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Stretching und Speicherfett

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Auf der eingeschneiten Straße vorm Haus warten schon meine Kinder auf mich, ich werde dringend als Zugpferd für ein Rodelgespann benötigt. Immer langsam mit den jungen Hunden, bitte ich um Gnade, und versuche, meine spielgierige Brut zunächst von den Vorteilen gemeinsamer Dehnübungen zu überzeugen. Dies gelingt mir am besten mit den Übungen des Sonnengrußes, allerdings führen wir – meinem Ermattungsgrad und der noch ungeschliffenen kindlichen Motorik geschuldet – die Yoga-Exerzitien betont undynamisch als ganz schlappes Stretching aus.

Für Kinder attraktiv werden die Asanas unter anderem durch ihre klangvollen Namen: Kerze, Kobra, Hund. Um die Gören bei der Stange zu halten, denke ich mir zusätzlich neue, fesselnde Bezeichnungen aus, als da wären: Traktor, Bagger und Hubschrauber.

Ich agiere betont vorsichtig, weiterhin in Sorge um meinen frisch genesenen Rücken.

Dass ich mich nach dem Laufen dehne, so wie’s ein jeder tun sollte, ist bei mir leider nicht selbstverständlich – nicht mehr. Einst, als Ausdauerenthusiast in meinen Dreißigern, verging kein Tag ohne ein opulentes Dehnprogramm. Dann kamen Zeiten, in denen ich beruflich und privat schwer eingespannt war und Prioritäten setzen musste. Oder war ich einfach nur faul? Wie auch immer – die Dehnerei entschwand aus meinem Leben, und nie kam sie so richtig zurück. Heute bin ich ein »Stiefbuck«, wie man up Platt sagt, ein steifgliedriger Zeitgenosse, der seine Beine gar nicht erst durchstrecken muss, um im Stehen mit den Fingerspitzen nicht die Zehen zu erreichen.

Manchmal versuche ich mir diesen Umstand schönzureden, indem ich auf Emil Zátopek verweise, die Lokomotive aus Prag, dreifacher Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele 1952 und – angeblich – ein vehementer Verächter der Gymnastik. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Dehnen guttut, aber ich weiß auch, dass es für mein Vorhaben nicht zwingend notwendig ist. Nichtsdestotrotz nehme ich mir auch an diesem Wintertag vor, in Zukunft regelmäßig meinen Leib zu dehnen, und sei es auch nur, indem ich mit den Kindern Gymnastik spiele.

Nicht nur Schuhe mit Spikes ergänzen nunmehr mein Ausrüstungsarsenal, sondern auch eine hochmoderne Waage aus dem Reich der Mitte, die sich per App mit meinem Handy verbinden lässt und mir gewichtige Informationen über Body-Mass-Index (26,7), Körperfettanteil (24,7 Prozent), Muskelmasse (55,1 kg) und diverse andere Daten liefert. Unter meinem Body-Mass-Index steht in roter Warnschrift: »Übergewicht«, ein Wort, das mich für einen Moment meinen Unterkiefer frustriert vorwärts schieben lässt. Da laufe ich nun jeden Tag, reihe Marathon an Marathon, und bin, igitt, dick?

Aber: Womöglich kommt mir mein Speicherfett bei meinem Marathon-Unterfangen zugute? Zwei bis drei Kilo Übergewicht gelten, so las ich in der Fachliteratur, als guter Schutz vor Infektionen, und wer weiß, vielleicht gibt es während der noch vor mir liegenden 49 Läufe eine Phase, in der ich froh bin, eine Extraportion Fett in die Waagschale, die Pfanne, ins olympische Feuer werfen zu können?

Diese Fragen begrübelnd reise ich kurz darauf in unsere Hauptstadt, mit roter Aktentasche statt Laufrucksack, kurz vor meinem 54. Geburtstag.

Lauf, Wigald, lauf

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