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ОглавлениеAchtzehn Uhr neunundfünfzig. Die Phosphorzeiger der Armbanduhr flimmerten. Rudolf Formis schraubte langsam den Füllhalter zu. Sein Blick glitt über die letzten Zeilen des Manuskriptes. Dann rieb sich der Mann mit dem feinen Gesicht die kurzsichtigen Augen. Er warf einen Blick auf die Ecke mit den Aggregaten des Senders. Daneben stand ein Wecker. Neunzehn Uhr vier. Formis schreckte auf. Gerade noch Zeit zu essen.
Der Stuhl schlürfte über den Holzboden. Der Emigrant drehte an zwei Schaltern. Ein rotes Glühlämpchen leuchtete auf. Die Röhren seines Senders wurden vorgewärmt. Dann rüttelte Formis am Fenstergriff. Wie üblich überprüfte er den Verschluß. Als er die Vorhänge noch dichter zusammenzog, wanderten seine Augen über das Schneefeld hinter dem Haus.
Wie friedlich, dachte er, als für einen Augenblick die Wolken die mondglänzende Schneelandschaft freigaben. Aber er wußte, daß dieser Friede keinen Platz für ihn hatte, daß auch dieser einsame, verlassene Fleck Erde an der Moldau für ihn zur belagerten. Festung werden konnte. Denn wo Formis ging und stand, lebte er im Kampf gegen das Unrecht, im Krieg gegen Hitler.
Auf einmal empfand der einsame Mann eine wehmütige Sehnsucht. Er möchte aufhören mit dem Kämpfen. Er möchte nicht mehr Rufer in der Wüste sein. Er möchte … wie der Mann, der sich jetzt dort aus dem Schatten des Waldrandes löste, Feierabend haben, nach Hause gehen, wo Frau und Kinder auf ihn warten.
Dann wurde sein schmaler Mund scharf und streng. Für diese Menschen tust du es ja, sagte sich Formis, damit sie ihren Frieden behalten, ihre Arbeit haben, den Feierabend genießen, damit die Freiheit nicht ausstirbt auf dieser Welt …
Woher sollte er wissen, daß der Mann auf der Straße, Georg, den er so sehr beneidete, etwas ganz anderes suchte als Frieden, Frau, Kinder und Freiheit?
Mit gebeugtem Rücken verließ Formis sein Zimmer. Manchmal glaubte er, die Bürde, die er für andere trug, nicht mehr aushalten zu können.