Читать книгу Abstandsvorschriften der niedersächsischen Bauordnung - Wolff-Dietrich Barth - Страница 9
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I. | Die Gesetzgebungskompetenz für das Bauordnungsrecht | 1–3 |
II. | Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB | 4–12 |
I.Die Gesetzgebungskompetenz für das Bauordnungsrecht
1Die Länder besitzen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenzfür das Bauordnungsrecht, insbesondere für die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgutachten des BVerfG vom 16.6.1954 (1 PBvV 2/52 – E 3/407), wonach das „Baupolizeirecht im bisher gebräuchlichen Sinne“ in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt.
Nach dem Rechtsgutachten erstreckt sich die Zuständigkeit des Bundes auf das „Baupolizeirecht im bisher gebräuchlichen Sinne“ nur, soweit es Bestandteile des heutigen Planungsrechts enthielt. Im Zuge der Föderalismusreform ist durch Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG (52. Gesetz zur Änderung des GG vom 28.8.2006 – BGBl. I S. 3316) die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Wohnungswesen entfallen. Infolgedessen hat der Bund nicht mehr die Kompetenz, für das Wohnungswesen „auch einzelne spezifische das Wohnungswesen berührende baupolizeiliche Vorschriften“ (Rechtsgutachten des BVerfG vom 16.6.1954 a. a. O.) erlassen zu können.
2Zu den Kernaufgaben des Bauordnungsrechts gehört die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere für Leben und Gesundheit. Das kommt bereits in den grundsätzlichen Anforderungen des § 3 Abs. 1 und 5 NBauO zum Ausdruck.
3Das „Baupolizeirecht im bisher gebräuchlichen Sinne“ beschränkt sich nach dem Rechtsgutachten des BVerfG vom 16.6.1954 (a. a. O.) jedoch nicht auf die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, sondern erstreckt sich auch auf Befugnisse, die „ästhetische oder der allgemeinen Wohlfahrt dienende Absichten verfolgen“. Der Landesgesetzgeber hat daher auch die Kompetenz, im Rahmen des Bauordnungsrechts Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse} zu stellen (§ 3 Abs. 2 NBauO). Das hat das BVerwG in seinem Beschluss vom 23.10.1990 (4 B 130.90 – Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 46) im Zusammenhang mit dem bisherigen § 13 NBauO inzident bestätigt. Davon unberührt bleiben die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB als städtebauliche Grundsätze bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen sind. Festsetzungen, die diesen Anforderungen Rechnung tragen, räumt das niedersächsische Bauordnungsrecht jedoch keinen Vorrang ein (BVerwG, B. v. 23.10.1990 – 4 B 130.90 – a. a. O.).
II.Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB
4Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB können im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen festgesetzt werden. Diese Ermächtigung ist durch das Gesetz vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316) eingefügt worden. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Bauordnungsrecht ist daher gegenüber der Ermächtigung der Gemeinde nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB abzugrenzen.
5Der Bund besitzt nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 18 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Boden- und damit für das Städtebaurecht. Hieraus lässt sich die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes für die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB herleiten. Die hierdurch bedingte Kollision mit den landesrechtlichen Vorschriften des Bauordnungsrecht regelt Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht (OVG Lüneburg B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – BRS 82 Nr. 40).
6 Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB bezieht sich nur auf einen Faktor der Abstandsflächenregelung, nämlich auf das Maß für die Tiefe der Abstandsflächen. Alle übrigen landesrechtlichen Regelungen des Abstandsflächenrechts bleiben von der Ermächtigung unberührt.
7Die Ermächtigung lässt zu, abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen festzusetzen. Nach dem Wortlaut unterliegt der Begriff „abweichend“ keinen Einschränkungen, so dass § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB die Befugnis einschließt, neben einer größeren auch eine geringere Tiefe der Abstandsflächen vorzusehen. Auch der Mindestabstand von 3 m darf unterschritten werden (OVG NRW U. v. 15.4.2011 – 7D 68/10 – juris).
8Festsetzungen auf Grund der Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB sind nur aus städtebaulichen Gründen zulässig. Hierbei handelt es sich um eine zwingende Voraussetzung für die Gesetzeskompetenz des Bundes. Insbesondere bedürfen Festsetzungen, die zu geringeren Tiefen der Abstandsflächen führen besonderer städtebaulicher Rechtfertigung. Es müssen besondere städtebaulichen Gründe die damit verbundenen Abstriche erfordern (OVG Lüneburg B. v. 22,12,2014 – 1MN 118/14 – a. a. O.; OVG NRW U. v. 20.11 2009 – 7D 124/08 – Juris) Das wird auch in dem BauGBÄndG 2007 – Mustererlass bestätigt, in dem es unter Nr. 2.3.1.1 heißt:
„Bei den Überlegungen der Gemeinde, ob sie von der Ermächtigung Gebrauch machen soll, dürfen – wie auch bei den anderen Festsetzungsmöglichkeiten – ausschließlich städtebauliche Erwägungen eine Rolle spielen. Dagegen wäre es der Gemeinde verwehrt, eigene bauordnungsrechtliche Erwägungen anzustellen“.
9Die Ermächtigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB bezieht sich auf die Abstandsflächen und lässt für deren Tiefe abweichende Maße zu. Der Begriff der Abstandsflächen wird im BauGB nicht definiert. Maßgebend dafür, wie auch für die Ermittlung und Berechnung der Abstandsflächen ist allein das jeweilige Landesrecht.
10Das System der Abstandsflächen ist 1981 in die MBO aufgenommen worden. Es orientierte sich mit erheblichen Abweichungen an dem bereits seit 1.1.1974 in Niedersachsen maßgebenden System des Punktabstandes. Niedersachsen hat das System des Punktabstandes beibehalten, während die übrigen Länder das System der Abstandsflächen in ihre Bauordnungen übernommen haben.
Nach dem System der Abstandsflächen (§ 6 MBO) müssen vor Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen, die von oberirdischen Gebäuden freizuhalten sind. Die Abstandsflächen müssen grundsätzlich auf dem Grundstück liegen. Ein unmittelbarer Bezug zu den Grenzen des Baugrundstücks wird nicht hergestellt. Die Tiefe der Abstandsflächen bemisst sich nach der Wandhöhe, während die Höhe von Dächern je nach deren Neigung mit unterschiedlichen Maßen hinzuzurechnen ist, so dass es an einer die Dächer einschließenden Gesamtkonzeption mangelt. Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Dabei wird auf die vorhandene Geländeoberfläche abgestellt, die ein Bauherr zu seinen Gunsten verändern kann.
11Die Niedersächsisch Bauordnung stellt hingegen für die Bemessung der Grenzabstände auf das System des Punktabstands ab. Danach müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von allen Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Das System des Punktabstandes erfasst mit seiner Konzeption das gesamte Gebäude nach einheitlichen Maßstäben und nimmt unmittelbar Bezug zu den Grenzen des Baugrundstücks. Es stellt grundsätzlich auf die gewachsene Geländeoberfläche ab und berücksichtigt Aufschüttungen nur, soweit sie nicht zu ungerechtfertigten Vorteilen führen (§ 5 Abs. 9 NBauO).
12Dennoch findet die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB auch in Niedersachsen Anwendung. Das folgt daraus, dass sowohl das System der Abstandsflächen wie auch das System des Punktabstandes die gleiche Zielrichtung verfolgen, nämlich einen ausreichenden Abstand von baulichen Anlagen zu Grenzen des Baugrundstücks sicherzustellen. Deswegen erfasst die Regelung des § 9 Abs. Nr. 2a BauGB auch die niedersächsische Konzeption des Punktabstands (OVG Lüneburg B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – BRS 82 Nr. 40) Das bedeutet im Ergebnis, dass § 5 Abs. 2 NBauO im Geltungsbereich von Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB keine Anwendung findet (OVG Lüneburg, B. v. 22.12.2014 – 1MN 118/14 – a. a. O.).