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Hallo-Hallus am Teufelsberg

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Berlin, Berlin. In Coronazeiten ist es ja schon mal ein Privileg, überhaupt raus zu dürfen, in eine andere Stadt, und dieses Privileg verdanke ich meinem Engagement als Erdkunde-Experte bei der ZDF-Show »Quizchampion«.

Inzwischen bin ich bei dieser Sendung im achten Jahr dabei. Ich habe bis heute nicht begriffen, wieso man beim ZDF bei der Suche nach einem »Erdkunde-Experten« ausgerechnet auf mich gekommen ist, und traue mich nicht, irgendwen nach den Gründen zu fragen – womöglich fällt erst dann auf, dass es gar keine gibt. Also ja keine schlafenden Hunde wecken.

Apropos wecken: Am Morgen nach der ersten, vor der zweiten Aufzeichnung düdelt mein Handywecker, und ich horche gründlich in mich hinein. Kann ich es wirklich vertreten, den Vormittag eines langen Aufzeichnungstages zu vertraben? Der »Quizchampion« dauert mindestens drei Stunden, ohne Werbeunterbrechung, und volle Konzentration bin ich meinen Auftraggebern schuldig. Wenn ich laufe, dann sollte ich dies tunlichst nicht an die große Glocke hängen, und anmerken lassen sollte ich mir erst recht nichts, z. B. indem ich während der Show einschlafe. Andererseits: Wer weiß, wann es mich wieder nach Berlin verschlägt? Am Ende des Denkprozesses schnüre ich meine mitgebrachten Nagelschuhe (in der schneefreien Hauptstadt enorm überflüssig), schultere meine rote Aktentasche aus den Siebzigern, die mich schon einige Jahre als lederner Talisman auf Drehreisen begleitet und in der sich eventuell eine Trinkblase ebenso gut mitführen lässt wie in einem dieser fancy Highend-Hiking-It-Bags – wir werden sehen.

Dann jogge ich vom Zoo zum Brandenburger Tor, weiter in den Wedding und hiernach am Hohenzollernkanal entlang stadtauswärts nach Spandau.


Manche Leute stemmen Hantelscheiben, ich wuchte Tränensäcke durch die Gegend.

Ich passiere auch den Campingplatz, auf dem ich während meiner Zelt-Zeit (200 Nächte hintereinander an der frischen Luft) viele Male übernachtet habe und schwelge in süßen Erinnerungen. Jetzt, da ich im trüben Coronäum den Platz wiedersehe, ist er bis auf wenige Wohnmobile weitgehend leer, leer wie die Terminals des verwaisten Tegeler Flughafens, leer wie mein Magen, der, als ich die Spandauer Innenstadt durchquere, kläglich zu knurren, ja zu knattern beginnt. Er klingt wie ein Rosinenbomber während der Luftbrücke im Landeanflug in just dieser Gegend.

Puh, ich hätte doch anständig frühstücken sollen; mein bisheriges Konzept des nüchternen Laufbeginns birgt, so lerne ich in Berlin, das Risiko eines Hungerastes, des totalen energetischen Lockdowns, und wer nicht rechtzeitig irgendwo etwas Essbares auftreibt, bleibt womöglich weinend im Straßengraben liegen.

Schon schießen mir Tränen der Verzweiflung in die Augen und verflüssigen meinen Blick, da grabe ich bei Kilometer 30 mit zittrigen Händen einen Riegel aus den Tiefen meiner Aktentasche, konzentriert kämpfend wie ein von seiner Forschung besessener Archäologe, und als ich mir den Barren in die Backen schiebe, gucke ich selig wie Heinrich Schliemann, als er Troja entdeckte.

Doch meine Beine bleiben bleiern, auch als ich, inzwischen vom Lauf- in den Gehmodus gewechselt, den Anstieg zum Teufelsberg nehme, lange Zeit Berlins höchster Gipfel, bis ihm die Arkenberge, eine ehemalige Mülldeponie im Nordosten, diesen Titel abnahmen.

Der Teufelsberg, aufgetürmt aus Weltkriegsschutt und bekrönt von einer Abhöranlage, mit der die Amerikaner während des kalten Krieges die Sowjets ausspähten, erweist sich als spannendes, aber aufgrund seiner Höhenmeter forderndes Ziel.


Auf dem Teufelsberg. Ein bisschen wie der Schiefe Turm von Pisa, nur in gerade und mit einem Golfball oben drauf.

Als ich schließlich im einsetzenden Schneeregen die verfallenen Militärgebäude ganz oben erreiche, wähne ich mich in himalayischen Höhen mit bleich schlotternden Lefzen und sehne mich nach tröstenden Sherpas, Sauerstoff oder doch wenigstens nach einem sauren Hering, Kutteln, Kräuterquark, egal, irgendeinem sauren Zipfel, kredenzt möglichst im Warmen, an einem Kaminfeuer, oder am besten gleich in der Badewanne.

Und mit derlei peinigenden Tagträumen schleppe ich mich wieder hinab ins Tal der Spree und stapfe müde fluchend den Kaiserdamm entlang.

Plötzlich höre ich hinter mir ein schallstarkes »Wigaald! Hallooo! Was machst duu denn hier?« Wie in Zeitlupe drehe ich mich herum, und wer steht in voller Pracht vor mir? Die echte, die unvergleichliche Barbara Schöneberger, bekannt aus Funk und Fernsehen.

Wir plaudern über »Last One Laughing« und andere gemeinsame Fernsehjobs.

Als sie fragt, was ich denn in der Gegend verloren habe, antworte ich wahrheitsgemäß und sie guckt etwas ungläubig. Und mir ist, als stünde ich unter Drogen, als erlebte ich eine enorm wirklichkeitsnahe Halluzination. Wie oft bin ich in den vergangenen 20 Jahren beim Laufen von Passanten adressiert worden? Zwei, drei Mal. Und heute von Barbara, dem blonden Engel vom Teufelsberg. Sachen gibt’s ...

Wir verabschieden uns per Luftkuss, und nach knappen fünf Stunden inklusive Kollegenplausch nähere ich mich wieder meinem Hotel, patschnass und innerlich zerzaust wie die Haare des englischen Premierministers, verdammt, wie heißt der doch gleich, Clint Eastwood? Auweia, bin ich im Eimer, weiß nicht mehr, wo rechts und links ist, geschweige denn, wie die Hauptstadt von Litauen heißt. War das nicht diese Zigarettenmarke? Nicht Lord Extra, nicht Juno (»aus gutem Grund ist Juno rund«), Reval, genau. Oder doch Tallin? Eieiei, das kann ja heiter werden, heute Abend beim »Quizchampion« ...

Auf den letzten Metern kaufe ich mir asiatische Bratnudeln auf die Hand. Als ich diese nackt im Hotelzimmer gierig verschlungen habe, drifte ich im Expresstempo ins Reich der Träume, zum mehrstündigen Mittagsschlaf. Mein letzter halbwacher Gedanke ist: »Boris Johnson – so hieß der!«

Beim »Quizchampion« am selben Tag agiere ich unauffällig. Zwar eile ich zu Beginn etwas hüftsteif die Showtreppe hinab und ertappe mich nach zwei Stunden Aufzeichnung beim verstohlenen Gähnen, eine Disziplinlosigkeit, die mich aber selber so sehr erschreckt, dass ich das dritte Drittel der Show im Zustand äußerster Wachheit absolviere.

Fazit: Marathon und die große Show schließen sich keineswegs aus.

Aber pst! Niemand darf davon erfahren, auch nicht Johannes B. Kerner, der von mir hochgeschätzte Moderator des »Quizchampion«, wenngleich Johannes selbst über Marathon-Erfahrung verfügt.

Also, liebe Barbara, bitte behalte unser Treffen für dich.

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