Читать книгу Lauf, Wigald, lauf - Wigald Boning - Страница 9

Die Kraft der zwei Eier

Оглавление

Ich bin, wie gesagt, kein Sportmuffel, noch nie gewesen. Womöglich liegt der Drang nach regelmäßiger Bewegung in meiner Familie: Viele meiner Vorfahren waren kleine Moorbauern, sogenannte Köter, und nicht wenige starben mit 40 an Altersschwäche.

Mein Opa Georg war Eierhändler in der niedersächsischen Kleinstadt Wildeshausen und klapperte allmorgendlich mit einem Handwagen die Bauernhöfe in der Umgegend ab, um seine Ware einzusammeln. In Wildeshausen scherzte man, er habe mit zwei Eiern angefangen und daraus ein Imperium gemacht. Ihre Söhne zog das Eierhändler-Ehepaar Boning vornehmlich mit sogenanntem Knick-Ei groß – das waren jene Eier, die etwa den Handwagen-Transport nicht heil überstanden.

Einer dieser Söhne ist mein Papa Heinrich, mittlerweile pensionierter Bankkaufmann, 50 Jahre lang Richter der Wildeshauser Schützengilde (auch dazu später mehr) und ein unerschrockener Kritiker aller neumodischen Irrwege, nicht zuletzt des übertriebenen Sportelns und der häufig damit einhergehenden ausgewogenen Ernährung.

Die Tradition des abundanten Eierkonsums wurde von ihm an mich weitergegeben; meine Cholesterin-Werte jagen meinen Hausärzten seit Jahrzehnten kalte Schauer über den Rücken, aber immerhin stelle ich diesem Gesundheitsminus lebenslang ein Plus in Form ausgiebiger Spaziergänge, Wanderungen und Dauerläufe entgegen.

Als Jugendlicher war ich ein begeisterter Leichtathlet. Ich brachte es immerhin zum letzten Platz der Niedersächsischen Landesmeisterschaften im Diskuswurf der Schüler-A (drei Fehlversuche), entdeckte als junger Twen das Bergwandern für mich und lief mit 33 meinen ersten Marathon, in Winterthur.

Zu den größten Siegen meines Lebens gehört es, die Durchschnittlichkeit meines Talents akzeptiert zu haben und mich nicht von der Tatsache entmutigen zu lassen, dass ich mit der Weltspitze nichts, aber auch gar nichts zu tun habe. Selbst bei Feld-Wald-und-Wiesenläufen auf Kreisebene lande ich eher im hinteren Mittelfeld, und ich habe gelernt, meine Mittelmäßigkeit zu genießen. Ankommen ist alles!

Ich bin 100 Kilometer in Biel gelaufen, habe gemeinsam mit meinem Freund Hannes Skilanglauf-Veranstaltungen organisiert (»Ski Heul!«), darunter ein 24-Stunden-Rennen mit beeindruckenden vier Teilnehmern (einer davon war ich), bin mit Freunden in 58 Stunden 1000 Kilometer von Füssen nach Rom geradelt, habe bei einem 24-Stunden-Schwimmen im Hallenbad Haar bei München 28 Kilometer zurückgelegt und im darauffolgenden Sommer den Bodensee durchschwommen, von Friedrichshafen nach Romanshorn, in der langsamsten Zeit, die je für einen offiziellen Bodensee-Durchquerer registriert wurde: sieben Stunden und 24 Minuten, was mir in der Ultraweitschwimmer-Szene den Ehrentitel »Weltmeister im Langsamschwimmen« einbrachte.

Kurzum: Dass ich einer der größten Sportler aller Zeiten bin, habe ich mir bereits hinlänglich bewiesen. Ich könnte mich getrost in einen Ohrensessel fläzen, meinem Bauch beim Wachsen zuschauen und ansonsten zufrieden vor mich hin verwittern.

Warum also ackere ich mich hier in Zeitlupe den Waldweg hinauf, mit leerer Trinkblase und staubtrockenem Mund? Ich bin bei Kilometer 36, noch sechs Kilometer bis zum Eigenheim, in dem meine Frau Teresa und die Kinder auf mich warten.


Aus dem Weg, es naht eine verrostete Kleinbahn-Lokomotive!

Die Luft vor mir flirrt wie in einem Italo-Western, von Ferne meine ich die Mundharmonika aus »Spiel mir das Lied vom Tod« zu hören, und in diesem Moment halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass auch mein Gesichtsausdruck dem eines sehr schlecht gelaunten Klaus Kinski als Sombrero tragendem Bösewicht ähnelt.

Mein Magen knurrt tonlos. Zwar habe ich nur spärlich gefrühstückt und Hunger wäre angezeigt, aber ich bin bereits zu schlapp, um diesen zu verspüren und mir etwas Essbares in den Mund zu stecken. Wasser wäre eh dringender, aber da ist keine Tränke, kein Bächlein, keine Pfütze weit und breit. Meine Beine fühlen sich an wie mit Waschbeton ausgegossene Ofenrohre, mein Kopf hingegen macht einen eher leeren Eindruck: Keinen Gedanken kann ich beim Schlawittchen packen, geschweige denn zu Ende denken, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als dumpf dösend heimwärts zu traben, mich dort ein Stündchen unter das kalte Wasser aus dem Gartenschlauch zu stellen, mir einen Humpen Gänsewein einzuverleiben und womöglich noch ein schattiges Nickerchen anzuschließen.

Erst dann, so seufze ich, werde ich den Weg zu meinem Marathonjahr eingehender rekonstruieren können.

Lauf, Wigald, lauf

Подняться наверх