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Ohrhörer? Ich bevorzuge Nasenhaarschneider

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In diesen ersten Tagen meines großen Marathon-Jahres zerbreche ich mir ausführlich den Kopf über eine geeignete Trainingsstrategie. Wie viele Kilometer soll ich neben den wöchentlichen Hauptläufen sammeln? Aus leidiger Erfahrung weiß ich, dass ich ein Wochenpensum von mehr als 100 Kilometern langfristig nicht vertrage – dann zwickt das Schienbein. In klassischen Trainingsplänen wird Läufern meiner Kragenweite gerne eine Dosis von wöchentlichen 80 Kilometern empfohlen – irgendwo zwischen diesen beiden Polen könnte sich mein Pensum einpendeln.

Ein »langfristiger Trainingsaufbau« ist eh nur begrenzt möglich, denn normalerweise ist der Schlüssel hierfür die sogenannte Zyklisierung.

Zyklisches Training bedeutet, dass man zwei bis drei Wochen lang das Training steigert, dann eine Ruhewoche mit stark vermindertem Pensum einfügt, um anschließend auf höherem Niveau den nächsten Trainingszyklus zu absolvieren. Dieses planmäßige Auf und Ab strebt einem klar definierten Jahreshöhepunkt entgegen, auf den eine längere Phase der Erholung folgt, ehe mehr oder weniger betulich der nächste Höhepunkt angepeilt wird.

Mit derartigen Trainingszyklen habe ich mich in den letzten 20 Jahren ausführlich beschäftigt, erforscht, ob meinem Körper eher kürzere oder eher längere Zyklen gut bekommen, und die Resultate, meinem bürokratischen Naturell folgend, penibel niedergeschrieben und analysiert.


So sieht er aus, der rote Faden in meiner Läufer-Laufbahn.

Da ich aber plane, jede Woche einen Marathon zu laufen, fällt eine echte, mehrwöchige Pause schon mal ganzjährig aus, und zum Einsatz von langfristigen Zyklen fällt mir in diesem Zusammenhang nur wenig ein. Sinnvoll hingegen erscheint mir eine zyklische Gestaltung der einzelnen Kalenderwoche: nach dem Marathon zwei Tage nur leichtes Laufen zur Erholung, dann zwei bis drei Tage steigern, eventuell mit einem zweiten »langen Lauf« in der Wochenmitte. Dann wieder Pensum reduzieren, erholen für den nächsten Marathon. Dabei gehe ich selbstverständlich davon aus, meinen »Streak« weiterhin durchzuziehen, wenigstens ein Jahr lang, denn nach einem Jahr täglichen Laufens ist man befugt, sich bei der »United States Running Streak Association« anzumelden – eine angenehm weltläufig wirkende Vereinsmeierei und meine Fleißprämie.

In der Praxis wird jedoch schnell klar: Zwei Erholungstage sind nach den 42 Kilometern eher knapp bemessen. Ein fetter Muskelkater durchschnurrt meinen Körper, je näher den Fußsohlen, desto aua.

Ich halte entschlossen dagegen, mit ausführlichen Besuchen in der heimischen Kleinsauna und gemeinsamen Wannenbädern mit meinen Kindern. Über der Wasseroberfläche erläutere ich die Handhabung von Aqua-Pumpguns und Quietscheenten, während ich mich darunter vor allem der muskelentspannenden Wirkung des heißen Wassers hingebe.

Nachdem alles wieder einigermaßen geschmeidig ist und ich auch den mittwöchentlichen Trainingsblock unfallfrei hinter mich gebracht habe, freue ich mich bestgelaunt auf Marathon Nummer zwei.

Mittlerweile ist es echter Winter geworden, und als ich am Dreikönigsmorgen um zehn Minuten vor fünf die Stirnlampe anknipse, sehe ich zunächst nichts als Whiteout. Tausende Schneeflöckchen wirbeln durch den Lichtkegel, was mich in diesen düsteren Corona-Zeiten sogleich an eine Tanzveranstaltung denken lässt, an ausgelassene Leiber, die auf Abstandsregeln pfeifen. Apropos: Den dazugehörigen Soundtrack liefern meine Schuhe. Jeder Tritt in die knöchelhohe Schneedecke erzeugt ein pappiges Geräusch, hippedi-hopp. Unwillkürlich pfeife auch ich, nämlich eine passende Bassline, variiere diese in großen Bögen, wechsele in ein höheres Register und flöte funky Füllsel vor mich hin. Kennt noch jemand »Die Doofen«? Es gab mal ein ausgefeiltes Konzept für ein Rap-Album, Arbeitstitel »Grandmaster Fuck«. So ungefähr musiziere ich mich durch den frühen Morgen.

Ob ich denn auch manchmal mit Kopfhörern trainiere?

Nein, nach einer knappen Handvoll Tests im Laufe meines Lebens habe ich von der Beschallung durch Walkman und Söhne endgültig Abstand genommen. Gar zu leicht lasse ich mich von der Musik mitreißen, aus Trab wird Galopp, und schwuppdiwupp fehlt mir die Puste. Außerdem brauche ich meine musikalischen Mantras, um mich in Bewegungsmeditation zu versenken und so vor den Gefahren der Langeweile sicher zu sein. Schließlich beschleicht mich mit Ohrstöpseln regelmäßig das unangenehme Gefühl, Stöpsel in den Ohren zu haben – es schwitzt, drückt und quietscht. Dann doch lieber Nasenhaarschneider im Zinken, die sind zwar auch laut und störend, aber mit ihren rotierenden Schermessern wird man wenigstens überflüssige Haare los. Ich möchte jedoch anmerken, dass ich diese nicht während des Laufens einsetze, aus Sicherheitsgründen.

Mein Weg führt mich durch den jungen Schnee in die Münchener Innenstadt zum Deutschen Museum, an der Isar entlang zur Allianz Arena, zum Schloss Oberschleißheim und zurück nach Nymphenburg. Mein Tempo ist gedämpft, was ich auf das Wetter zurückführe. Knappe fünf Stunden bin ich unterwegs, und ich komme noch einen Tick müder zu Hause an als am Neujahrstag.

100 Kilometer bin ich in dieser Woche gelaufen; ich glaube, mit Volldampf in die richtige Richtung, und in der Tasche balle ich trainingseuphorisch die Becker- bzw. die Boning-Faust ob meiner Genialität (zu sprechen bitte mit weichem »Dsch«).

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