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In eisigen Böen

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Gleichsam als Trotzreaktion auf meinen Hexenschuss rüste ich materialtechnisch auf und bestelle mir spezielle Winter-Laufschuhe mit in die Sohle integrierten Spikes. Diese Winterausrüstung kann zwar keine Hexenschüsse verhindern, macht mir aber die Entscheidung über die Fortführung meiner Marathonkette leichter. Natürlich will ich wissen, ob das Schuhwerk, über das ich in der Zeitschrift »Trail« eine uneingeschränkt positive Kritik gelesen habe, marathontauglich ist. Und um diese Neugier zu stillen, erscheint mir der Lauf eines solchen ein probates Mittel zu sein.

Und so starte ich Mitte Januar nächtlich um vier Uhr zum Test, bei Böen und Blankeis, im tiefsten Hochwinter.

Um nicht von der Polizei wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre erwischt zu werden, lasse ich die Stirnlampe einstweilen ausgeschaltet und tappe im Dunkeln vorwärts, zur Mauer des Nymphenburger Schlosses.

Als ausgesprochen gesetzestreuer Laufsportler fällt mir meine Ordnungswidrigkeit natürlich schwer, aber ich sehe partout keine andere Möglichkeit.

An der Schlossmauer führt ein Radweg entlang, auf dem ich mich vor Polizeistreifen sicher wähne. Als mich dann doch der Lichtkegel eines Fahrzeuges erfasst, zucke ich paranoid zusammen, sehe mich bereits hinter schwedischen Gardinen, ungeduscht und fern der Heimat, aber die Scheinwerfer gehören lediglich zu einem Räumfahrzeug, dessen Fahrer mich freundlich grüßt und den Schnee vom Radweg schiebt. Danke schön!

Um sechs Uhr öffnet der Nymphenburger Schlosspark seine Pforten, und ich beabsichtige, sämtliche Parkwege abzutraben, sobald man mir Einlass gewährt.

Dem Park fühle ich mich sehr verbunden. Schon in den frühen Neunzigern verbrachte ich viel Freizeit vor und zwischen den RTL-Samstag-Nacht-Shows im Münchener Stadtteil Neuhausen und erkundete diese Perle der Gartenkunst. In den letzten Jahren habe ich dort erneut unzählige Läufchen absolviert, gerne auch mit Babyjogger bzw. mit vorgeschnalltem Säugling – dann allerdings nicht laufend, sondern nur zügig gehend. Für eine Weile erklärte ich dies sogar zu meinem liebsten sportlichen Langzeitziel: Theodor und Mathilda vor die Brust nehmen und zum Abitur tragen, mindestens.

Zweimal umrunde ich den Park, dann darf ich hinein, hadere jedoch mit Licht- und Laufverhältnissen. Es ist dunkel und kalt wie in einer Tiefkühltruhe, allerdings bedeutend windiger. Immer wieder greift mir das himmlische Kind unter die Arme und will mich davontragen, und nur mein Bauch-Ballast schützt mich vor dem Abflug. Hartgefroren sind auch die eisigen Wege, gar so hart, dass nicht einmal die Spikes überall für ausreichend Grip sorgen.


Ornithologen aufgemerkt: Trägt dieser Schneemann auf dem Kopf ein Vogelnest? Oder ist das ein Horst?

Immerhin ist mein Rücken wieder beschwerdefrei und ich interpretiere den Hexen- als Warnschuss, abgegeben, um mich vor übergroßem Ehrgeiz bezüglich Kilometer-Umfang und Tempo zu schützen. Die Tempofrage stellt sich an diesem Tag allerdings sowieso nicht, man kann froh sein, wenn man überhaupt vorwärtskommt, ohne sich Haxe und Hals zu brechen. Aus Vorsicht spare ich mir so manchen Parkweg, konzentriere mich auf stumpfe, gestreute Pfade und unternehme überdies einige kleine Abstecher in jene Quartiere, die an den Park angrenzen. Am liebsten, so resümiere ich, als der Tag angebrochen ist, laufe ich im Schlepptau der Räumfahrzeuge und fühle mich dabei wie eine jener gierigen Möwen, die Krabbenkuttern auf Fangfahrt hinterherflattern.

Ab und an bleibe ich stehen, bestaune die beeindruckenden Schneeskulpturen am Wegesrand. Unter anderem lasse ich mich von einem Schneeleoparden betören, dessen Ohren zwischenzeitlich abgetaut zu sein scheinen, aber auch ein kalter Klabautermann mit besonders struppigem Stroh-Schopf lässt mich schmunzeln.

Hach, der Winter. Das ist die Zeit der heimeligen Skatabende, der Mettenden im Eintopf, des Kräftesammelns für Frühling und Sommer. Und manche Tiere kommen überhaupt erst wieder aus dem Bett, wenn die Narzissen blühen. Nun ja, in meinem Marathon-Jahr sind diese Naturgesetze außer Kraft gesetzt und, ab Kilometer 32 denke ich mit einer gewissen Säuerlichkeit an die unbarmherzige Rigidität, die in meinem Vorhaben steckt. Da ist nichts Natürliches, keine Fantasie, nur waschbetonhafte Brutalität, jammere ich still, während ich in einen Riegel beißen will, der ebenso hart ist wie das Blankeis unter meinen Füßen, und meine Zähne scheitern am Eindringen in den Kohlehydratblock just so wie die neuen Spikes am harten Boden unter mir.

Ansonsten funktionieren die neuen Treter prächtig und tragen mich unfall- und blasenfrei nach 5:11 Stunden zu meiner Familie zurück. Das Comeback ist geglückt.

Lauf, Wigald, lauf

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