Читать книгу Was macht uns einzigartig? - Winfried Rorarius - Страница 9
EINLEITUNG
ОглавлениеGottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) wirft in einer zwei Jahre vor seinem Tod verfassten Schrift mit dem Titel Prinzipien der Natur und der Gnade, die er dem Prinzen Eugen widmete, im Zusammenhang einer Erörterung des Grundsatzes vom zureichenden Grund (principium sufficientis rationis) die Frage auf, die er als die erste Frage wertet: „Warum gibt es überhaupt Etwas und nicht Nichts?“ Gemäß dem genannten Grundsatz gibt er darauf zunächst die allgemeine Antwort, dass nichts ohne Grund geschieht.
Im Anschluss fragt Leibniz konkret nach dem zureichenden Grund des Alls und kommt zu einer bemerkenswerten Antwort, dass nämlich jener Grund nicht in der Folge der kontingenten Dinge, sondern in einer außerhalb dieser Reihe liegenden und wirkenden Macht gesucht werden muss – einer Macht, die selbst keines anderen Grundes bedarf. Im Gegensatz zu den zufälligen Dingen erscheint sie daher als ein notwendiges, über den Grund der Eigenexistenz selbst verfügendes Seiendes, das als ens causa sui anzusprechen ist. Dieses Seiende nennt Leibniz Gott – und vertritt damit einen philosophischen Theismus (G. W. Leibniz, Prinzipien der Natur und der Gnade, GW, Bd. I, Darmstadt, 1965, 427). Dabei ist nicht zu übersehen, dass es diesem Denker in erster Linie um die Beantwortung der ersten Teilfrage, nämlich der Warum-Frage zu tun ist, in der es um das Weshalb und Woher der Dinge geht.
Sieht man indes genauer hin, ergeben sich noch andere Teilfragen. So ist der Frage nach dem Warum keineswegs damit Genüge getan, dass allein nach den Gründen bzw. den Ursachen der Dinge und Ereignisse gefahndet wird. In diesem Zusammenhang kann das lateinische Fragewort „cur“ weiterhelfen, mit dem man nach dem Warum und Weshalb, differenzierter aber auch nach dem Wozu fragt. Wenn man also die Frage nach dem Warum stellt, genügt es nicht, den forschenden Blick nur auf das Weshalb, d. h. nach rückwärts in die Vergangenheit zu lenken und nach den Ursachen zu suchen. Vielmehr muss dem Wozu die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden. Man hat sich also ebenso in die Zukunft zu orientieren und nach Sinn und Wert der Dinge Ausschau zu halten.
Aber auch damit ist die Problematik noch nicht erschöpfend behandelt. Denn es fragt sich, was das „Es gibt“ eigentlich meint. Zweifellos wird damit das Problem der „Existenz “, des Seins, der Seinsweisen angeschnitten. Ferner ist zu fragen, was das „Etwas“ bedeutet. Mit ihm zielt Leibniz auf das Wesen der Dinge und den Reichtum der Arten ab, die im All beobachtet werden können und in ihm zusammengefasst sind. Schließlich muss man sich der Frage stellen, was mit dem „Nichts“ gemeint ist. Indessen ist mit der Aufgliederung der Grundfrage in die Teil- oder Unterfragen noch immer nicht das Ende der Problemstellung erreicht. Denn es ist deutlich geworden, dass die Grundfrage und die „Detailfragen“ sich nicht von selbst ergeben, also nicht einfach „in der Luft liegen“, sondern stets von einem konkreten Menschen, wie hier von Leibniz, aufgeworfen werden.
Dass es sich so verhält, hat nach Leibniz Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854) thematisiert. Diese Einsicht hat sich ihm in einer geradezu schmerzlichen Erfahrung aufgedrängt. So schreibt er in der Einleitung seiner Philosophie der Offenbarung, dass im Grunde alles umsonst geschieht, in allem Tun, in aller Mühe und Arbeit des Menschen selbst nichts als Eitelkeit liegt. Alles ist eitel, weil es hinfällig ist, eines „wahrhaften Zweckes ermangelt“. Nicht nur, dass der Mensch durch sein Tun die Welt nicht begreiflich macht, er selbst ist das Unbegreiflichste, was Schelling zu der Ansicht von der Unseligkeit alles menschlichen Seins bringt und ihn – verzweiflungsvoll – fragen lässt: „Warum ist überhaupt Etwas? Warum ist nicht Nichts?“ (F. W. J. Schelling, Einleitung in die Philosophie der Offenbarung, GW, 6. Erg.-Bd, München, 1954, 7).
In der Tat, allein der Mensch wirft diese Frage auf, und nur er vermag es, weil er jenes „Etwas“ ist, das sich zu allem, einschließlich zu sich selbst verhält. Allerdings handelt es sich bei diesen Verhältnissen eher um „gebrochene Bezüge“, was jedoch den Menschen überhaupt erst zu einem fragenden Wesen macht. Schon daran lässt sich ein erstes Anzeichen seiner Sonderstellung erkennen. Denn kein anderes „Etwas“ ist offenbar imstande zu fragen, schon gar nicht, jene Grundfrage zu stellen.
Diese Situation schließt indes noch weitere gravierende Konsequenzen in sich, die zunächst kaum zu vermuten sind. Wenn allein der Mensch jene Grundfrage auf den Weg bringt, erscheint es nicht nur nahe liegend, sondern sogar geboten, diese Frage zuallererst an ihn, den Fragenden selbst zu richten, und zwar in einer auf ihn zugeschnittenen Form: Warum gibt es den Menschen? Oder ganz konkret: Warum gibt es mich? Wenn man aber den Menschen einer solchen Befragung unterzieht, versteht es sich von selbst, die ermittelten Teil- oder Unterfragen ebenso auf ihn anzuwenden, also nach seinem Weshalb und Woher, wie nach seinem Wozu und Wohin zu forschen, nach seiner Seinsweise und dem in ihm vorgestellten „Etwas“, d.h. seiner Wesenheit, und, nicht zu vergessen, nach seiner Beziehung zum „Nichts“ Ausschau zu halten.
Von diesen aufgeschlüsselten Teilfragen lassen sich die Erkundungen leiten. Zuallererst geht es um den Fragenden selbst, d.h. darum, was ihn befähigt, Fragen zu stellen. Näher besehen geht es um sein Selbstverständnis, das ich schrittweise zu explizieren versuche, um die – formelhaft ausgedrückt – „selbstbewusste Personalität des Menschen“. Wofür ich allerdings das einfachere Wort „Geist“ oder den Ausdruck „selbstbewusste Geistigkeit“ verwende, auch um damit den Anschluss an die Tradition zu wahren, für die diese Bezeichnungen Inbegriffe des Menschseins sind.
Bei dieser den Menschen angehenden Darstellung bemühe ich ausdrücklich nicht das übliche, vor allem wissenschaftlich ausgeübte Verfahren, Faktizitäten objektivierend und generalisierend anzugehen und zu ergründen, wodurch diese lediglich als beliebige Fälle eingestuft und unter allgemeine Gesetzmäßigkeiten so subsumiert werden, dass sie ihre individuelle Eigenart einbüßen bzw. diese nicht gewürdigt wird. Diese objektive Methode lässt sich auch auf den Menschen anwenden, wie es in einer wissenschaftlichen Anthropologie geschieht, die normale oder abnorme und krankhafte Züge und Merkmale aufzeigt und zu einem objektiven, wissenschaftlichen Menschenbild zusammenfasst.
Aber dieser gegenständlich verfahrende Erfahrungsmodus erweist sich hinsichtlich des eigentlichen und ursprünglichen Menschseins als unzureichend und muss scheitern, gerade weil das nur dem einzelnen Menschen erfahrbare und verfügbare Selbstverständnis nicht in einem allgemeingültigen „Schema“ erfasst werden kann. Dies schließt ein, dass Aussagen wie die über das ursprüngliche Menschsein, d.h. seine Kennzeichnung als selbstbewusste Personalität bzw. „Geistigkeit“, als indirekte Hinweise zu werten sind, darüber hinaus aber auch als Appelle, sie auf sich zu beziehen und für sich existenziell „durchzuspielen“. Ihr Wahrheitswert liegt also nicht in einer generellen Verbindlichkeit, sondern im konkreten Bezug auf den Einzelnen.
Noch einem anderen Missverständnis muss entgegengetreten werden. Im Zuge der Selbstdarstellung wendet sich der Mensch, metaphorisch gesprochen, „nach innen“ und bewegt sich gleichsam auf sich selbst zu. Bei dieser „Introversion“ spricht man auch von Innenschau oder Innenwahrnehmung, kurz von Introspektion. In diese Richtung weist auch der von dem englischen Biologen Conrad Hal Waddington gebrauchte Ausdruck „Self-Awareness“ (Selbstgewahrsein) (C. H. Waddington, The Nature of Life, dt., Braunschweig, 1966, 100f.). In ähnlicher Weise bezeichnet Edmund Husserl (1859–1938) das sich auf sich richtende Bewusstsein als „inneres Gewahrwerden“ (E. Husserl, Logische Untersuchungen, Bd. 2, 1. Teil, Halle a.d. S., 1928, 346). In diesen Bezeichnungen lässt sich allerdings eine gewisse Tendenz zu einer objektivierenden wie verdinglichenden Darstellung unseres eigentlichen Seins nicht verkennen. Davon macht recht besehen auch der von Wilhelm Dilthey (1833–1911) vorgeschlagene Ausdruck „Innewerden“ keine Ausnahme. Auch in ihn spielen, ähnlich wie bei den verwandten Ausdrücken Inneres, Innerlichkeit und Innigkeit, räumliche und darum veräußerlichende Beziehungen mit hinein. Deshalb stellt das Wort Innewerden allenfalls einen metaphorischen Notbehelf dar. Zwar besitzt die Introspektion in der psychologischen Forschung ihr Recht, wo bekanntlich die einzelnen psychischen Fähigkeiten samt ihrer charakterlichen Einheit quasi-objektivierend herausgestellt werden. Nochmals soll jedoch betont werden, dass hinsichtlich des „zentralsten“ Bereiches des Menschseins ein derartig vergegenständlichender und fixierender Zugriff, wie ihn die Anthropologie oder die Psychologie intendieren, untersagt ist, weil in jener „Sphäre“ sich „alles“ in aktualisierender, operationaler Eigenregie ereignet. Und dieser gegenüber stehen die wissenschaftlichen Forschungsmethoden auf verlorenem Posten.
Bei den vorgeschlagenen Korrekturen oder Richtigstellungen kann möglicherweise der Eindruck entstehen, als ob die Untersuchung sich im Bereich metaphysischer Spekulation bewegte. Das beabsichtigt sie jedoch nicht. Ganz im Gegenteil orientiere ich mich an empirischen Phänomenen, die allerdings, wie betont, allein im Selbstvollzug und im eigenen Erleben „erscheinen“. Nur wenn wir sie „existieren“, d.h. operational vollführen, erfahren wir sie und gehen sie uns auf. Nur im existenziellen Vollzug lassen sie sich verstehen. Daran wird zunächst deutlich, dass beim eigentlichen Menschsein Existenz und Wesensart nicht trennbar, sondern vielmehr eins sind. Für diesen Erfahrungsmodus wähle ich den Terminus Hermeneutik. Dieses Wort leitet sich vom griechischen „hermeneuein “ her und bedeutet u.a. auslegen, deuten. Die Hermeneutik zielt auf das menschliche Selbstverständnis, auf die selbstbewusste „Geistigkeit“ des Menschen.
Die Hermeneutik thematisiere ich im ersten Teil meiner Arbeit, den ich deshalb mit „Verstehen“ betitele. Beginnen werde ich mit einem kurzen philosophiegeschichtlichen Exkurs, und das aus zwei Gründen. Zum einen wird meine philosophische Sichtweise getragen von meines Erachtens bleibenden, wiewohl einen Spielraum lassenden Einsichten früherer Denker, insbesondere auf existenzphilosophischem Gebiet. Zum anderen sollte das, was da „entdeckt“ wurde und durch den alles „einstampfenden“, objektivierenden wie materialistischen Trend, vor allem in der westlichen Moderne, in überaus verhängnisvoller Weise unterzugehen droht, um des Menschen willen als unverlierbares Erbe wach und hoch gehalten werden.
Die Hermeneutik selbst gehe ich in mehreren (später genauer bezeichneten) Schritten an. Zu Beginn werden einige maßgebende Denker der hermeneutischen Sichtweise zu Wort kommen. Als Resümee meiner hermeneutischen Grundlegung wird sich ein empiristischer, operationalistischer Personalismus herauskristallisieren. Was das bedeutet, werde ich später noch zu erklären haben.
Im zweiten Teil, unter der Überschrift „Erklären“, stelle ich mich der Warum-Frage, und zwar in der ersten von mir oben angegebenen Version, die nach dem Weshalb und dem Woher des Menschen fragt. Hierbei geht es um den Versuch einer Exposition von möglichen Ursachen, die für die Entstehung des Menschen verantwortlich gemacht werden können. Zugleich blicke ich in die Vergangenheit und versuche, der Herkunft des Menschen in paläontologischer Hinsicht auf die Spur zu kommen. Vom Phänomen des „Geistes“ aus gesehen könnte man dabei gleichsam von der Bereitstellung eines passenden, wiewohl zweigestaltigen „Lebensgefäßes“ oder „Gehäuses“ sprechen, das gewisse Stadien durchläuft, nachdem schon vorher für die Tierseele(n) „Behausungen“ erstellt wurden – Überlegungen, die einschließen, dass sich der „Geist“ das „Lebensgefäß“ selbst aussucht und übernimmt.
In diesem der Erklärung gewidmeten Teil zeigt sich ein weit gefächertes Forschungsfeld, das sich grob in sieben Sektionen aufgliedern lässt, die für die Erklärung des menschlichen „Geistes“ jeweils Beweisstücke oder Argumente anbieten. Im Einzelnen führe ich Argumentationen aus der Physik, der Biologie, der Neurologie (Hirnphysiologie), der Linguistik, der Psychologie, der Soziologie und der Geschichte an. Aber, so kann man fragen, begebe ich mich damit nicht in einen offenkundigen Widerspruch zu meiner früheren, kritischen Position gegenüber dem objektiven, wissenschaftlichen Vorgehen? Was könnte eine solche Auseinandersetzung also legitimieren?
Den maßgeblichen Legitimationsgrund stellt die die menschliche Personalität betreffende, negative Selbsterfahrung dar, wonach der „Geist“ sich nicht sich selbst verdankt. An diesem Umstand orientieren sich meine Erklärungsversuche. Des Weiteren ist empirisch offenkundig, dass der menschliche „Geist“ nicht irgendwo in einem „Wolkenkuckucksheim “, sondern in dieser Welt existiert und zudem einer psychophysischen Organisation einverleibt ist, mit der er, wie ebenfalls die Erfahrung untrüglich zeigt, symbiotisch verbunden ist. Was liegt dann jedoch näher, als sich nüchtern und unkaschiert auf diese Weltverhaftung einzustellen und sie durch intensive Forschungen auf allen dafür in Frage kommenden Gebieten zu klären, sich – kurz gesagt – mit den uns auch prägenden, weltlichen Gegebenheiten auseinander zu setzen?
Schließlich sind diese Nachforschungen deswegen erforderlich, um sich der Originalität des „Geistes“ bewusst zu sein. Letztlich bleibt es dabei: Die Welt mit all ihren Ingredienzien ist lediglich das Betätigungs- und Bewährungsfeld des „Geistes“! Aber so wenig sich der „Geist“ trotz seiner Andersartigkeit in einen „weltentrückten Schmollwinkel“ zurückziehen und sich mit einer „Privatsphäre“ begnügen darf, sosehr haben sich umgekehrt die Wissenschaftler in ihren anthropologischen Forschungen um eine gewisse Zurückhaltung zu bemühen. So dürfen sie beispielsweise nicht die fragwürdige Behauptung in die Welt setzen, der menschliche „Geist“ stelle sich, wenn auch vorläufig noch hypothetisch, so doch demnächst eindeutig, als innerweltliches, dazu noch technologisch manipulierbares Phänomen heraus.
Dass ich solche Annahmen in Zweifel ziehe, hat damit zu tun, dass sich hinter diesen sich selbst überschätzenden Behauptungen eine, schon im Vorwort angesprochene, absurde Reduktion verbirgt, die zu wenig und oft gar nicht erkannt wird. Es wird versucht zu erklären, was vorausgesetzt ist, also den Akt der Erklärung überhaupt erst ermöglicht. Alle wissenschaftlichen Unternehmungen werden zumeist unauffällig, aber doch beständig und stets aktuell, vom menschlichen „Geist“ begleitet. In dem Falle aber, da man seiner habhaft zu werden versucht, entzieht er sich und taucht gleichsam als „lachender Dritter“ wieder auf. Dies wird von Hans-Georg Gadamer bestätigt, der zeigt, dass selbst in der von der Physik angestrebten, alles Seiende einbeziehenden Weltgleichung der Physiker zwar als Rechner, nicht aber als Berechneter vorausgesetzt würde (H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen, 1960, 428). Somit kann der Versuch einer wie immer gearteten, doch stets zu spät kommenden oder nachträglichen Erklärung des „Geistes“ nicht gelingen, zumal sein Wesen in einem „Status nascendi“ liegt und sich deswegen jedem fixierenden Zugriff entzieht.
Im dritten Teil, der die Überschrift „Werten“ trägt, lasse ich mich von der anderen Version der Warum-Frage, dem Wozu und dem Wohin leiten. Dabei besinne ich mich auf Wert und Sinn des „Geistes“ und versuche zugleich einen Blick in seine Zukunft zu werfen. Wie schon skizziert, verwirklicht, „inkarniert“ sich der menschliche Geist in der Welt – nicht auf einen Schlag, sondern in mehreren Schritten, durch die er Sinnerfüllungen zu erreichen versucht. Diese liegen im kollektiven und individuellen Bereich und sind von „partieller“ Natur, weswegen der Mensch stets nach einem wie auch immer gearteten Sinnganzen fahndet. Aber auch ein solches Unterfangen gelingt nicht, weil sich Sinnwidrigkeiten einstellen, teilweise verkraftbare zwar, daneben aber auch schwer wiegende, wie das Wissen um das menschliche Todesschicksal, das den Menschen am Wert und Sinn seines Lebens zweifeln lässt – gemäß der Frage: Leben wir nur, um zu sterben? Angesichts dessen kommt unweigerlich der andere Teil der Leibniz’schen Grundfrage ins Blickfeld und damit das „Nichts“, das allen Sinn zunichte macht.
Damit aber kann sich der Mensch nicht abfinden. Im Gegenteil! Wie die Geschichte lehrt, haben allen voran ihre großen Vertreter alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen, um dem Tode Paroli zu bieten und Belege für ein Weiterleben ausfindig zu machen. Dabei hat es den Anschein, als ob gerade die vom Tode herrührenden, dunkelsten wie leidvollsten, von der Nichtigkeit und Sinnlosigkeit des Daseins zeugenden Erfahrungen den Menschen angetrieben haben, nach einem den Tod überwindenden, sinnstiftenden Fortleben zu suchen. Welche Wege er dabei beschritten hat, werde ich versuchen darzustellen. Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem Zusammenhang der empirischen Überlebensforschung.
An dieser Stelle beschließe ich dann die Untersuchung zur „Sonderstellung des Menschen “ – jedoch nicht ohne nochmals hervorzuheben, dass damit das „Inkognito“ des menschlichen „Geistes“, seine Rätselhaftigkeit in dieser Welt keineswegs durchleuchtet wurde. Dies lässt sich, wie schon eingangs angedeutet, aufgrund seiner negativen Selbsterfahrung belegen, die ich aber erst am Schluss meiner Arbeit kurz thematisieren werde, weil sich damit eine neue Problematik verbindet, die Religion nämlich, die ein tieferes, in dieser Schrift jedoch nicht zu leistendes Eindringen erfordern würde.
Schließlich füge ich noch zwei Bemerkungen an: Zum einen weise ich darauf hin, dass die Hauptteile der Arbeit darum mit Tätigkeitswörtern (Bezeichnungen von Verhaltensweisen) betitelt sind, um anzudeuten, dass ich in Bezug auf die menschliche Geistigkeit eine operationalistische Position vertrete, mithin also für eine Auffassung der modernen Wissenschaftsphilosophie plädiere, die als Grundlage der wissenschaftlichen Forschung die Tatsachen des menschlichen Handelns ansieht. Zum anderen steht es dem Leser frei, den philosophiegeschichtlichen Exkurs zu überspringen, obwohl ich nicht verhehlen will, dass ich in der Darstellung der Ansichten großer Denker der Vergangenheit bezüglich des Menschseins eine aufschlussreiche wie fesselnde, wenn auch kritische „Synopsis“ zu unterbreiten versuche, die zum Weiterfragen und -suchen anregen soll.