ihm in die Augen, aber er würde nicht weinen.
Er ging langsam zum Hof zurück, in die Werkstatt, in der er sein Schwert und seine Axt liegen hatte. Er nahm sie, dazu ein paar Fackeln und ein Seil, und marschierte in den Wald. Seine Gedanken waren klar, sein Entschluss stand fest: Er würde sich diese Nacht den Wolf holen. Und wenn er dabei umkommen würde, das war ihm jetzt egal.
Seine Frau, seine Seele, hatte ihn stehen lassen. Und das war etwas, womit er nicht fertig wurde. Ohne Marie war es alles sinnlos.