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ZWEITER TEIL: ERKLÄREN

Im zweiten Teil des Buches befasse ich mich mit dem kausalen Aspekt der Leibniz’schen Warum-Frage bezüglich des Ursprungs des menschlichen „Geistes“. Das bedeutet, dass den vermeintlichen Ursachen seines Entstehens und Werdens nachgegangen werden soll. Dieses Verfahren entspricht einer besonderen menschlichen Verhaltensweise: dem Erklären. Wie aber schon eine grundsätzliche Besinnung auf dieses Vorhaben am Ende des letzten Abschnitts gezeigt hat, lässt es sich keineswegs leicht bewerkstelligen. Es ist nämlich naiv anzunehmen, der Mensch könne ohne weiteres die Frage nach dem Ursprung seines „Geistes“ bzw. nach dessen „Verursachung“ klären.

Üblicherweise dient die Vorstellung als Ausgangspunkt der Erklärung, wonach der „Geist“ als das „zwangsläufige“ Produkt gewisser Vorgegebenheiten aufgefasst wird, seien sie somatischer, psychischer, sprachlicher, sozialer oder historischer Art – Vorgegebenheiten, deren generierende Wirkungsweise man zwar zur Zeit nicht ganz durchschaut, aber deren man irgendwann voll habhaft zu werden hofft, um den „Geist“ schließlich in einer endgültigen Erklärung fassen zu können. Indessen stellt sich bei genauerem Hinsehen die Sachlage doch ungleich komplizierter dar. Will man sich daher nicht dem Tadel einer voreiligen, ja fahrlässigen Vorgehensweise aussetzen, muss behutsamer zu Werke gegangen werden.

Das Erklären als eine besondere Form menschlichen Verhaltens geschieht auf der Basis eines umgreifenden wie differenzierenden Verstehens – eines Verstehens, das uns allerdings meist unausdrücklich bestimmt. Trotzdem bildet es eine wichtige Voraussetzung für das geplante Vorgehen, das man als eine Art kritische Reflexion ansprechen kann.

Wenn wir uns um Erklärungen bemühen, richten wir unser Augenmerk nach rückwärts, also in die Vergangenheit. Denn wir fragen nach dem Woher des Menschen, hier speziell nach dem Woher des menschlichen „Geistes“ und versuchen, seine mögliche Ursachen zu vergegenwärtigen, d.h. ins Bewusstsein zu „holen“. Als Vorlage dienen dazu zunächst die persönlichen Erinnerungen an eigene Ereignisse und Erlebnisse. Solches ist möglich, weil sie im Gedächtnis kurz- oder langfristig aufbewahrt, gespeichert werden, um zu einem späteren Zeitpunkt eventuell abgerufen, eben vergegenwärtigt werden zu können. Wie sich allerdings diese mnemotechnischen Prozesse im Einzelnen abspielen und wo sie im Gehirn genau zu lokalisieren sind, ist weitgehend unbekannt. Dabei steht es außer Frage, dass der Mensch neben unwillkürlichen, vielfach assoziativ ins Bewusstsein tretenden Erinnerungen auch aktive Zugriffsmöglichkeiten besitzt.

Nimmt man die Menschheitsgeschichte als Ganzes in Augenschein und fragt generell nach der Herkunft des Menschen, verfährt man in analoger Weise. Um in die zeitlichen Fernen vorzudringen, orientiert man sich an Spuren, die sich für die jüngere historische Zeit in zahlreichen Überlieferungen, allem voran in den verschiedenen Schriften und Dokumenten erhalten haben. In der Urgeschichte finden sie sich in den Überresten von Gerätschaften (Werkzeugen, Waffen etc.) sowie in Kunstwerken (Höhlen- und Felsmalereien u. a.). Anhand von Fossilien, Petrefakten u. a. lässt sich in noch fernere, vorgeschichtliche Epochen zurückgehen, um die Evolution des Menschen wie die der übrigen Lebewesen, ja den wahrscheinlichen Entstehungsprozess des Universums insgesamt, zu rekonstruieren.

Bei dieser erinnernden Rückschau darf allerdings etwas sehr Wichtiges nicht übersehen werden: Zwar sind wir in der Lage, Vergangenheiten, besonders unsere eigene, in das präsentische Bewusstsein zurückzurufen, gleichsam zu re-aktivieren. Aber das Umgekehrte ist uns versagt, nämlich den menschlichen „Geist“ seiner Gegenwärtigkeit zu „entäußern“ und ihn als solchen in die Vergangenheit zu „verlagern“. Weil er nur „ist“, indem er sich selbst aktualisiert, kann er niemals in einen, etwa in Dokumenten konservierten, „festen Besitzstand“ übergehen, sondern muss sich in immer neuen Anläufen zu verwirklichen suchen. Eben wegen dieses seines präsentischen, in Akten sich vollziehenden Seins kann er als solcher nicht in die Vergangenheit „abwandern“ und dort als gegenwärtiger angetroffen werden.

Die Sprache kennt im Vergleich zum „Vergegenwärtigen“ keine entsprechenden Ausdrücke für ein Absetzen des „Geistes“ in die Vergangenheit oder die Zukunft. So gibt es also weder ein „Vergangenheiten“ noch ein „Verzukünftigen“ des „Geistes“. Und Erinnern besagt ja Hereinholen in die Gegenwart! Was übrig bleibt, sind gewisse Eindrücke, an denen wir, sobald wir sie in unsere Erinnerung zurückrufen, ablesen, dass wir sie hinterlassen haben und daran beteiligt waren. Aber das Gegenwärtigsein, das eigentliche Sein des „Geistes“, ist verschwunden, weil er stets nur im „Jetzt“ anwesend ist.

Von hier aus wird verständlich, warum der „Geist“ sich nicht präzise im Organismus bzw. im Gehirn lokalisieren lässt. Experimentell kann man das gut nachprüfen. Wenn man sich in entspannter Verfassung mit geschlossenen Augen hinlegt, erlebt man, wie der „Geist“ eine raumübergreifende, dabei präsentische, eben aktuelle „Mobilität“ entfaltet und sich über den Organismus von Kopf bis Fuß ausbreitet – unter Umständen mit punktueller Bevorzugung gewisser Leibregionen. Allenfalls lässt er sich schwerpunktmäßig, gleichwohl höchst vage, im Kopfbereich ansiedeln, was vermutlich mit den dort verankerten, höheren Sinnesorganen und den „Sprech-Werkzeugen“ zusammenhängt.

Diese Einsichten in die apriorische „Präsentizität“ und „Nicht-Lokalisierbarkeit“ des menschlichen „Geistes“ sollten verhindern, ihn aus wissenschaftlich feststellbaren, objektiven Vorgegebenheiten herleiten zu wollen, was offenbar stets nur in „Sackgassen“ der Erklärung führt. Dann aber stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll oder ertragreich ist, sich mit diesen Versuchen zu befassen. Denn auch wenn die besagten Erklärungsbemühungen den „Geist“ nicht erreichen, so können sie ihm umgekehrt doch zur eigenen Erhellung und „Konturierung“ verhelfen. Letztlich dienen alle den „Geist“ anvisierende Erklärungsanstrengungen dem Nachweis seiner Rätselhaftigkeit, seines Inkognitos, und somit tragen diese positiv ungenügenden Ergebnisse gerade dazu bei, seine Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit, kurz: seinen Sonderstatus herauszustellen.

Also, auch wenn der „Geist“ sich nicht als schlichte Funktion materieller, organischer, psychischer, sprachlicher, sozialer oder historischer Faktizitäten einstufen und erklären lässt, so haben die Erklärungsversuche doch ihre Berechtigung. Entsprechend der jeweiligen Wissenschaft – Physik, Biologie, Neurologie (Gehirnphysiologie), Linguistik, Psychologie, Soziologie, Historiologie – werde ich in sieben Abschnitten die jeweilige Position darstellen, wobei auch kompetente Forscher zu Wort kommen sollen.

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