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Aus der Wertewelt

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Man kann nicht nur vernünftigerweise Menschen einbürgern, sondern bedauerlicherweise auch Unsitten. So hat es sich beispielsweise »eingebürgert«, dass die Angehörigen der Mediengroßfamilie Laberarsch in Talkshows, in sogenannten Debatten oder in Leid-mit-d-oder-t-Artikeln die Hände ringen und bestürzt den »Werteverlust« begreinen, einen »Verlust« jener »Werte« also, bei denen es sich, von ihnen bejammert, allenfalls um Pfennigartikel oder um Bückware handelt.

Dass »unsere Werte« von Fremden »bedroht« würden, liest und hört man hierzulande mehrmals täglich; was diese »Werte« sein sollen und wieso sie in einer auf Massenindividualismus fixierten, disparaten Gesellschaft »unse­re« wären, sagt niemand.

Statt dessen gibt es den »Wertekanon«, der aber nicht gesungen wird, den »Wertekatalog«, der nach Quelle oder dem Otto-Versand klingt, es gibt »die westlichen Werte«, mit denen sogenannte »demokratische« und »kul­turelle Werte« gemeint sein sollen. Letztere, die »kul­turellen Werte«, sind oft an die Sprache geknüpft; ohne eine gemeinsame Sprache keine gemeinsame Kultur. Turnusmäßig ergeht die Forderung an ausländische Zuzügler, sie hätten sich den hiesigen »Werten« anzupassen und unterzuordnen, und dies beginne nun einmal mit dem Erwerb und dem Erlernen der deutschen Sprache.

Nun gibt es nicht wenige deutsche Landsleute, viele davon sogenannte »Prominente« aus Politik, Medien, Kultur und Sport, denen eine Alphabetisierungskampagne sehr gut auf- und weiterhelfen könnte, für die aber alle Mahnungen, der deutschen Sprache wenigstens ein bisschen weniger ohnmächtig zu werden, offenbar nicht gelten. Schließlich tun sie der Beschwörung von »Werten« durch »Wertschöpfung« genüge, also durch Gelderwerb und Geldvermehrung; die Verwendung des biblischen Wortes »Schöpfung«, das der »Wertschöpfung« innewohnt, ist irritierend. Ist Gott für »Wertschöpfung« gestorben? Tot ist er ja, wenn man Friedrich Nietzsche und der jungen Nina Hagen Glauben schenkt, aber für das »Schaffen von Werten«, also den Erwerb und die Anbetung des Mammons starb er dann doch lieber nicht.

Auch die Kosmetiksprache hantiert mit Werten und preist ihre Produkte mit Nullsätzen wie »Weil Sie es sich wert sind« an; manches Lebensmittel ist »so wertvoll wie ein kleines Steak«, anderes war noch »nie so wertvoll wie heute«, und dann gibt es auch noch das »pädagogisch wertvolle« Kinderspielzeug. Ist es ein Wunder, dass »Wertedebatte« sich auf Zuckerwatte reimt?

Auch das »Vermitteln von Werten« ist groß in Mode; nur was »Werte« substantiell sind, erfährt man eben nie oder nur ex negativo: Prominenz ist kein Wert an sich, Geld und Reichtum sind keine Werte an sich; kurz: Werte sind kein Wert an sich. Wie man weiß, können einem die äußeren Werte gestohlen werden, und solange mir keiner sagt, was er mit »Werten« meint, können mir die »inneren Werte« gestohlen bleiben.

Die einzigen Werte, für die ich mich interessiere, sind die Nikotinwerte meiner Zigarren und meine Blutwerte; solange die prima tacko und prick sind, will ich mit den Gratiswerte-Heulsusen schon fertig werden. Und wer mit »Werte schaffen« nur seine Geldgier zu verklausulieren sucht, kann sich gleich zu Wertpapier schreddern lassen.

Kalte Duschen, Warmer Regen

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