Читать книгу Prinz Albrecht Straße - Will Berthold - Страница 26
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ОглавлениеDie Stimme aus dem Äther schwieg. Mit dem Ende der Nachrichten kam das Grauen. Es geisterte durch das freundliche Mädchenzimmer, degradierte es zum Niemandsland der unsichtbaren Front. Ira und Margot sahen sich betroffen an. Beide waren sie jung und schön, blond die eine, dunkel die andere. Beide waren sie geschaffen, um zu leben, zu lieben, zu träumen. Und beide waren sie in Gefahr. In Lebensgefahr …
»Mit dem Gongschlag ist es zwanzig Uhr«, fuhr der Sprecher fort.
Ira zuckte zusammen. Margot ging auf sie zu, zog die Hand durch ihren Arm. Sie begriff nichts, aber sie sah das Entsetzen in Iras Pupillen. Sie wollte der Freundin helfen, ohne zu wissen, wie tödlich das sein konnte. Der Anschlag in dem Hotel über der Moldau war zu einem Ausrufezeichen der Weltpolitik geworden. Unten, irgendwo im Haus, knallte ein Sektpfropfen. Gläser klangen. Menschen lachten. Der Abend versprach hübsch zu werden. Eine Zufallsgesellschaft stellte sich dem Vergnügen … und fragte nicht, wo die Moldau liegt.
»Willst du mir nicht endlich …?« begann die zierliche Margot zögernd. Die Freude an ihrem neuen Kleid war einer unheimlichen Empfindung gewichen.
Ira schüttelte den Kopf.
»Sie hören jetzt Marschmusik«, sagte ein Unbekannter aus dem Lautsprecher.
Dann schlug die Zeit auf die Pauke. Viervierteltakt. Im gleichen Schritt und Tritt. Blech machte Takt, und Stiefel nahmen den Rhythmus auf …
»Komm«, drängte Margot. »Setz dich und …«
Links, zwo, drei, vier … ein Lied! Paukenschläge zerhämmerten Iras Bewußtsein … Geheime Reichssache … Tschingdera … Ich darf es ihr nicht sagen … Bumm, bumm, bumm … Auf jede Verletzung der Schweigepflicht steht der Tod … im gleichen Schritt und Tritt … Ein Mann namens Formis ist in Deutschland unbekannt, also wurde er nicht ermordet … Das ist die Logik des Teufels …
»Ich«, erwiderte Ira gequält, »ich … kann nicht …«
Und dann ließ die Angst sie doch reden. Sie durfte die Freundin nicht mit hineinziehen, aber sie brauchte Hilfe.
Sie berichtete über den Anschlag auf Formis. Schnell, Zerfahren. Ohne Anfang … unter dem Zwang des fürchterlichen Endes. Ihr schmales, knappes Gesicht mit den vollen Lippen und den hellen Augen wurde zum Spiegel, der die Stationen des blutigen Abenteuers festhielt. Wieder stand die junge, blonde Frau in diesem Moment auf dem Flur des Hotels und horchte. Ein Schuß. Noch einer, noch einer … »Bumm, bumm, bumm«, kommt es aus dem Radio …
Zuerst lächelte Margot, schüttelte den Kopf.
Dann begriff sie allmählich Iras Situation. Sie fragte, bohrte und erfuhr alle Einzelheiten einer »Geheimen Reichssache«, ohne zu wissen, was das ist. Viele werden daran sterben, ohne es je begriffen zu haben.
Margot hob den Kopf. Ihr Gesicht war ernst. Sie ordnete die Haare wie ihre Gedanken. Warum mußte sich Ira überhaupt auf so etwas einlassen? dachte sie einen Augenblick verbittert. Dann schob sie den Vorwurf weg. »Und du glaubst«, sagte sie leise, »Stahmer weiß, daß du Formis im letzten Moment gewarnt hast?«
»Ja«, entgegnete Ira.
»Und wo ist er jetzt?«
Ira hob und senkte die Schultern wie verloren.
»Das … ist eine Chance«, fuhr Margot zögernd fort.
»Was?« fragte Ira zerstreut.
»Daß er nicht zurückkommt«, versetzte Margot hart, »daß sie ihn festnehmen und einsperren … verstehst du?«
Das Klopfen an der Tür ließ die beiden jungen Mädchen wie Verschwörerinnen auseinanderfahren. Im Rahmen erschien ein lächelnder junger Mann im dunklen Anzug.
»Wo bleibst du denn?« fragte er Margot. Jetzt erst sah er Ira und setzte hastig hinzu: »Entschuldigung … ich wußte nicht, daß du Besuch hast.«
»Das ist Georg«, stellte Margot vor.
Er ging auf Ira zu und verbeugte sich artig. Georg … der Vorname traf die junge Frau wie ein Peitschenhieb. Georg, der Mann mit den Spatenhänden. Georg, der Kerl mit der Mördervisage!
Ira zwang sich mit Gewalt, den Kopf zu heben, ihm die Hand zu geben. Betroffen stellte sie fest, daß er ein sympathischer junger Mann war, wie sie zu Hunderten herumlaufen.
»Was starren Sie mich so entsetzt an?« fragte er lachend. Dann bot er ihr den Arm.
Sie gingen zu dritt nach unten. In der Wohnhalle empfing man sie begeistert. Die Platte drehte sich auf dem. Grammophon. Die Melodie war weich, verträumt. Langsamer Walzer. Dreivierteltakt. Die Gesellschaft war bunt. Der Sekt gekühlt. Das Lachen echt. Einer räumte den riesigen Teppich beiseite. Ira trank das zweite Glas Sekt aus. Zuerst war ihr schwindlig, dann wurde ihr leicht. Die Angst versank im Wirbel.
Der Begleiter verbeugte sich. »Tanzen Sie?« fragte er.
Sie nickte. Sie lehnte sich leicht zurück. Ihre Augen waren halb geschlossen. Ihre Schritte schwebten über das Parkett: »Ich tanze mit dir in den Himmel hinein.«
Er konnte es. Er verzögerte leicht den Schritt. Beim ersten Takt glitt sein Fuß weit nach vorn, nach der Regel des langsamen Walzers, die so wenige beherrschen. Ira spürte die feste Hand auf ihrer Schulter, und sie schmiegte sich weich an ihren Partner. Linksherum, Rechtsdrehung, Verzögerung, Wechselschritt. Sie vergaß die Zeit. Sie tanzte über ihre Angst hinweg. In den Armen Georgs.
Und ein anderer Mann namens Georg ist ein feiger Mörder … und darf nicht wiederkommen … Links, rechts, Wechselschritt …