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Mit schlohweißen Nasenhaaren fing es an

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Natürlich bin ich als Mittfünfziger nicht mehr auf dem absoluten Höhepunkt meiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Eigentlich beginnt der Verfall schon mit Mitte 20: Als erstes lässt die Sprintfähigkeit nach, sodann muss für den Erhalt von Maximalkraft und Kraftausdauer ein mit den Jahren immer größer werdendes Trainingspensum absolviert werden. Nur die Ausdauer lässt sich bis ins hohe Alter ohne Verluste optimieren.

Mein persönlicher Alterungsprozess wurde mir mit Ende 30 erstmals so richtig bewusst. Ich drehte 2005 einen Zuspieler für »Clever – die Show, die Wissen schafft« auf einem Seenotrettungskreuzer in Warnemünde. Am Vorabend des Drehs zupfte ich mir ein unattraktiv aus dem linken Nasenloch ragendes Nasenhaar aus, betrachtete es und erschrak: Es war schlohweiß. Wenig später wurde ich für einen Werbespot geschminkt (»Schwippschwapp«), und die Maskenbildnerin fragte, ob sie wegen meiner Haare »etwas machen« solle. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass es Streuhaar gäbe, wahrscheinlich zusammengekehrte Abfälle aus Friseursalons, die farblich sortiert, kleingehäckselt und in Puderzuckerdosen gefüllt werden. In die schütteren Reste meines Deckhaars eingestreut, vermitteln sie dem Betrachter den Eindruck knackiger Fülle, und ich ließ mich auf das Spielchen gerne ein.

Seither stehen immer größere Puderzuckerdosen-Arsenale in den Schminkräumen der Fernsehanstalten bereit, wenn ich aufkreuze. Klar, ich könnte mir ein Stück Rückenbehaarung auf den Hinterkopf transplantieren lassen, einige Soden würden reichen. Aber was ist, wenn der Vergreisungsprozess auf meinem Döz unvermindert weitergeht, und nur die Rückenhaare bleiben kräftig, dicht und dunkel, wie eine fabrikneue Schuhbürste?

Nein, ich habe beschlossen, auf Haartransplantationen ebenso zu verzichten wie auf Färbemaßnahmen, Fettabsaugungen oder Augen-OPs (zumal letztere mich meine Fernsehkarriere kosten könnten; ohne Brille erkennt mich niemand, nicht einmal ich selbst).


Schönes Haar ist dir gegeben, lass es leben.

Eine einzige Schönheitsoperation erscheint mir reizvoll, nämlich das Ablegen meiner Ohren. Ich stelle mir vor, wie ich nach dem Einsatz eines Spreizkeils (Material findet sich bei mir hinten, oberhalb der Hüften) ein bisserl aussehe wie Prinz Charles.

Am roten Teppich würden mich die Boulevardreporter auf meine neuen Segelohren ansprechen, und ich würde dezent zwinkernd behaupten, dass bei mir alles Natur sei – fast alles. Eines Tages, wenn ich sehr, sehr viel Zeit habe, und Werner Mang auch, könnte es so weit sein.

Bis dahin gilt: Ich verwittere naturbelassen, und alle dürfen mir dabei zuschauen.

Die Alternative zum Altern ist, dass man früh stirbt – aber dafür ist es in meinem Falle auch schon zu spät.

Ja, will ich denn überhaupt nie aufhören? Ade sagen und in Rente gehen?

Rente ist für mich ein eher ferner Gedanke. Einmal im Jahr bekomme auch ich einen Brief der Rentenversicherung, aus dem hervorgeht, was ich, wenn’s so weiterginge, als Rentner finanziell zu erwarten hätte. Klar: Vielleicht bin ich eines Tages so schwach, dass ich nicht mehr arbeitsfähig bin, mich auf der Bühne im Text verheddere oder nicht mehr erkenne, an welcher Kamera das Rotlicht brennt. Vielleicht muss ich eines Tages sogar ins Altersheim? Für diesen Fall gilt es vorzusorgen. Allabendlich möchte ich im Kaminzimmer knatternde, glitzernde Anekdoten erzählen können, um meinen Mitbewohnern zu imponieren – und dafür gilt es bereits jetzt, das Material zusammenzutragen.

»Habe ich euch schon erzählt, wie ich in einem Jahr unfassbare 52 Marathonläufe geschafft habe? Nein? Doch? Egal, dann erzähle ich’s einfach nochmal.«

Ist das nicht eine lohnende Vision?

Ein anderer Leser meines Facebook-Postings hebt den Zeigefinger und wirft mir vor, mit meinem ungesunden Tun wahrscheinlich Krankenhauskapazitäten zu binden, mich also in der Pandemie asozial zu verhalten – ein Kommentar, der mich eher baff zurücklässt.

Die Entscheidung ist eh bereits gefallen. Nur wer wagt, gewinnt. Aber geht es mir überhaupt ums »Gewinnen«? Gewinnen gegen wen?

Der einzige Wettbewerb, der mich interessiert, ist das Ringen mit mir selbst. Schaffe ich es, die mir selbst gestellte Aufgabe zu erfüllen? Nutze ich ehrliche Mittel, oder flüchte ich mich in List und Selbstbetrug? Was muss ich tun, um mich am Aufgeben zu hindern? Reagiere ich auf Selbstlob, Geschenke, ist es schlauer, öffentliche Bestätigung zu suchen?

Wohlan, wir werden sehen.

Lauf, Wigald, lauf

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