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10. Ordnungen aus Unterschieden: Unkontrollierte und kontrollierte Verallgemeinerungen
ОглавлениеUm sich im unablässigen Heranströmen neuer Ereignisse halten zu können, muss die menschliche Orientierung vereinfachen, Komplexität reduzieren und sich Bestände über die Zeit hinweg sichern. Das geschieht durch Verallgemeinern. Es beginnt damit, dass gegebene Anhaltspunkte gleichgesetzt und Muster gebildet (Abschn. 2) und die Muster in Begriffe gefasst werden (Abschn. 9). Begriffe können durch umfassendere Begriffe weiter verallgemeinert, Ordnungen zu umfassenderen geordnet werden. Die Spielräume sind hier nahezu unbegrenzt. Man kann in unterschiedliche Richtungen, in unterschiedlichen Horizonten und in unterschiedlichen Graden verallgemeinern. Philosoph*innen leisten hier das Äußerste. Umso mehr müssen sie ihre Verallgemeinerungen kontrollieren.
Begriffe und Ordnungen bestehen so wenig wie Dinge an sich; die menschliche Orientierung schafft sie sich, um Übersicht zu gewinnen. Danach sind Verallgemeinerungen Abkürzungen; Nietzsche fasst, was wir Orientierung nennen, im Ganzen als »Schematisir- und Abkürzungskunst«.73 Die Kunst der übersichtlichen Abkürzung besteht darin, stets nur so weit zu verallgemeinern, dass die Abkürzungen zur Orientierung verhelfen, nicht sie irreführen. Kant hat in der Einleitung zu seiner Logik-Vorlesung dazu sorgfältig »Horizonte unsrer Erkenntnisse« unterschieden und zugleich empfohlen, über »das Volumen des Raums für unsre Erkenntnisse« nicht besorgt zu sein: Sie werden sich wohl immer weiter vermehren, aber man wird auch »neue Methoden und Prinzipien« erfinden, um sie zu »verkürzen«, und auch diese Kunst wird ihre »Genies« hervorbringen.74
Verallgemeinerungen überschießen leicht. Ein Alltagsbeispiel: Man will zum ersten Mal einen Gebrauchtwagen kaufen und beobachtet nun, wie der Gebrauchtwagenhändler den Kauf zu steuern sucht und geschickt auf bestimmte Modelle hinführt, die er offenbar loswerden will. Man typisiert: So verhält sich also ein Gebrauchtwagenhändler. Man geht auch noch zu einem anderen Gebrauchtwagenhändler und sieht, er geht ähnlich vor. Man generalisiert: Offenbar verhalten sich alle Gebrauchtwagenhändler so. Das bedeutet lediglich, dass man nun nichts mehr anderes erwartet: Man stereotypisiert, verfestigt den rasch generalisierten Typus (griechisch stereós heißt ›fest, starr‹). Um sich das Stereotyp nicht selbst zuzuschreiben, führt man es auf Wesenseigenschaften zurück (›es gehört nun einmal zum Wesen eines Gebrauchtwagenhändlers, dass er …‹): Man essentialisiert. Bewährt sich das schließlich gekaufte Auto nicht, schreibt man dem Gebrauchtwagenhändler die Schuld zu: Man moralisiert. Man misstraut nun Gebrauchtwagenhändlern generell: Man diskriminiert. Verärgert über den Handel, verallgemeinert man weiter und hält Händler überhaupt für professionelle Betrüger: Man diskreditiert. Schließlich geht man aufs Ganze und greift den Kapitalismus an: Man radikalisiert und polemisiert. Die Orientierung ist in jeder Hinsicht aus dem Ruder gelaufen.
Jeder Schritt war voreilig und muss also kontrolliert werden, der Typisierung müssen haltbare Anhaltspunkte, nicht vage Verdachtsmomente, der Generalisierung beobachtbare Gleichheiten einer großen Menge, nicht nur einzelne Fälle zugrunde liegen. Beide dienen der Vereinfachung und Beschleunigung und damit genuinen Bedürfnissen jeder Orientierung. Die Stereotypisierung, die Essentialisierung, die Asymmetrisierung durch moralische Qualifizierung und schließlich die polemische Radikalisierung gehen dagegen weit über die beobachteten und beobachtbaren Gegebenheiten hinaus, führen in Richtungen und Horizonte, die nur noch wenig mit ihnen zu tun haben. Sie stellen die Orientierungsfähigkeiten selbst in Frage. Im Gefühl dauerhafter Beeinträchtigungen können sich ganze Völker in einen Hass auf andere Völker versteigen, bei denen sie die Schuld für das eigene Unglück suchen (›Die Juden sind unser Unglück!‹); vorschnelle Verallgemeinerungen können mörderisch werden.
In der menschlichen Orientierung sind Verallgemeinerungen aber immer auch Widerständen an anderen Erfahrungen ausgesetzt. In der Kommunikation mit andern können sie nicht nur bestärkt, sondern auch in Frage gestellt, in der Kooperation mit andern evident widerlegt werden (›Meinem Gebrauchtwagenhändler konnte ich vertrauen, mein Wagen läuft seit Jahren anstandslos‹, ›Im größten Unglück hat mir ein Jude geholfen‹). Man lernt dann, dass Verallgemeinerungen immer entscheidbar sind, dass sie stets revidiert werden können und kontrolliert werden müssen (wobei auch dies eine Verallgemeinerung ist). Und eben das heißt, dass eine Orientierung lernt. Hier werden Wissenschaften vorbildlich: Sie bestehen in disziplinierten Verallgemeinerungen.
Wie Orientierungen lernen, kann man aber auch schon im alltäglichen small talk, in Gesprächen über ›kleine‹, unbedeutende Dinge beobachten. Sie verlaufen exemplarisch in doppelter Kontingenz, wie Luhmann sie im Anschluss an Talcott Parsons genannt hat: Die andere Seite kann jeweils anders antworten oder handeln, als die eine erwartet hat, und beide wissen das. So müssen sie sich in der Gesprächssituation laufend neu orientieren, unter Ungewissheit entscheiden, wie sie die Kommunikation fortführen wollen. Wittgensteins Plattenleger (Abschn. 7) führen keinen small talk; sie arbeiten in einer bereits gut eingespielten sozialen Ordnung, die ihnen eine reibungslose Kooperation ermöglicht. Richtung, Horizont und Grad der Verallgemeinerung sind hier denkbar übersichtlich: Ein bestimmter Typus brauchbarer Platten, u. U. einmal von dieser, einmal von jener Form, soll jeweils auf eine bestimmte Weise an einen bestimmten Ort verlegt werden. Bis sich dabei eine effiziente Ordnung eingespielt hat, kann es in der wechselseitigen Orientierung jedoch Probleme bis hin zu offenen Konflikten gegeben haben (›aber so macht man das doch nicht‹). Doch wenn, so Luhmann, in gemeinsamen Orientierungsschwierigkeiten »zur eigenen Verhaltensunsicherheit auch die Verhaltenswahl eines anderen unsicher ist und vom eigenen Verhalten mitabhängt, entsteht die Möglichkeit, sich genau daran zu orientieren«.75 Will man weiterkommen, sucht man dann Wege, wie man sich in Rücksicht auf die Haltungen des andern in der jeweiligen Situation am besten orientieren und Probleme vermeiden kann. Man versucht die Orientierung des andern in die eigene einzubeziehen. Da keiner Einsicht in das Bewusstsein des anderen und auch nur begrenzt in sein eigenes Bewusstsein hat, kommt es, so Wittgenstein, dabei nicht darauf an, was er meint: »Wenn man aber sagt: ›Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen‹, so sage ich: ›Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen.‹«76 Man achtet stattdessen auf sein Verhalten und dessen Ergebnis. Passt es, kann man weitermachen. Kooperation setzt nicht schon Konsens im Sinn eines gemeinsamen Bewusstseins übereinstimmender Meinungen voraus, und gäbe es ihn, würde er nicht schon erfolgreiche Kooperationen garantieren, weil jeder ihn wieder auf seine Weise in Handeln umsetzen könnte.
Im small talk geht es gerade um Meinungen und nicht um Ergebnisse. Hier sucht man nach Themen, und Themen lassen sich hier nahezu beliebig verallgemeinern.77 Ein small talk ist ein Orientierungsprozess: Beide Seiten suchen sich anhand dessen, was sie sagen und wie sie dabei unterscheiden und verallgemeinern, übereinander und aneinander zu orientieren. Themen sind die Anhaltspunkte eines Gesprächs, die Beiträge zu ihnen weitere Anhaltspunkte, die dann Muster ergeben. Der Begriff ›Thema‹ kommt von griechisch títhaemi, setzen, aufstellen, zur Aufgabe machen: Die gemeinsame Aufgabe eines Gesprächs ist, unterschiedliche Beiträge zu gemeinsamen Themen zu leisten. Daher müssen Themen für beide Seiten anschlussfähig sein, beide müssen etwas dazu sagen können, und darum redet man zunächst gerne über Wohlbekanntes wie das augenblickliche Wetter. Daran kann man dann wiederum beobachten, ob, wie schnell und wie weit verallgemeinert wird (›Warm? Ja, es ist schön warm heute, aber das Klima erwärmt sich jetzt so, dass bald ganze Länder im Meer versinken und riesige Hungersnöte ausbrechen werden‹). Auch wenn es, anders als beim Autokauf, beim augenblicklichen Wetter um ›weiter nichts geht‹, muss man einschätzen, ob man auf solche statements eingehen, wie weit man hier mitgehen oder, wenn man die Dinge anders einschätzt, was man durchgehen lassen will oder nicht. Es geht hier weniger darum, ob richtig ist, was gesagt wird, sondern welche Figur man dabei macht, dass man es sagt.78
Auch hier spielen schon Regeln und Ordnungen mit wie ›das Gegenüber reden und ausreden lassen‹, ›ruhig bleiben‹, ›Streit vermeiden‹ usw. »Alle diese strukturierenden Erwartungen erlauben eine Orientierung im Gespräch.«79 Sie erlauben auch, Themen zu wechseln, aber nur dort, wo bestimmte ›Punkte‹ des bisherigen Themas günstige Übergänge zu einem andern zulassen: Anhaltspunkte werden dann zu Angelpunkten, um die sich ›die Richtung des Gesprächs dreht‹ (›Erderwärmung, ja, und was tut unsere Regierung dagegen?‹). Die Übergänge oder ›Anschlüsse‹ in Luhmanns Sprache können locker, dürfen aber nicht beliebig sein; sie müssen das Verallgemeinerungsniveau halten (also nicht: ›Die Kanzlerin trug ein golddurchwirktes Jackett, als sie sich neulich zur Erderwärmung äußerte‹); sie müssen passen. Da bei der Kontrolle der Anschlüsse über Passungen große Spielräume bleiben, hat keine der beiden Seiten den Verlauf des Gesprächs in der Hand; keine kann den small talk einseitig kontrollieren wie Interviews oder Arbeitsgespräche. Bleibt das Gespräch lange bei einem bestimmten Thema oder kehrt es immer wieder zu ihm zurück und wird das Thema nach unterschiedlichen Richtungen ausgelotet und in Reichweite und Grad seiner Verallgemeinerungen durchgegangen, spielen sich für diese Gesprächsbeziehung spezifische Ordnungen und damit eine wechselseitige Kontrolle ein. Man lernt, wohin und wie weit man mit dem oder der andern gehen kann.
Dabei kommen auch Fragen der Macht ins Spiel. Im small talk fällt es auf, wenn jemand einseitig und gezielt Themen setzt (›genug jetzt mit Wetter und Klima, was machen Sie eigentlich beruflich?‹); er oder sie wirkt dann dominant, übernimmt erkennbar die Kontrolle und setzt damit auch ein Verallgemeinerungsniveau. Das wird meist gerne hingenommen, wenn die oder der Führende im Gespräch bei den angesprochenen Themen deutliche Orientierungsüberlegenheiten beweist, sich also auskennt. Das Gespräch versachlicht sich, Beiträge werden als mehr oder weniger einleuchtende Argumente wahrgenommen. Doch auch Argumente sind nicht einfach gut oder schlecht, sondern können unterschiedlichen Gesprächspartner*innen unterschiedlich einleuchten, so dass man hier dieses, dort ein anderes Argument ›bringen‹ muss; Argumente in der Kommunikation stehen so wenig an sich fest wie Gegebenheiten der Natur. Man muss auch sie zur Orientierung stets gewichten, das heißt wiederum: ihre Anhaltspunkte, Horizonte und Reichweite erkunden und einschätzen. Man nimmt nicht einfach ihre Allgemeingültigkeit hin, sondern prüft, kontrolliert die Art ihrer Verallgemeinerung. Moralisierungen und polemische Radikalisierungen stoßen hier zudem an Grenzen der jeweils aktuellen political correctness; Profilierungsbedürfnisse der Gesprächspartner*innen können freilich umso mehr reizen, solche Grenzen ironisch oder provokant zu überspielen, um weitere Möglichkeiten der Verallgemeinerung auszutesten.
So wird die Kontrolle der Argumente und der mit ihnen verbundenen Verallgemeinerungen ihrerseits komplex und unübersichtlich. In den Wissenschaften scheint sich das völlig zu ändern; in ihrer methodischen Disziplin scheinen sie nur mit kontrollierten Verallgemeinerungen zu arbeiten und so zu völlig zuverlässigen Ordnungen zu kommen. Formalwissenschaften wie Logik, Mathematik und Informatik sind Kontrollinstrumente von hoher Perfektion. Dennoch könnte die »Wirklichkeit«, so Nietzsche, ihnen gegenüber »unsäglich {anders} complicirt« sein.80 Es ist seinerseits wissenschaftlich immer deutlicher herausgearbeitet worden, wie stark sich die Anhaltspunkte, Richtungen und Grenzen der Verallgemeinerung in den Realwissenschaften unterscheiden und wie sehr sie von spezifischen Situationen abhängen. Anhaltspunkte können hier messbare Daten, durch Quellen belegte Fakten oder beobachtbares Verhalten, aber auch fiktive Identitäten und Entitäten sein; man kann wissenschaftlich verallgemeinern in Gestalt von Hypothesenbildungen oder von ideengeleiteten Erzählweisen und auf Grund von Experimenten oder von dichten Beschreibungen; man kann die Verallgemeinerungen verknüpfen nach klassischen logischen Schlussverfahren, durch statistische Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten oder mit Hilfe von Epochen- oder Kulturvergleichen; situative Bedingungen wie vorhandene Gerätschaften in Laboren, Kommunikationsbedingungen in Forschungsinstituten, Chancen für Projektfinanzierungen und Karriereaussichten können die jeweiligen Forschungen in unterschiedliche Richtungen führen81; dabei ergeben sich auch unterschiedliche Kriterien der Objektivität oder Standards der Verallgemeinerung, über die man sich von Fall zu Fall orientieren muss.82 Auch methodisch disziplinierte realwissenschaftliche Forschung läuft im Rahmen offener Orientierungsprozesse ab. Dass in den mathematischen Naturwissenschaften mit kontrollierten Abkürzungen exakte Berechnungen und Prognosen möglich geworden sind, spricht für die zunehmend treffendere Wahl und Verarbeitung von Anhaltspunkten. Aber auch in dieser Wahl sind zahlreiche Paradigmenwechsel eingetreten.
Die Kontrolle der doppelt kontingenten Kommunikation in wissenschaftlichen Disziplinen ist eine gezielte Engführung der Orientierung. Philosophie, die es zu ihren Aufgaben zählt, Übersicht über die menschliche Orientierung im Ganzen zu schaffen, kann nicht bei solchen Engführungen bleiben. Sie kann sich zwar durchaus erfolgreich auf wissenschaftsnahe Formen wie Wissenschaftstheorie oder logische Analyse der Sprache oder rechtsförmige Begründung ethischer Entscheidungen spezifizieren, sich auf bestimmte Themenfelder wie Anthropologie, Sozial-, Kunst- oder Religionsphilosophie beschränken und ihre Methoden jeweils darauf einrichten, darf dabei aber nicht den Überblick darüber verlieren, was sie dadurch ausschließt. Sie hat als Disziplin die Freiheit, neue, bisher übersehene oder ausgeschlossene Anhaltspunkte zu Themen zu machen und von ihnen aus groß angelegte neue Verallgemeinerungen zu wagen, die dann zur Neuorientierung der Philosophie im Ganzen führen können. Emmanuel Levinas zum Beispiel hat die Ethik von einem bisher kaum beachteten Anhaltspunkt, dem face-à-face, und Jacques Derrida die Metaphysik-Kritik von der Schrift her aufgezogen, und beide haben die Philosophie von Grund auf erneuert.
Nietzsche, der zahllose neue Anhaltspunkte und Themen ins Spiel der Philosophie brachte, hat dabei, vielleicht auch sich selbst, vor der gefährlichen »Philosophen-Wuth der Verallgemeinerung« als ihrer »Erbsünde« gewarnt. Philosophen (und inzwischen natürlich auch Philosophinnen) machen, so Nietzsche, aus »ungefähren Fingerzeigen«, also Anhaltspunkten, sehr schnell »unbedingte« Wahrheiten. Sie verallgemeinern sie mit »poetischen Metapher[n]« und kommen dann leicht zu »falschen Verdinglichung[en]«, aus denen ganze Metaphysiken entstehen können.83 Gerade die Philosophie ist mit ihren hohen und höchsten Verallgemeinerungen immer in Gefahr, Fiktionen und Idealisierungen aufzusitzen. Umso mehr bedarf sie der Kontrolle ihrer Verallgemeinerungen.
Nach Kant nehmen Philosophen im Unterschied zur Mathematik ›gegebene‹ Begriffe auf.84 Sie entgrenzen deren Bedeutungsspielräume, um sie neu zu begrenzen, und versuchen so, ihre ordnenden Begriffsgefüge im Ganzen auf neue Situationen der menschlichen Orientierung einzustellen (so wie es hier mit den Begriffen der Orientierung und der Unterscheidung selbst geschieht). Nietzsche hat zu seiner Zeit eine »Experimental-Philosophie« vorgeschlagen, die bereit ist, unter dem Namen des Nihilismus die Gültigkeit aller gängigen philosophischen Verallgemeinerungen und Wertungen außer Kraft zu setzen, um neue und weiterführende Orientierungen zu wagen, diese dann aber ihrerseits stets kritisch zu prüfen.85 Mit Wittgenstein ist umso mehr zurückzufragen, wie philosophische Begriffe alltäglich gebraucht werden und in genau welchen Schritten, mit welchen Methoden und Argumenten man sie verallgemeinern und zu Entitäten hypostasieren will. So empfiehlt es auch der amerikanische Pragmatismus86, und so verfährt mutatis mutandis Luhmann mit seiner philosophisch hochbedeutsamen soziologischen Systemtheorie.
Für ihn wie für Nietzsche und Wittgenstein ist das letzte Kriterium auch der Ordnung von Unterschieden in einer Theorie oder Philosophie die bloße Passung.87 Passungen bewähren sich in der Orientierung dadurch, dass sie auf evidente Weise weiterführen, wobei die Evidenzen unterschiedlicher Art sein können. Sie lassen weite Spielräume für vielfältige Anschlussmöglichkeiten und deren Kontrolle zu. In der Philosophie sind Anhaltspunkte hier neben der systematischen Verknüpfung ihrer Begriffe nach logischen Verfahren vor allem die Entwicklung ihrer Begriffe in der Geschichte der Philosophie einerseits und ihre Plausibilität und Haltbarkeit in der Gegenwart andererseits. Wittgenstein geht dabei auf das erste Bedürfnis der Orientierung, die Übersicht, zurück: »Ein philosophisches Problem hat die Form: ›Ich kenne mich nicht aus‹«, und folgert daraus, dass der »Begriff der übersichtlichen Darstellung […] für uns von grundlegender Bedeutung« ist.88 Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist Wittgensteins grundlegender Begriff dafür, philosophische Verallgemeinerungen zu kontrollieren und von ihren Irreführungen zu therapieren. Er versucht das durch eine extrem sorgfältige, über Jahrzehnte fortgeführte Beobachtung der Ent- und Eingrenzung der in der Philosophie gebrauchten Begriffe und ihres Wechsels zwischen weiteren und engeren Horizonten der Verallgemeinerung.89