Читать книгу Der Henker von Rothenburg: Inquisiton in Rothenburg - Werner Diefenthal - Страница 15

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3. Kapitel

Zu der Zeit, als Matthias in den Wald ging, um die Wölfe zu jagen, hatte Marie sich in ihrem gemeinsamen Zimmer eingeschlossen und weinte sich die Augen aus. Es tat ihr schon wieder leid, Matthias angeschrien zu haben.

Wenn sie nur niemals hierher gekommen wären. Alles in ihrem Leben war eine einzige Lüge. Sogar ihre Ehe.

Matthias hatte sie ja nicht einmal geheiratet, weil er sie begehrt hatte, sondern weil Magdalena es ihm gesagt hatte. Und nun war er vielleicht froh, eine Gelegenheit zu bekommen, sie wieder loszuwerden. In Maries Kopf wirbelten die wildesten Verschwörungstheorien, die alle zum Ergebnis hatten, dass Matthias ihr Leben gegen seine eigene Freiheit eintauschte. Im Kopf der Blonden war die Idee, dass Matthias Rothenburg verlassen würde, bereits zur Tatsache herangereift. Verzweifelt weinte sie sich in einen erschöpften Schlaf.

Als Marie später aus wirren Träumen hochschreckte, graute draußen der Morgen. Matthias war nicht gekommen, hatte nicht an die Tür geklopft. Vielleicht bereitete er schon eine Nachricht an den Vogt vor, dachte Marie bitter. Sie erhob sich, spürte die Nachwirkungen des Weins im Kopf und wankte ans Fenster.

Was sie dort sah, sorgte dafür, dass sich ihr alle Haare sträubten – Matthias taumelte aus dem Wald, zog an einem Seil eine graue Masse hinter sich hier, die Marie erst beim zweiten Hinsehen als die Kadaver einer Wolfsgruppe identifizieren konnte. Eines seiner Hosenbeine sowie ein Hemdsärmel waren blutdurchtränkt. Marie starrte ihn an. War dieser Verrückte tatsächlich ganz alleine mitten in der Nacht auf die Jagd nach dem Wolfsrudel gegangen und hatte es auch noch erledigt?

Er hob den Kopf, sah zu ihr hinauf und winkte. Dann brach er ganz plötzlich zusammen.

Marie schrie auf vor Entsetzen. Er durfte nicht sterben! Sie war sicher, dass er diese Irrsinnstat nur begangen hatte, weil sie ihn so angefahren hatte! Sämtliche Ängste waren auf einen Schlag verschwunden. Laut nach dem Chirurgen rufend hetzte Marie die Treppen hinunter und aus dem Haus.

Als Matthias wieder zu sich kam, konnte er kaum die Augen öffnen vor Schwäche. Sein Arm und sein Oberschenkel pochten dumpf, aber erträglich. Marie saß zusammengesunken an seinem Bett und schluchzte leise, während Nikolaus von Brümme gerade seine Tasche schloss.

»Na na, jetzt reg dich doch nicht so auf!«, brummte der Chirurg beruhigend. »Er wird ja wieder. Die Wunden sind gesäubert und genäht und werden schnell verheilen. Wer stark genug ist, ein ganzes Wolfsrudel auszuschalten, den bringen ein paar Liebesbisse so schnell nicht unter die Erde.«

Marie versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine Grimasse daraus.

»Ich danke Euch für Eure Hilfe!«

»Ist doch selbstverständlich. Wenn er aufwacht, gib ihm den Trank, den ich ihm gemischt habe. Das gibt Kraft.«

Damit verließ der Arzt das Zimmer. Marie und Matthias waren allein.

Als er leise stöhnte, bemerkte Marie, dass er wach war, und beugte sich ängstlich über ihn.

»Matthias … was machst du nur für Sachen? Tut es sehr weh? Wie geht es dir?«

Matthias sagte nichts. Er wollte nicht reden, wollte niemanden sehen. Er schloss die Augen wieder. Doch Marie gab nicht nach, plapperte immer weiter.

»Lass mich«, brummte er nur. Was wollte sie noch? Sie hatte ihn letzte Nacht einfach stehen lassen, so wie die vornehmen Menschen in Rothenburg es taten, wenn sie ihn nicht mehr brauchten. Er fühlte sich verletzt. Nicht am Körper, sondern in seiner Seele.

Er hörte, wie die Tür sich öffnete. Ließ sie ihn in Ruhe? Doch dann hörte er eine andere Stimme.

»Na, Marie, hast du es wieder mal geschafft?«

Es war Lotte, die in das Zimmer gekommen war. Marie wollte etwas sagen, aber Lotte fuhr sie an.

»Halt einfach mal deinen dummen Schnabel. Ich weiß, was letzte Nacht geschehen ist. Ich bin alt, aber nicht blöde.«

»Woher … woher weißt du … ?«, stammelte Marie.

»Ich schlafe doch nur noch wenig und muss ständig pissen. Und da hab ich gehört, wie du ihn angebrüllt hast, ihm Vorwürfe gemacht hast. Bist du noch ganz bei Trost? Das ist nicht die Marie, die ich mit großgezogen habe. Und du warst besoffen wie ein Kutscher zur Brunftzeit der Waldesel! Schäm dich.

Statt froh zu sein, dass du einen solchen Mann hast, jagst du ihn beinahe in den Tod!«

Lotte ächzte und setzte sich zu Matthias auf das Bett.

»Und du, mein Freund«, sie stach mit einem Finger in seinen Bauch, »du lässt dir nicht einfallen, jetzt zu sterben!«

Matthias schlug die Augen auf. Dieser Frau konnte er sich nicht widersetzen.

»Warum nicht? Wenn Marie bald eine der feinen Damen ist, dann will sie mit einem Mann wie mir nichts mehr zu tun haben. Ich bin nicht ihr Stand. Ich bin der Henker, der Schinder. Und wenn ich Marie verliere, dann will ich einfach nicht mehr leben!«

Er schloss die Augen wieder. Marie saß mit offenem Mund auf dem Bett. Sie konnte nicht fassen, was sie da hörte.

»DAS glaubst du wirklich?«, platzte sie empört heraus. »Du glaubst, ich bin nur bei dir, weil ich keine andere Möglichkeit habe und sobald sich das Blatt wendet, lasse ich dich stehen? Wegen eines dummen betrunkenen Streites gehst du in den Wald und bringst dich fast um? Wenn es so wäre, mein Freund, hätte ich dich in der Nacht, in der wir von dem Mörder angegriffen wurden, schon einfach liegen lassen! Andersrum wird doch ein Schuh draus! Du wolltest mich doch gar nicht haben, wenn Magdalena dich nicht mit der Nase drauf gestoßen hätte, wäre mein Kopf gefallen. Aber wenn der Vogt die Ehe annulliert oder mich aus dem Weg schafft, dann kannst du ja gehen, wohin du willst!«

In ihrer Wut war ihre Fantasie von letzter Nacht zur Realität geworden.

Lotte sah von Marie zu Matthias und seufzte.

»Aha, daher weht der Wind. Ich will dir jetzt mal etwas über deine Frau erzählen. Die kleine Marie war eines der Kinder, die eine sehr lebhafte Fantasie haben. Sie malte sich die wildesten Sachen aus und war am Ende überzeugt davon, dass sie genau so passieren würden. Wäre ich jünger und kräftiger, würde ich ihr mit dem Stock den Hintern bläuen! Und dir mit dazu!«

Sie erhob sich.

»So, ich gehe jetzt, ich bin müde. Wenn ich nachher wiederkomme und ihr habt euch nicht versöhnt, dann jage ich euch persönlich vom Hof. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

Damit humpelte sie aus dem Zimmer und ließ eine völlig verdatterte Marie und einen sehr nachdenklichen Matthias zurück.

Die Blonde wusste nicht, was sie sagen sollte. Einerseits hatte Lotte natürlich recht, das wusste sie. Sie war diejenige gewesen, die Matthias angeschrien hatte - ohne dass er ihr einen Anlass dazu gegeben hatte. Und sie war auch diejenige gewesen, die angefangen hatte, ihm etwas vorgeworfen, was überhaupt nicht passiert war und vielleicht nie passieren würde. Jede Reaktion von ihm hatte sie in ihrem Glauben bestärkt und noch mehr verletzt. Aber was ihr mehr weh tat, das war, dass Matthias sie schon als Schwester des Vogtes sah. Eine feine Dame, hatte er gesagt. Er wäre nicht gut genug. War der Verlust des Mannes, den sie immer noch über alles liebte, der Preis der Freiheit? Dieser Preis war ihr zu hoch, sie würde ihn nicht zahlen wollen. Und das erklärte sie auch Matthias.

Der sah seine Frau an. Was sollte er noch sagen?

»Marie … es geht doch gar nicht darum, ob du es willst. Was wird der Vogt sagen, wenn er erfährt, dass du in Wahrheit seine Schwester bist? Glaubst du wirklich, er wird es zulassen, dass wir zusammenbleiben? Denkst du, wir haben auch nur den Hauch einer Chance?«

Er war traurig. So hatte Marie ihn noch nie gesehen.

»Ja, es stimmt. Ich habe dich geheiratet, weil ich dir das Leben retten wollte. Aber es ist nicht richtig, dass du mir das vorwirfst. Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte dich getötet? Dann hättest du nur meinen Antrag ablehnen müssen.«

Er holte tief Luft.

»Verdammt, Marie! Ich liebe dich! Und letzte Nacht, da hast du mir das Gefühl gegeben, dass du mir nicht vertraust! Und dass ich dich verloren habe! Ohne dich will ich nicht leben, verstehst du das denn nicht? Du bist mir viel mehr wert als meine Freiheit, sogar mehr als mein Leben! Wenn ich der Henker bleiben muss, um dein Mann zu sein, dann soll es so sein!«

Und jetzt geschah etwas, was Marie nie für möglich gehalten hätte. Der Mann, der so groß und kräftig war, dem man keinerlei Gefühle ansah, wenn er die Urteile vollstreckte, schluchzte laut auf. Und dann liefen ihm die Tränen über die Wangen. Zwar hatte er schon einmal vor ihr die Fassung verloren, aber so heftig hatte er nicht geweint, und vor allem nicht ihretwegen.

Marie erschrak bis in die Knochen und nahm ihn spontan in die Arme, zog ihn an ihre Brust und wiegte ihn, streichelte sein dunkles Haar.

»Ooh, oh, nein, bitte, wein nicht. Nicht weinen, es wird doch alles wieder gut, das verspreche ich. Was der Vogt will, interessiert mich nicht. Das Erbe interessiert mich auch nicht. Ich brauche keine feinen Kleider und nicht jeden Tag ein Spanferkel auf dem Tisch, und Schmuck will ich auch keinen. Außerdem wird er wahrscheinlich sowieso nie etwas davon erfahren, weil wir nichts beweisen können. Ohne Beweise können wir das Risiko nicht eingehen, sonst wäre es leicht, mich loszuwerden - er müsste mich nur der Hochstapelei beschuldigen. Aber selbst wenn wir Beweise finden würden – sollte er mich vor die Wahl stellen, ob ich die Henkersfrau oder die Schwester des Vogts sein will, dann entscheide ich mich für die Henkersfrau. Der Vogt bedeutet mir nichts, aber den Henker, den liebe ich, auch wenn er mich fortwährend falsch versteht.«

Sie rückte ein wenig von ihm ab und versuchte, sein Gesicht zu trocknen, obgleich er immer noch weinte. Matthias entdeckte nun auch in ihren himmelblauen Augen Tränen, aber sie versuchte, zu lächeln und sich zu erklären.

»Ich werfe dir doch nicht vor, dass du mich vor dem Tod bewahrt hast. Aber weißt du … man möchte nicht aus einem solchen Grund geheiratet werden. Das klingt dumm und kindisch, aber es wäre doch viel schöner, wenn du mich geheiratet hättest, weil du mich als deine Frau haben wolltest. Ich habe leider das Gefühl, dass es Magdalena war, die das wollte, und nicht du. Und ich habe zu viel getrunken, ich habe all das nicht verkraftet. Dann kam einfach alles in mir hoch. Dass du am liebsten weggehen würdest. Dass du mich nicht liebtest, als du mich geheiratet hast. Und dass du mich nur hast, weil Magdalena mich praktisch in dein Bett gelegt hat.«

Sehr sorgfältig und mit ruhiger Stimme hatte sie ihre Worte gewählt und hoffte, dass es nicht ganz wirr klang und er sie ein wenig verstand.

Matthias beruhigte sich langsam.

»Marie«, fing er an, »wie soll ich dir das erklären? Magdalena hat nie gesagt, ich soll dich heiraten. Sie hat mir nur einen Weg gezeigt, der dein Leben retten würde. Ich habe dich geheiratet, damit du leben kannst. Ich wollte dich nach einer Weile freigeben. Ich hätte den Vogt davon überzeugt, glaub mir. Und du wärst als anständige Frau, unberührt, in die Ehe gegangen. Mit einem Mann, der nicht zu den Ausgestoßenen gehört.«

Er seufzte.

»Doch dann hab ich mich in dich verliebt. In dein reines Herz, deine Seele. Und ich würde dich niemals mehr verletzen können, und wenn man mir ganz Rothenburg dafür verspräche. Ich wollte doch auch irgendwann einmal lieben, aber ich habe, bevor du kamst, nie geliebt. Wen auch? Du weißt es doch selbst, vor mir haben alle nur Angst. Ganz besonders junge Frauen wie du!«

Er tastete zaghaft nach ihrer Hand.

»Marie, sei ehrlich zu dir selber: Du hättest mich aus freien Stücken auch nie geheiratet.«

Marie hatte einen dicken Kloß im Hals und sie schüttelte den Kopf. Ein paar Tränen lösten sich aus ihren Augen und rollten über ihre Wangen:

»Nein … natürlich nicht. Du hast ja Recht, ich hatte Angst vor dir. Aber dass du ein schöner Mann bist, das habe ich mir doch ein paarmal gedacht. Dass du auch noch ein so guter und anständiger Mensch bist, das hätte ich nie zu träumen gewagt.«

In der Tat hatte es sie überrascht, dass sie ihn nach so kurzer Zeit schon so liebte. Und dass der Henker, der auf dem Schafott so unnahbar und stark schien, der ohne eine Miene zu verziehen die Strafen vollstreckte, die der Vogt verhängt hatte, eine so verletzliche Seele hatte. Eine Seele, die er ihr gezeigt hatte. Sie holte Luft und fuhr fort.

»Und trotzdem … hältst du mich für dumm, wenn ich sage, dass ich gerne deine freie Wahl gewesen wäre und nicht nur ein Zufall? Dass es zumindest ein wenig Egoismus von dir war, als du mir die Hochzeit angeboten hast?«

Zum ersten Mal lächelte Matthias an diesem Tag.

»Egoismus? Marie, ich bin auch kein Heiliger. Ich habe mir immer gewünscht, eine Frau neben mir zu haben, die mich liebt. Eine Frau, die ich lieben kann. Und die dazu noch hübsch ist. Die klug ist.«

Er sah ihr in die Augen, griff nach ihrer Hand.

»Und auf einmal, von einer Sekunde auf die andere, wurden meine Wünsche wahr. Ich habe die Frau, die ich liebe. Die Frau, die hübsch und klug ist. Das Leben hat oft Überraschungen für einen. Mit jeder Sekunde, die du bei mir warst, habe ich dich mehr geachtet, mehr geliebt. Und es hätte mich zerstört, wärest du wieder gegangen. Ich liebe dich, Marie. Dich alleine. Und mir ist es scheißegal, ob du die Herzogin von irgendwo bist oder die Königin der Waldameisen oder von mir aus die Schwester des Papstes. Oder ob du nichts hast außer deinen schönen blauen Augen, deiner Seele und deiner Sanftmut.«

Er seufzte.

»Und eines verspreche ich dir: Ich werde beweisen, dass du unschuldig bist. Ich weiß jetzt, wo ich anfangen muss zu suchen. Ich werde dafür sorgen, dass du das bekommst, was dir zusteht, und niemand wird dir auch nur ein Haar krümmen. Wenn du mich danach noch willst, wirst du das bekommen, was du dir wünschst.«

Er schloss erschöpft die Augen. Wenn sie ihn jetzt nicht verstand, wenn sie ihn jetzt zurückwies, dann würde er sie nie mehr öffnen. Dann spürte er ihre Lippen am Ohr, und sie wisperte hinein.

»Du bist ein Holzkopf. Ich werde niemals einen anderen Mann haben wollen als dich. Und das Einzige, was ich mir wünsche, ist in Frieden irgendwo mit dir zu leben, wo mich niemand umbringen will. Mir ist es egal, ob es ein Schloss ist oder eine eiskalte Höhle, solange nur du mit mir darin lebst, um mich zu wärmen!«

Sie nahm sein Gesicht in die Hände und strich sanft mit den Lippen über seine, hielt den Atem an, ob er ihren Kuss erwidern würde.

Er öffnete seinen Mund, tastete vorsichtig mit der Zunge. Er versuchte, seine Arme zu heben, sie zu umfassen, aber der Schmerz durchzuckte ihn. Also konnte er nichts anderes tun, als ihren Kuss mit aller Liebe zu erwidern, zu der er fähig war.

Sie konnte nicht verhindern, dass noch mehr Tränen kamen, seine Wangen nässten. Fast hätte er sich durch ihre Dummheit von Wölfen zerreißen lassen. Sie wollte gar nicht mehr aufhören, ihn zu küssen, kroch schließlich zu ihm ins Bett, um ihm nah zu sein, hielt ihn fest umschlungen.

»Ich werde dich nie verlassen, hörst du mich?«, flüsterte sie ihm zu.

»Und ich werde nie ohne dich irgendwo hingehen«, raunte er ihr ins Ohr.

Der Henker von Rothenburg: Inquisiton in Rothenburg

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