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Der Agent raste mit seinem Wagen über die vereiste Straße. Jeder Bremsversuch wurde zum Wagnis, jede Kurve zur Lebensgefahr. Aber etwas saß ihm im Genick … Heydrichs kaltes, bleiches Gesicht. Die Angst vor ihm war größer als die Furcht vor dem Unfall. Die Meldung: »Es hat nicht geklappt, Gruppenführer … ich habe den zweiten Mann verpaßt«, war tödlicher als das Glatteis. Diese Vorstellung trieb ihm den Schweiß aus den Poren und den Fuß auf das Gaspedal.

Zehn Minuten über der Zeit. Um siebzehn Uhr zehn erreichte Stahmer den Treffpunkt: einen Buchladen in der Kleinstadt mit einem unaussprechlichen Namen. Stahmer blickte durch die Scheibe. Von dem Mann war nichts zu sehen. Entweder war er gegangen oder noch nicht gekommen. Die Zeit rann wie durch eine Sanduhr. Er starrte auf die Buchtitel.

Dann sah er den Mann mit den hängenden Armen, der so über die Straße schlenderte, als wäre er gewohnt, mit den Füßen zu treten statt zu gehen. Im Spiegelbild sah das alles noch verzerrter aus. Hier verfolgte Werner Stahmer, wie der Bursche langsam von hinten auf ihn zukam. Er erfaßte sofort: das muß er sein. Typen dieser Art kannte er. Sie gehörten zum Reichssicherheitshauptamt. Sie waren in den Verhörkellern zu Hause. Und wenn sie Karriere machten, hatten sie sich mit den Fäusten zum Tageslicht durchgeprügelt.

Der Mann trat ganz dicht an ihn heran, musterte ihn ohne Vorsicht von der Seite. Anfänger, dachte Stahmer wütend. Dann sagte er leise: »Heimweh.«

»Georg«, erwiderte der Mann das Kennwort.

»Sind Sie sicher, daß Ihnen niemand folgt?« fragte Stahmer halblaut.

»Absolut.«

Stahmer nickte leicht mit dem Kopf. Dann gingen sie nebeneinander her. Der Komplice zog eine Hand aus der Tasche, die Knöchel waren dunkel gerötet. Der Agent spürte vom ersten Moment an, daß er Georg nicht mochte. Er war einer dieser Kerle, die man nach dem Zusammenbruch zu Hunderten hängt und, falls man es versäumt, später zu Tausenden für das alte Unrecht mit Renten ausstatten wird.

»Was wissen Sie?« fragte Stahmer.

»Nichts Genaues«, erwiderte der Helfer.

»Sprengmaterial haben Sie mit?«

»Ja.«

Sooft ihnen Menschen entgegenkamen, schwiegen sie.

»Sie kennen das Hotel?«

»Ja.«

»Seien Sie Punkt neunzehn Uhr da. An der Hinterfront. Sie benutzen das Postauto. Fahren aber nicht ganz heran. Ich stehe am Fenster und gebe Ihnen mit der Taschenlampe ein Lichtzeichen. An dem Seil, das ich herablasse, ziehen Sie sich hoch … das muß ganz schnell gehen … klar?«

»Ja«, entgegnete Georg.

»Haben Sie eine Waffe bei sich?«

»Selbstverständlich.«

»Sie werden sie nicht benutzen«, versetzte Stahmer drohend.

Der Komplize nickte verdrossen. Er war groß und breit. Seine Stirn war klein und fliehend. Sein Blick unstet. Wie mag es erst in seinem Kopf aussehen? überlegte der Agent.

»Um neunzehn Uhr geht unser Mann üblicherweise nach unten … Ich habe einen Nachschlüssel. Wir schleichen uns in sein Zimmer … Sie bringen die Höllenmaschine an … Zündung eine Stunde später … Dann gehen wir so lange in mein Zimmer, bis Formis zurückkommt … Wir werden ihn mit Chloroform betäuben … Das muß ganz schnell und lautlos gehen … kapiert?«

»Ja«, antwortete der Mann namens Georg grinsend.

»Wir fahren sofort los … erst im Wagen wird er gefesselt und geknebelt … Noch eine Frage?«

»Ja … Ich brauche zwanzig Minuten für meine Bombe … was passiert, wenn der Mann in der Zwischenzeit hochkommt?«

»Er kommt nicht hoch«, erwiderte Stahmer kalt, »das Mädchen wird auf ihn aufpassen …«

»Was für ein Mädchen?« entgegnete der Bulle.

Seine wasserblauen Augen wurden rund und hohl wie Pistolenläufe.

»Braucht Sie nicht zu kümmern«, antwortete Stahmer knapp. »Sie ist von der Zentrale mitgeschickt.«

»Mädchen sind ja sonst ganz schön«, maulte der Bursche, »aber bei so was … nee …«

»Geht Sie nichts an«, versetzte der Agent. »An der nächsten Ecke trennen wir uns langsam … Punkt neunzehn Uhr …«

Werner Stahmer wirkte fast erleichtert, als er von dem Helfer weglief.

Viel lieber wäre es ihm, er könnte sich so rasch von seinem Auftrag entfernen …

Prinz Albrecht Straße

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