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Sachsen, Nazis und Mentoren

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Es war ein gebürtiger Sachse, der schrieb: »Vom andern aus lerne die Welt begreifen.« Der Mann kam 1883 als Hans Bötticher in Wurzen zur Welt, drei Jahre später zog die Familie nach Leipzig, wo es zu der Zeit üblich war, schwarze Menschen wie exotische Tiere in Zoos und Menagerien auszustellen. Als der Schüler Hans Bötticher sich von einer Samoanerin, die ihn faszinierte, tätowieren ließ, wurde er in der Schule brutal gezüchtigt und der Anstalt verwiesen.

Im Alter von 17 Jahren wurde er Schiffsjunge und erlebte am eigenen Leib weitere Drangsal und Menschenquälerei. Er ging zur Marine und wurde Kommandant eines Minensuchboots; zwar war er tendenziell unpolitisch, doch ein so weltanschaulich klarer, anständiger und loyaler Mann, dass die revolutionären Matrosenräte ihn bei ihren Versammlungen duldeten und sprechen ließen. Nach dem Krieg verschlug es ihn quer durchs Land, er wurde Dichter und erlangte unter dem Namen Joachim Ringelnatz Bekanntheit, ja Berühmtheit; Zeitgenossen wie die Schauspielerin Asta Nielsen und die Schriftsteller Alfred Polgar und Kurt Tucholsky liebten und verehrten ihn.

In München, der späteren »Hauptstadt der Bewegung«, wurden seine Auftritte schon früh durch rechte Burschenschafter gestört, die, passend zu ihren Mensurschmissen, mit Bierkrügen nach dem Bühnenkünstler warfen und ihn bepöbelten; die Korporierten nannten seine Dichtungen »frivol« und »antivaterländisch«, was auch die Nationalsozialisten taten, die ihm Publikations- und Auftrittsverbot erteilten und ihn, den mittellos Gewordenen, damit zum Tod durch die Tuberkulose verurteilten, deren Behandlung er sich nicht mehr leisten konnte. Er starb 1934, gerade mal 51 Jahre alt. Was er von Hitler und seinen Leuten hielt, schrieb er, der sich stets der Welt und ihren menschlichen und tierischen Bewohnern poetisch zugewandt hatte, deutlich auf und sprach von dem »treuen deutschen Wort Scheiße«.

Auch das fällt mir ein, wenn ich sehend und lesend nacherlebe, was sich tut in Sachsen und anderswo, wie sich Mobs zusammenrotten, unter Duldung und offen gejohlter Zustimmung und Anfeuerung von schaulustigen Passivsadisten, die noch nicht selbst mit Hand anlegen, wenn es um Gewalt, Brandstiftung, Morddrohung, Körperverletzung und eine aggressiven Feindseligkeit geht, wie sie so offen und so gehäuft lange nicht zutage trat. So wie Joachim Ringelnatz kein Ringelnatz-Problem hatte, wenn er angegriffen wurde, sondern ein Problem mit Leuten, die als »Arschgeigen« zu bezeichnen sträflich verharmlosend wäre, gibt es in Deutschland kein »Flücht­lingsproblem«, sondern ein Problem mit Deutschen, die sich zum handgreiflichen Abschieben bis hin zum Lynch­mob organisieren.

Gedeckt und angestachelt werden sie von Politikern, die sich seriös geben, sich von Gewaltexzessen rhetorisch distanzieren und eine Politik propagieren, die alles, was sie abzulehnen und zu verabscheuen behauptet, erst ermöglicht. Der CSU-Funktionär Markus Söder, Träger des »Ordens wider den tierischen Ernst«, verlangt die Abschiebung von 350.000 Flüchtlingen und Asylsuchenden; dabei müsste er jedem auf Knien danken, der sich herablässt, seine Schweinestallsprachwüste aufzusuchen, einen Land-Strich, in dem einer wie Söder zu Macht und Ansehen gelangen kann. »Freistaat« ist ein anderes Wort für antidemokratisches An- und Unwesen, das gilt für Bayern wie für Sachsen – es sei denn, man entmachtete die Repräsentanten dieser Heimatschutzdiktaturen und schickte sie gnädig Toiletten putzen gehen, an der Autobahn, der Lieblingsstraße ihres Vorbilds.

Dass auch nur einer der Vorgänger Söders seinen albernen Orden aus Protest zurückgegeben hätte, ist nicht bekannt; die Volksaufhetzer erfahren keinerlei soziale Ächtung. AfD-Rechtsradikale werden medial hofiert; die Begründung, man würde ihnen sonst zu noch mehr Aufmerksamkeit und Zulauf verhelfen, ist so absurd und geistabsent, dass sie nur durch medial erzeugte Selbstverkrüppelung in die Welt kommen kann; das Lied »Crippled Inside« von John Lennon trifft Sache und Personal im Kern. Wo ein AfD-Mitglied ein Flüchtlingsheim leiten darf wie im sächsischen Clausnitz, kann man Amnesty International auch der NPD angliedern.

Was hat das alles mit Joachim Ringelnatz zu tun? Er war, wie Erich Kästner, Sachse; Gemeinheit und Niedertracht sind nicht regional gebunden; wo immer man ihnen begegnet, muss man sich wehren, mit den Mitteln, die man hat. Freigeistigkeit, humanistische Verwurzelung und Herzensbildung sind Bedingung für eine Welt, in der Menschen in Würde leben können. Erklärte Feinde und Abschaffenwoller demokratisch-humaner Minimalregeln ausschließlich mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen, klingt heroisch, läuft aber in vielen Fällen auf Kapitulation hinaus. Was AfD, Pegida, NPD und ihre Mentoren tun werden, wenn sie erst richtig Macht in Händen halten, kann man sich ansehen, wo sie auf lokaler Ebene bereits dazu fähig und befähigt worden sind.

Man muss einen Tot- und Mordschlag nicht erst begangen haben, um dafür abgeurteilt zu werden; die glaubhaft erklärte Absicht ist vollkommen ausreichend für die Anwendung juristischer Mittel und den Entzug jedweder bürgerlichen Rechte. Es gibt mit Nazis nicht das Geringste zu diskutieren; sie sind nicht verführt oder verblendet, sie sind Nazis aus Neigung, irreparabler Schädigung, Niedrigkeit, Gehässigkeit, sadistischer Freude, und sie sind es aus der Jauchegrube ihres »Ich« sich nennenden Niemandslands von Herzen gerne.

Mit der Aufbewahrung in einem Archipel Gulasch – verpflegt mit dem Giftfleisch, dessen Verzehr sie innerlich wie äußerlich prägt – wären sie noch geradezu übermenschlich freundlich bedient. Eine Abschiebung in den Islamischen Staat wäre schon angemessener und käme natürlich auch finanziell günstiger.

Kalte Duschen, Warmer Regen

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