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Der Wind hauchte seinen eisigen Atem gegen das einsame Hotel über der Moldau. Drinnen hörte es sich an wie fernes Gewinsel, traurig und schaurig. Das Licht kam aus dem Dämmern nicht heraus. Die Wirtsstube lag im Halbdunkel. Im Kachelofen bullerten riesige Buchenscheite. Die Bretterböden der Gänge knisterten unheimlich. Heute fand das Unfaßbare statt. Schauplatz war das zwei Kilometer von Zahorski entfernte Hotel, an einem Tag, an dem man keinen Hund hinausjagte … und keinen Agenten hereinließ.

Unbemerkt betrat der große Mann mit dem kühnen Gesicht das einsame Haus. Zurück von Berlin mit Umweg über Prag. Mit dem Auftrag in der Tasche.

Werner Stahmer parkte die schwarze Limousine auf dem kleinen Platz neben dem idyllisch gelegenen Hotel. Er lauschte eine Weile dem Lauf des Motors nach. Zufrieden nickte er vor sich hin. Dann stieg er aus. Die Türen des Wagens schloß er nicht ab. Wenn es soweit war – heute nacht –, wenn er den betäubten Formis zum Wagen schleppen würde, durfte er keine Sekunde verlieren. Eine einzige Sekunde konnte alles entscheiden.

Mit festen Schritten ging der Agent über den schneebedeckten Platz. Die Tür des Hotels knarrte in den Angeln, als er sie öffnete. Es hörte sich unheimlich an in der Stille ringsum. Bald würde diese Stille zur Hölle werden.

Unwillkürlich straffte sich die mächtige Gestalt des Agenten. Zuerst zu Ira, dachte er …

Werner Stahmer warf einen kurzen Blick auf das Schlüsselbrett im Gang. Der Nagel unter der Nummer neun war leer. Also mußte Ira auf dem Zimmer sein.

Der Mann aus Berlin nickte und ging weiter. Die Treppenstufen knarrten gedämpft unter dem Läufer. Als der Agent im ersten Stock in den Korridor eintrat, schälte sich eine Gestalt aus dem zwielichtigen Hintergrund.

»Na, wieder zurück, Herr Stahmer?« sagte Rudolf Formis freundlich.

Stahmer erschrak, obwohl er sich seit seinem Abflug aus Berlin mit keinem anderen Menschen beschäftigt hatte als mit dem Mann da vor ihm. In jeder Form: bewußtlos, gefesselt, geknebelt, als Bündel im Kofferraum. Nur auf diese Begegnung war er nicht gefaßt. Auf einen Formis, der herumlief wie jeder andere, seinen Kaffee trank und ihn am Treppenabsatz in ein höfliches Gespräch verwickeln wollte.

»Ich hoffe, daß Ihre Reise Erfolg hatte«, sagte der Mann mit dem Gelehrtenkopf konventionell.

»Ja …«, erwiderte der Agent. Er schluckte.

»Ich habe mich inzwischen gut mit Ihrer Gattin unterhalten …«

»Vielen Dank«, entgegnete Stahmer spröde. Der Teufel soll dich holen, dachte er, wenn nur ich dich nicht holen müßte!

Eine Sekunde spielte er mit dem wahnwitzigen Gedanken, Formis auf der Stelle anzuspringen, niederzuschlagen. Dann wirkte er wieder ruhig, beherrscht. Nerven behalten, befahl er sich.

Eine Tür sprang auf. Ira Puch trat auf den Gang.

»Du?« sagte sie betroffen.

»Ira … Liebling …«, rief Stahmer hastig. Es klang wie ein Fluch.

Aber Rudolf Formis war langsam und lächelnd weitergegangen. Der Agent zog Ira hinter sich her.

Ira lächelte bedrückt. Mit Stahmer trat für sie die Angst ins Zimmer. Die junge Frau mit den blonden Haaren und den vollen Lippen verfolgte jede seiner Bewegungen. Wie er den Mantel über das Bett warf, wie er sie kurz und sachlich musterte.

»Na, alles in Ordnung?« fragte er leise.

Sie nickte, als schüttelte sie etwas von sich ab. »Und bei Ihnen?« fragte sie beklommen.

Der Agent lächelte schief. »Es geht los … in sieben Stunden ist es geschafft, oder …«

Ganz langsam setzte sich Ira auf den Stuhl. »Was geht los?« fragte sie.

Werner Stahmer minderte die Stimme. Er sprach halblaut, unterdrückt, rauh, schnell: »Ja«, sagte er, »der Kerl muß weg. Der Sender auch. Sofort … Die Zentrale hat entschieden. Er muß lebend gefaßt werden … Dumme Sache! Wird schon klappen … Heute abend, eine Minute nach acht.«

Die Augen der jungen Frau sahen an dem Mann vorbei ins Leere. Die Lippen öffneten sich halb.

»Wen müssen wir lebend fassen?« fragte Ira, als hätte sie ihn nicht verstanden.

»Formis«, versetzte Stahmer unwillig, »wen denn sonst? …«

Er hielt ihr ein Päckchen Zigaretten hin. Sie nahm eine, nachdenklich, umständlich. Aber sie ließ sich kein Feuer geben.

»Aber damit haben Sie nichts zu tun …«, fuhr der Agent ruhig fort, »das machen wir allein.«

»Wer … wir?« fragte Ira Puch. Sie drehte fahrig die Zigarette zwischen den Fingern.

»Ein zweiter Mann«, erklärte Stahmer kurz. »Ich schleuse ihn um sieben ins Hotel.«

»Und was soll er?« fragte Ira. Die Zigarette war schon lappig und rundgedreht.

»Sicherung.«

Iras Gesichtszüge erstarrten. Die Zigarette platzte an der Papiernaht. »Gegen wen?«

»Gegen alle«, erwiderte er.

»Und dann?«

»Dann sitzen wir gemütlich im Auto und fahren unsere Beute heim«, erklärte Stahmer mit einer Spur Bitterkeit.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Und wenn es nicht gemütlich wird?« erwiderte sie hartnäckig, »zum Beispiel an der Grenze?«

»Nett von Ihnen, daß Sie anfangen mitzudenken …« Der Agent sah besorgt auf sie hinunter. »Dann werfen wir den Zöllnern Handgranaten vor die Füße …«

Ira kauerte starr auf ihrem Stuhl. Ihre Finger zupften den Tabak aus dem Papier.

»Und was soll ich dabei tun?« Sie beugte sich leicht vor.

»Nichts.« Er trat vor sie hin, hielt ihr Kinn mit der Hand.

»Angst?«

Sie wich mit dem Kopf aus. »Weiß nicht«, antwortete sie ruhig.

»Wäre auch überflüssig«, versetzte Stahmer lakonisch. »Sie haben nichts weiter zu tun, als Formis bei Laune zu halten. Von halb acht bis acht darf er die Wirtsstube nicht verlassen … Sie müssen ihn so lange festhalten … das wäre alles … Damit sind Sie entlassen aus dem Dienst …«, er lächelte mit der Andeutung von Spott, »und aus der Ehe mit mir … Verstanden?«

Ira nickte.

»Die Dreckarbeit«, stellte Stahmer abschließend fest, »machen wir allein.«

Die junge Frau stand langsam auf.

»So … die Dreckarbeit …« Ihre Stimme schwankte leise. »Ich glaube«, sagte sie mühsam nach einer lähmenden Pause, »mein Teil ist der schmutzigste.«

»Wieso?«

Ira wandte sich brüsk um. »Haben Sie schon mal daran gedacht, was mit dem Mann in Deutschland geschieht?«

»Ja«, erwiderte der Agent. Er trat an ihre Seite, drehte sie mit derbem Griff zu sich um. »Haben Sie schon einmal daran gedacht, was mit uns geschieht, wenn die Sache schiefgeht?«

Ira schüttelte benommen den Kopf. »Haben Sie kein Mitgefühl?«

»Doch«, erwiderte er kalt, »aber ich pflege es bei solchen Aufträgen zu Hause zu lassen.«

Ihre Augen hielten sich gegenseitig fest. Mit einem Griff umschloß Stahmer hart Iras Handgelenk.

»Denken Sie nicht an ihn«, sagte er mit pfeifender Stimme, »denken Sie lieber an sich … und an mich.«

Er ließ sie ruckartig los. In diesem Moment klopfte jemand so fest gegen die Eichentür, als hätte er Stahlknöchel.

»Herein!« rief Stahmer heiser.

Im Rahmen standen zwei Männer in Ledermänteln. Sie machten Gesichter, als beträten sie einen leeren Raum. Der vordere wandte den Aufschlag seines Mantels um. Eine Marke blinkte matt.

»Polizei«, sagte der Beamte in schwerem, gutturalem Deutsch. »Wir … müssen Sie sprechen …«

Ira lehnte blaß an der Wand. Werner Stahmer fühlte ein Stechen zwischen den Rippen. Langsam schob er die Hand in die Hosentasche. Er zwang sich zur Ruhe. So neu er in der Branche war, wußte er, daß der Zufall die unsichtbare Front kommandierte.

»Bitte«, entgegnete er gefaßt.

»Zuerst Ihre Gattin«, antwortete der Beamte, »wir rufen Sie später.«

Ira begriff.

Sie ging zwischen den Beamten nach unten, als würde sie bereits abgeführt …

Prinz Albrecht Straße

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