Читать книгу Abstandsvorschriften der niedersächsischen Bauordnung - Wolff-Dietrich Barth - Страница 17

2.Erfordernis der Atypik im Einzelfall

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34Der Gesetzgeber hat, wie aus der Begründung zu § 66 hervorgeht (Drs. 16/3195), mit der Normierung des Abweichungstatbestandes das Ziel verfolgt, Abweichungen ohne Verknüpfung mit dem Erfordernis des atypischen Einzelfalls zuzulassen. Dabei geht, wie es in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt, die Neufassung davon aus, dass Vorschriften des Bauordnungsrechts bestimmte Schutzziele verfolgen und zur Erreichung dieser Schutzziele nur einen Weg von mehreren möglichen Wegen weisen.

35Fälle, in denen es der Zulassung einer Abweichung bedarf, um die Schutzziele auf anderen als den gesetzlich vorgeschriebenen Wegen zu erreichen und zwar unter Gewährleistung des jeweiligen normativen Standards, sind, wie schon die Fälle der bisherigen Zulassungen von Ausnahmen und Befreiungen zeigen, äußerst selten. Sie sind aus verfassungsrechtlicher Sicht auch unproblematisch, weil sich diese Abweichungen am jeweiligen normativen Standard orientieren.

In den weit überwiegenden Fällen wird bei Abweichungen von den bauordnungsrechtlichen Anforderungen hingegen der jeweilige normative Standard unterschritten. Deshalb verlangt § 66 Abs. 1 Satz 1 unter Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 auch, dass durch die Zulassung einer Abweichung die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet werden darf und dass unzumutbare Belästigungen nicht entstehen dürfen.

36Die Vorschrift über Abweichungen ist so auszulegen, dass sie dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit von Normen genügt und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht widerspricht. Eine Auslegung der Vorschrift, die es den Behörden ermöglichen würde, über die Normenanwendung im Bereich des Abstandsflächenrechts mehr oder minder nach Belieben zu verfügen, würde diesen Anforderungen nicht genügen und gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen. (OVG NRW, B. v. 5.3.2007 – 10 B 274/07 – BRS 71 Nr. 124).

37Durch die bauordnungsrechtlichen Vorschriften sind die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden. Die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs gestattet daher nicht ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Vorschriften der Landesbauordnung. Deshalb ist auch die Abweichung kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher Rechtsverletzungen (OVG NRW, B. v. 10.8.2006 – 7 A 3176/05 – s. nrw.de; B. v. 5.11.2007 – 7 E 737/07 – s. nrw.de; B. v. 2.3.2007 – 10B 275/07 – BauR 2007/1027).

38Die Zulassung einer Abweichung kommt daher nur in Betracht, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere, d. h. atypische Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder die Unterschreitung des normativen Standards gerechtfertigt ist (OVG RhPf, U. v. 3.11.1999 – 8 A 10951/99 – BRS 62 Nr. 143; OVG NRW, B. v. 10.8.2006 – 7 A 3176/05 – s. nrw.de).

Das gilt erst recht, wenn es sich um Abweichungen von Anforderungen der Abstandsvorschriften handelt (BayVGH, U. v. 14.12.1994 – 26 B 93.4017 – BRS 57 Nr. 156).

Die Abstandsvorschriften sollen dem Nachbarn ein angemessenes Maß an Schutz garantieren und zugleich den Standard festlegen, was er an Bebauung in welchem Abstand hinzunehmen hat. Die Gewährleistung dieser Schutzziele erfordert eine strikte Beachtung der vorgeschriebenen Abstände. Demgemäß kann regelmäßig nur eine grundstücksbezogene Atypik eine Abweichung von Abstandsvorschriften rechtfertigen (OVG NRW, B. v. 5.3.2007 – 10 B 274/07 – BRS 71 Nr. 124;).

39Der Zweck der Abstandsvorschriften wird in vollem Umfang nur erreicht, wenn das Vorhaben den Bestimmungen entspricht. Abweichungen von den Abstandsanforderungen können deshalb nicht allein mit der Erwägung gerechtfertigt werden, dass im konkreten Fall die Einhaltung des Zwecks der Vorschrift auf andere Weise gewährleistet erscheint. Vielmehr haben solche Abweichungen zur Folge, dass die Ziele des Abstandsrechts nur unvollkommen verwirklicht werden. Hierfür müssen Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben von dem Regelfall unterscheidet. Eine Abweichung kann nur zugelassen werden, wenn die für sie sprechenden Gründe so viel Gewicht haben, dass die Anforderungen der Abstandsvorschriften auch dann noch als angemessen berücksichtigt angesehen werden können, wenn sie nur eingeschränkt zum Zuge kommen. Dabei müssen die Gründe umso bedeutender sein, je weiter die Verkürzung der Abstände gehen soll (BayVGH, U. v. 14.12.1994 – 26 B 93.4017 – BRS 57 Nr. 156; U. v. 15.12.2008 – 22 B 07. 143 – BRS 73 Nr. 129; OVG RhPf, U. v. 3.11.1999 – 8 A 10951/99 – BRS 62 Nr. 143).

40Die Grundstückssituation muss vom Normalfall, welcher der gesetzlichen Abstandsregelung zugrunde liegt, in so deutlichem Maße abweichen, dass die strikte Anwendung des Gesetzes zu Ergebnissen führen würde, die der Zielrichtung der Norm nicht entsprechen (OVG NRW, B. v. 5.10.1998 – 7 B 1850/98 – BRS 60 Nr. 105).

Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste und bedachte Fallgestaltung handeln. Dies kann sich aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück, aus einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern oder aus topographischen Besonderheiten des Geländeverlaufs ergeben (OVG NRW, B. v. 2.3.2007 – 10 B 275/07 – BauR 2007/1027; BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – BauR 2007/1858; U. v. 15.12.2008 – 22 B 07.143 – BRS 73 Nr. 129; OVG Mecklenburg-Vorpommern, B. v. 25.6.2014 (3L 218/13 – BRS 82 Nr. 142).

Abstandsvorschriften der niedersächsischen Bauordnung

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