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Von Genese bis Langnese

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Ist die Welt nicht furchtbar langweilig, weil sie einem die immergleiche hässliche, mörderische, gemeine und abstoßende Visage zeigt? Man kann das so sehen, und nicht wenige hoffnungsvolle junge Männer fielen oder fallen der Schwermut anheim, manche auch der Schwerwut, der Verzweiflung, der Trunksucht – letzteres nicht deshalb, weil es sich bei ihnen um sogenannte »Feierbiester« handelte, sondern, im Gegenteil, um sehr ernsthafte Existenzen.

Aber ist diese Sicht auf die Welt hilfreich und klug? Es will mir nicht so scheinen. Der Teil der Menschheit, für den ein Tag nur dann ein guter Tag war, wenn jemand anderes getäuscht, ausgeplündert und dreist betrogen wurde, ist zweifelsohne existent, und der Eindruck, er vergrößere sich und verbreite sich aggressiv metastasenhaft, kann leicht entstehen. Wenn jemandem beim Anblick von Flüchtlingen nichts anderes einfällt, als reflexhaft »Weg hier! Raus mit euch! Verschwindet! Packt euch!« zu krakeelen und gegebenenfalls ein Pogrom anzuzetteln oder individuell kräftig Hand anzulegen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, bekommt das Wort Notschlachtung einen verführerischen Klang.

Doch soll man sich seinem Feind – das Wort »Gegner« ist hier fehl am Platz – nicht gemein machen, schon gar nicht in der Wahl seiner Grunzsprache und sonstiger Mittel. Wer Flüchtlinge in lebensgefährdende Situationen, denen sie gerade mühevoll entronnen sind, zurückjagen will, macht sich der versuchten oder vollzogenen Beihilfe zum Mord schuldig und gehört dafür verurteilt und eingesperrt. Verbale Mordbrennerei ist durch das kostbare Gut der Meinungsfreiheit nicht gedeckt.

Dazu kommt, dass die Grölmobber und ihre Anzug tragenden Vorturner gar nicht wissen, was eine Meinung ist; sie lügen bereits, wenn sie das Wort »Ich« nur aussprechen, aber auch das wissen sie selbstverständlich nicht, sonst wären sie ja andere, aber sie haben ja weder von Adorno noch von Rimbaud je gehört. Nennenswerter Gedankengang ist bei ihnen nicht einmal unter dem Mikroskop feststellbar, und wenn die Mischung aus Niedertracht, Dummheit, Gemeinheit und Feigheit einen mangels Masse erfolgenden Hirntod nach sich zöge, hätten die Friedhofsgärtner im Land hunderttausendfach die Hände voll zu tun.

So simpel aber ist es nicht; auch Hundekothaufen sind Teil des Universums. Das ist mitunter maßlos deprimierend; langweilig ist es nicht. Langeweile entsteht durch mediale Vermatschung und Breittretung, gepaart mit Zer­streuung. Wenn die zurecht verneutrummt »Bevölkerung« genannten Massen, die diese Welt tatsächlich weit über Gebühr mit sich bevölkern, vor der Idiotenlaterne sitzen, sich Cas­tingshows aller Art gefallen lassen, sich auch die Werbeblöcke nicht entgehen lassen, mit dieser Information im Rücken eine Meinung zu Flüchtlingen haben und den ganzen Salat dann noch digital kommentieren, ist die Genese zur geistigen Langnese vollzogen.

Bevor ich mich einer Depression ergebe, will ich doch lieber fröhlich in Ärsche treten. Erstaunlich, wie viele Gesäße dem gleichen, das ganz unzutreffend »menschliches Antlitz« genannt wird.

Kalte Duschen, Warmer Regen

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