Читать книгу Der Henker von Rothenburg: Inquisiton in Rothenburg - Werner Diefenthal - Страница 26

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Marie stand am Fenster und starrte in die stürmische Nacht hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Tränen verschleierten ihren Blick. Draußen huschten die Knechte umher, bemühten sich, alles, was fortgeweht werden konnte, abzusichern. Die drei Wölfe hatten sich unter dem Bett zusammengerollt und waren trotz des Unwetters draußen eingeschlafen.

Plötzlich drehte die Blonde sich mit einer fast wütenden Bewegung zu ihrem Mann um.

»Warum bleiben wir nicht einfach hier? Wir lassen Magdalena und Markus aus Rothenburg holen und bleiben! Es gibt genug Arbeit auf dem Gut, wir arbeiten einfach als Magd und Knecht für Hubert und seine Frau. Ich halte es einfach nicht mehr aus, ständig das Gefühl haben zu müssen, dass mir jeden Moment jemand ein Messer zwischen die Rippen jagen könnte.«

Schon während sie sprach, wusste sie, dass Magdalena niemals mit ihnen kommen würde - sie würde den ›Goldenen Schwan‹ nur mit den Füßen zuerst verlassen. Marie schluchzte laut, die Tränen begannen zu laufen.

»Ich weiß nicht, wer Freund oder Feind ist! Jeder könnte sich jederzeit gegen mich richten! Hier würde ein Fremder sofort auffallen, und vor den Bekannten muss ich keine Angst haben. Und selbst wenn würde es mir auffallen, wenn jemand ungewöhnlich nahekommt. Ich weiß, ich wollte stark sein und es allen zeigen, aber Matthias, ich kann nicht mehr, ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte! Ich habe Angst!«

Sie sank auf einen Stuhl beim Fenster, legte den Kopf auf den Tisch und begann jämmerlich zu weinen. Matthias setzte sich zu seiner Frau und nahm sie in die Arme.

»Du weißt, dass es nicht geht. Wir sind immer noch an das Urteil gebunden. Wenn wir einfach hierbleiben, dann muss der Vogt uns zu Vogelfreien erklären. Und dann kann uns jeder, der gerade Lust hat, einfach umbringen.«

Er seufzte.

»Das werden dann nicht wenige sein.«

Marie nickte. Sie wusste, er hatte recht.

»Wir werden uns diesem Feind stellen müssen. Ich bin mir sicher, es ist die Vogtin. Aber ich verstehe nicht, warum sie so hinter dir her ist. Es muss mehr dahinterstecken, als nur das Erbe. Sie hat doch mit dem Vogt keine Kinder.«

Marie stutzte.

»Das stimmt. Sie sind, jedenfalls soweit ich das weiß, kinderlos geblieben. Wer also sollte nach dem Tod des Vogtes alles erben?«

Matthias kratzte sich am Kopf.

»Das weiß ich nicht. Das müssen wir in Rothenburg herausfinden.

Auch über Rothenburg tobte der Gewittersturm. Der Vogt saß noch in seinem Arbeitszimmer und grübelte.

»Ich wüsste zu gerne, was das alles zu bedeuten hat«, murmelte er. Vor sich hatte er ein Blatt Papier liegen, auf dem er versucht hatte, die Ereignisse zu ordnen.

»Zuerst stirbt mein Vater. Wie und warum, das ist mir nicht klar, aber er war alt und nicht ganz gesund. Trotzdem wird Marie des Mordes und der Hexerei von meiner eigenen Frau bezichtigt.«

Er kratzte sich am Kinn. Das war etwas, was er überhaupt nicht verstand. Warum hatte seine Frau diese Anklage erhoben? Und warum war sie ausgerechnet mitten in der Nacht zu ihrem Schwiegervater gegangen? Er machte sich eine Notiz.

›Elsa fragen, warum sie zu meinem Vater ging in jener Nacht.‹

Er überlegte weiter.

»Diese seltsamen Gestalten, die ihre Zeche prellen wollten, obwohl sie genug Geld hatten und der Angriff auf meine Frau. Und was bedeutete das: ›Daran bist nur du schuld.‹?«

Er erinnerte sich an die Vorfälle bei der Hinrichtung der Schurken, als einer von ihnen seiner Frau an die Gurgel wollte und diesen Satz ausgerufen hatte.

Eine neue Notiz.

›Warum wurde Elsa beschuldigt?‹

Er nahm einen Schluck Wein.

»Der Henker rettet Marie. Aber warum? Na gut, laut Popolius war sie keine Hexe, aber sie hat den Mord an meinem Vater gestanden. Oder war das nur, um sich vor dem Feuer zu retten? Und warum führte Elsa sich so auf? Warum will sie Marie tot sehen?«

Er stand auf, ging im Zimmer hin und her, das immer wieder von Blitzen erleuchtet wurde. Seine Gedanken rasten. Es fielen ihm immer mehr seltsame Vorfälle ein.

»Und warum wollte jemand Marie und Matthias töten und wird dann selber umgebracht?«

Dieser Vorfall hatte sich vor dem Frühjahrsfest ereignet. Matthias war von einem Mann schwer verletzt worden, wäre beinahe gestorben. Den Schurken fand man dann später in einer leeren Werkstatt, von fremder Hand gemeuchelt.

Er kam einfach nicht dahinter.

»Und jetzt noch Popolius. Warum wurde er umgebracht?«

An die Sache mit dem ›auferstandenen Toten‹ dachte er gar nicht erst. Diese hatte er schon wieder vergessen.

Um sich abzulenken, nahm er sich das Kassenbuch vor. Erfreulich fand er, dass der Markt mehr Geld eingebracht hatte, als er es sich vorher ausgerechnet hatte. Es blieb eine erkleckliche Summe übrig.

Doch dann stutzte er. Ein Posten kam ihm komisch vor. Er blätterte zurück.

»Das gibt es doch nicht«, murmelte er.

Im Buch war eine Summe für Reparaturarbeiten an den östlichen Stallungen aufgeführt, die von seiner Frau genehmigt und ausgezahlt worden war.

»Warum weiß ich das nicht?«, fragte er sich.

Beim Weiterblättern war fast die gleiche Summe wieder als Guthaben verzeichnet. Eingenommen von den Halunken, die seinerzeit von Matthias festgenommen worden waren und später am Galgen endeten. Bis auf einen, erinnerte sich der Vogt.

Er stand auf, nahm sich eine Laterne und eilte zu den Stallungen. Er wusste, dort war an einer Stelle das Dach morsch und musste dringend erneuert werden. Wenn man also dem Kassenbuch glaubte, war dies erledigt worden. Doch als er an der Stelle ankam, tropfte das Wasser genauso ungehindert durch das Dach wie vorher. Er verstand es nicht. Warum hatte Elsa Handwerker bezahlt, die aber keinen Handschlag getan hatten und kurz darauf wurde fast die gleiche Summe Geld wieder von einigen Männern, die in Rothenburg niemand kannte, wieder eingenommen?

Er eilte zurück in sein Arbeitszimmer, kontrollierte die Zahlen erneut. Konnte es ein Zufall sein?

Nein, sagte er zu sich selber und erinnerte sich an den Tag, als diese Halunken vor ihm standen. Dabei wäre Elsa fast gestorben, wenn Matthias sie nicht gerettet hätte, nachdem einer der Männer sie wüst beschimpft hatte.

Er rannte aus dem Zimmer in die Küche, wo Berta sich auf einer Holzbank zusammengekauert hatte und Gebete vor sich in murmelte. Bernhard Steiner wusste, es geschah nichts in der Vogtei, was Berta nicht sah.

»Berta, ich muss dich etwas fragen«, sagte er zu ihr.

Sie sah ihn erschrocken an. Die Köchin hatte panische Angst bei Gewitter, fiel dem Vogt ein. Er beruhigte sie.

»Keine Angst, es ist nichts Schlimmes. Aber ich brauche deine Erinnerungen.«

Zaghaft nickte Berta.

»Was kann ich für Euer Gnaden tun«?, fragte sie zitternd.

»Berta, waren vor dem Markt Handwerker oder andere Burschen hier, die du noch nie gesehen hast?«

Sie überlegt und schüttelte den Kopf.

»Nein, Euer Gnaden.«

Er sah ihr in die Augen.

»Es ist wichtig. Versuch noch einmal, dich zu erinnern.«

Sie schüttelte erneut den Kopf, doch dann bekam sie große Augen.

»Doch, Euer Gnaden. Jetzt fällte es mir ein. Einige Tage, bevor Euer Vater starb, waren hier vier Männer. Sie besuchten Eure Frau.«

Der Vogt seufzte leise.

»Weißt du, was sie wollten?«

»Tut mir leid, Euer Gnaden. Das weiß ich nicht. Aber ich kann mich an einen wieder recht gut erinnern. Ein hübscher, blonder Jüngling, viel zu weibisch, wenn Ihr versteht.«

Der Vogt nickte. Berta beschrieb die Männer, so gut sie konnte. Es schienen genau diese Vier zu sein, die vom Henker verhaftet worden waren. Drei waren tot, der Letzte verschwunden.

»Danke Berta. Du hast mir sehr geholfen.«

Zurück in seinem Arbeitszimmer wanderte er auf und ab. Konnte es sein, dass Elsa hinter all dem steckte? Aber warum? Der Vogt setzte sich wieder an seinen Tisch, sah sich all seine Notizen erneut an.

Er hieb mit der Faust auf den Tisch. Dann nahm er seinen Federkiel und kreiste fünf Namen ein.

»Eckhart Steiner«

»Elsa Steiner«

»Marie Wolf«

»Popolius Harthrath«

»Matthias Wolf«

Nach kurzem Zögern setzte er noch einen sechsten Namen dazu.

»Bernhard Steiner«

Popolius und den Namen seines Vaters strich er durch.

Dann fiel ihm ein weiterer Name ein, der bisher noch nicht aufgetaucht war.

»Magdalena Holzapfel«

Im ersten Moment wusste er nicht, warum er diesen Namen aufschrieb, aber dann wurde es ihm klar. Magdalena betrieb einen Gasthof, in dem so mancher seine Geheimnisse ausplauderte. Und Bernhard Steiner zweifelte keinen Moment daran, dass die Huren Magdalena alles erzählten. Wenn also jemand etwas wissen konnte, dann Magdalena. Sie kannte im Grunde genommen alle, die auf der Liste standen, bis auf seine Frau.

Während er darüber nachdachte, wurde ihm auch klar, dass, sollte Popolius wirklich ein Sodomit gewesen war, Magdalena das gewusst haben musste. Vielleicht hatte sie ihm sogar Lustknaben zugeführt.

»Ich glaube, ich muss mal wieder zum Hintereingang des ›Goldenen Schwans‹ und ihr ein paar Fragen stellen. Aber erst später«, dachte der Vogt.

Vorher musste er noch etwas anderes erledigen. Er schickte einen Diener zu Hauptmann Meisner, um ihn zu sich zu rufen. Nach wenigen Minuten erschien der Hauptmann.

»Euer Gnaden hat mich rufen lassen?«

»Ja. Habt Ihr Nachricht von Meister Matthias?«

Meisner schüttelte den Kopf.

»Nein, Euer Gnaden.«

»Wie lange will er denn diesen Wolf noch jagen? Es kann doch nicht so schwer sein, gemeinsam mit zwei Soldaten diese Sache zu erledigen! Schickt sofort einen Boten zu ihm. Er muss, so schnell es geht, herkommen, auch seine Frau.«

Hauptmann Meisner verkniff sich die Frage nach dem Grund. Er nickte nur.

»Ja Euer Gnaden. Ich werde selber reiten.«

Der Vogt nickte.

»Beeilt Euch. Ich muss ihm und seiner Frau dringend einige Fragen stellen.«

Dann entließ er den Mann, der sich umgehend in die Küche begab. Nachdem er eine Wegzehrung eingepackt hatte, suchte er sich schnell noch Sachen zum Wechseln, sattelte sich ein Pferd und ritt in den Sturm hinaus.

Der Vogt grübelte weiter. Er hatte das Gefühl, der Lösung nahe zu sein, aber er konnte sie nicht greifen.

Er schrieb alle Namen, bis auf den von Magdalena, auf ein weiteres Blatt Papier. Dann strich er die Toten wieder aus. Im Anschluss daran sah er lange auf das, was da stand und erbleichte. Er konnte es drehen, wie er wollte, am Ende blieb immer nur ein Name übrig. Der seiner Frau.

Der Henker von Rothenburg: Inquisiton in Rothenburg

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