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Kapitel 10
ОглавлениеEs regnete. Skorni blickte angespannt über den weiten Platz des Lagers. Verteilt parkten zwei verdreckte LKW und ein Kübelwagen. Wachtürme und Zäune hatte man am Morgen bereits abgebaut und in die Flammen der brennenden Holzbaracken geworfen. Trotz des einsetzenden Regens, der den Platz des Lagers langsam in Morast verwandelte, loderte das Feuer qualmend aufwärts und grauweiße Rauchwolken zogen wie Morgennebel an den Flanken des Berges hinauf. Die Häftlinge hatten das Feuer auf Anweisung des Lagerkommandanten gelegt. Nun brannten die Überreste des Arbeitslagers prasselnd nieder. In der Ferne war hin und wieder das Grollen von Artillerie zu hören. Die Front rückte näher. Skorni wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Das Lager hatte aus einer Ansammlung Baracken, Lagerhallen, Stacheldraht-Umzäunungen und schnell gezimmerten Wachtürmen bestanden. Sofort nach Fertigstellung hatte man mit knapp tausend Häftlingen und nur zwanzig Bewachern des SD-Dienstes mit den Grubenarbeiten an der Bergflanke begonnen. Das Ergebnis war ein weit in den Berg führender Stollen, in dem in den letzten Monaten ohne Unterlass gearbeitet worden war. Nun war die Front zu nahe an den Stollen herangerückt. Höhle, wie das Codewort für die Uran-Miene lautete, musste aufgegeben werden.
Skorni zündete sich eine Zigarette an und blickte auf die Brände. Er liebte den Anblick von Feuer. Er hatte ihn immer geliebt. Das Feuer verschlang das Alte, das Überflüssige und schaffte Voraussetzung für das Neue. Höhle wurde nicht mehr benötigt. Und auch nicht die Häftlinge, die noch bis gestern tief im Berg gearbeitet hatten und gerade von ihren Bewachern in den nahen Wald geführt wurden. Es waren die letzten der wohl an die Dreitausend, die hier eingesetzt gewesen und noch nicht an diesen seltsamen Strahlen gestorben waren, welche ihre Opfer fürchterlich entstellt und unter Qualen dahin gemetzelt hatte. Dass die Überlebenden früher oder später ebenfalls sterben würden, war Skorni klar. Trotzdem konnte er sie nicht hier zurück lassen. Die Front tastete sich donnernd an sie heran und niemand durfte in die Hände der Bolschewiken fallen.
Der Boden quatschte unter seinen Füßen, als er sich umdrehte und zum Wald schaute. Dort sah er gerade noch, wie hundert abgemagerte, in Lumpen gehüllte Gestalten, von bewaffneten SD-Männern begleitet, in den nahen Wald geführt wurden. Die Wachmannschaft war seit einem Vierteljahr für die Bewachung der Arbeiter zuständig gewesen. Sie hatten das Lager während dieser Zeit auf Befehl nie verlassen. Daher waren sie gut gelaunt, als sie mit ihren Opfer in den Wald zogen. Außerdem hatte Skorni an die Männer Schnaps verteilt. Er hörte lautes Lachen und Rufen, dazu gelegentlich gebellte Kommandos. Dann war die Gruppe im Wald verschwunden. Nach zehn Minuten dröhnten Maschinengewehrsalven zu ihm herüber, die bald von unregelmäßigen Pistolenschüssen abgelöst wurden.
Skorni seufzte und trampelte schwerfällig durch den Matsch zwischen den brennenden Baracken hindurch zum Eingang des Stollens. Dort stellte er sich zu einem SS-Mann, der gerade dabei war, ein Dutzend Kabel, die zu mehreren tief im Stollen verteilten Kisten mit Sprengstoff führten, in einem Verteilerkasten miteinander zu verbinden. Der SS-Mann schlug gerade den Deckel des Kastens zu, als Skorni hinter ihn trat.
„Fertig?“
„Fertig, Obersturmführer. Ich klemme nur noch das Hauptzündkabel an.“
„Gut. Beeilen Sie sich. In einer Stunde müssen wir hier weg sein. Haben Sie den LKW in den Stollen gefahren“
„Jawoll. Aber wohl ist mir bei der Sache nicht!“
Der Sprengstoffspezialist der Sonderkommission Nemesis, der Skornis Kommando unterstand, klemmte ein schwarzes Zündkabel an den Verteilerkasten, das zu einer Kabeltrommel führte, griff nach einer länglichen Tröte und stieß dann zweimal hinein. Daraufhin erschienen ein paar Männer im schwarz gähnenden Halbrund des Stolleneingangs, trabten mit schnellen Schritten über den Platz und gingen in einem Schutzgraben in Deckung.
Skorni begleitete den das Kabel abrollenden SS-Mann zum Graben.
„Mir gefällt das genauso wenig wie Ihnen, Wagner! Aber wir haben da keine Wahl. Befehl ist Befehl.“
Der Angesprochene sagte nichts, aber Skorni spürte einen tiefes Missfallen in seinem Schweigen. Am Graben angekommen, sprang der SS-Mann mit seiner Kabeltrommel hinein, während Skorni am Rand stehenblieb. Radke hockte mit angezogenen Beinen neben den Männern im Graben und wirkte verstört. Der Mann war für Einsätze im Frontgebiet einfach nicht geeignet. Jämmerlich, dachte Skorni.
„Wir wären dann soweit“, sagte der SS-Mann, der das Kabel an den Zünder angebracht hatte.
Wieder seufzte Skorni, drehte sich wortlos um und kämpfte sich erneut durch den Matsch. Regenschlieren fegten über den Platz. Diesmal stakste Skorni in Richtung Wald, in dem die Erschießungen aufgehört hatten. Der Waldboden war seltsam trocken und er erreichte schnell eine breite Grube, die von den Männern des Sonderkommandos zugeschaufelt wurde. Skorni trat neben den Lagerkommandanten.
„Sind sie hier fertig“, fragte Skorni
„Wie Sie sehen, Obersturmführer!“
„Nicht gerade eine angenehme Arbeit, was?“
„Man gewöhnt sich dran. Irgendwer muss es ja tun, nicht wahr?“
„Sicher“, flüsterte Skorni und streckte sich ein wenig. „Da wäre noch etwas, Gruppenführer. Können Sie und Ihre Männer kurz noch einmal mit anpacken?“
„Ja, sicher. Was gibt’s denn?“
„Ein dummes Missgeschick. Einer meiner Leute hat seinem LKW rückwärts in den Stollen gefahren, damit wir nicht den ganzen Sprengstoff rein schleppen mussten. Dummerweise hat er sich da drin festgefahren.“
„Lassen Sie ihn doch einfach stehen. Schert doch niemanden.“
„Dummerweise brauchen wir ihn. Wir haben ihn vom Transportkommando in Lemberg geliehen. Die werden fuchsteufelswild, wenn sie den nicht wiederkriegen. Die brauchen alle fahrbaren Untersätze!“
Der Kommandant blickte kurz zu Boden. Dann rief er zackig:
„Blome, Vossler! Sie bringen das Maschinengewehr hier weg. Der Rest kommt mit mir.“
Die Männer schmissen erleichtert ihre Schaufeln in die halb zugeworfene Grube, aus der noch Beine und Arme hervorschauten und stampften dann hinter ihrem Kommandanten her zum Tunneleingang. Während Skorni sie begleitete, zählte er die Männer der Lagerbewachung durch. Er wollte alle erwischen. Als sie den Eingang des Stollens erreicht hatten deutete Skorni auf die geparkten Wagen.
„Wie ich meine Männer kenne, haben die schon wieder eine Rauchpause eingelegt. Gehen Sie schon rein! Ich komme gleich mit den anderen und helfe Ihnen.“
„In Ordnung“, rief der Gruppenführer gut gelaunt und verschwand mit seinen Männern laut grölend im Stollen. Skorni lief schnellen Schrittes zum Schutzgraben. Auf halbem Weg kam er an den beiden Wachsoldaten vorbei, die gerade das Maschinengewehr auf die Ladefläche des Opel Blitz wuchteten. Neugierig blickten sie hinter ihm her.
Skorni sprang in den Graben und nickte dem SS-Mann zu, der kurz an dem Zünder drehte.
Eine ohrenbetäubende Explosion, die von den Berghängen widerhallte, erschütterte den Boden unter ihnen. Skorni spürte wie ihm kurz die Luft wegblieb, als die Druckwelle über sie hinwegbrauste. Dann regnete es Dreck und Gestein. Zuletzt war alles still, bis auf das Prasseln des Regens.
Skorni und seine Männer kletterten aus dem Graben. Der Stolleneingang war verschwunden, denn die halbe Bergseite war darauf abgerutscht. Er hoffte, dass die Männer im Tunnel erschlagen worden waren, sonst erwartete sie ein langer quälender Tod. Dummerweise hatte die Druckwelle einige der brennenden Baracken ausgeblasen. Aber das war jetzt egal. Das Bergwerk, die Arbeiter, deren Bewacher, der Stollen, alles war von der Erde getilgt. Keine Zeugen. Die Bolschewiken konnten kommen. Skorni hatte der Mord an dem Wachkommando gewurmt, aber dies war der beste Weg gewesen, die Geheimhaltung zu gewährleisten, und so hatte er nicht lange gezögert. Alle Zeugen waren beseitigt. Er, Skorni war für die absolute Geheimhaltung verantwortlich. Und unter seinem Kommando würde von Nemesis nichts nach außen dringen.
Er trat neben die brennenden Überreste des Lastwagens, der von der Druckwelle umgestürzt worden war und und überzeugte sich von Wirkung der Explosion, als er neben sich ein undeutliches leises Röcheln vernahm. Ein paar Meter entfernt, über und über mit Schlamm bedeckt, erkannte er einen der beiden Soldaten, die das Maschinengewehr in den LKW gewuchtet hatten, als der Stollen explodiert war. Er trat zu dem Soldaten und sah, das ihm beide Beine abgetrennt worden waren. Ein paar Meter weiter lag ein blutiges Stück Blech und die Beine. Skorni hockte sich neben das verdreckte Gesicht, blickte in die weit aufgerissenen Augen und dann zu den Stümpfen, aus denen Sturzbäche von Blut hervorschossen. Er strich dem Soldaten zärtlich über die Stirn. Dann seufzte er ein drittes Mal an diesem Tag, griff nach seiner Pistole, drückte den Lauf an die Stirn des Mannes und drückte ab.
*
Schweigend räumten die Männer ihre Ausrüstung in den gepanzerten Mannschaftstransporter, den sie weit abseits geparkt hatten. Anschließend fuhren sie im Zwielicht des anbrechenden Abends zurück nach Lemberg, wo das Flugzeug zurück nach Berlin wartete. Die Stimmung war schlecht. Die Liquidierung der SS-Wachmannschaft hatte zu denken gegeben und Radke dachte an die Kaltschnäuzigkeit Skornis, mit der er dem jungen SS-Kameraden den Gnadenschuss gegeben hatte.
Aber das war nur ein Teil seiner Sorgen. Er ließ seinen Kopf zurückfallen, schloss die Augen und dachte an das Gespräch, das er in Berlin geführt hatte, kurz bevor er mit Skorni nach Lemberg geflogen war. Immer in Ruhepausen fiel ihm dieses Gespräch ein und wie immer bildete sich dann eine Gänsehaut auf seinen Oberarmen. Wie hatten die nur herausgefunden, was er in Prag gemacht hatte? Das war doch schon zwei Jahre her. Aber der Anrufer hatte unmissverständlich klar gemacht, dass man innerhalb des RSHA durchaus Bescheid wusste. Der Mann am Telefon hatte sich als Rittmeister vorgestellt und eine geheimes Treffen gefordert. Zuerst hatte Radke gedacht, dass er einer anderen Einheit zugeteilt würde und von diesem Arschloch Skorni befreit würde. Das wäre mal gut gewesen. Aber bald wurde ihm klar, dass er nicht versetzt sondern herabgesetzt wurde.
Radke sollte sich in einer Bar in Berlin mit diesem Rittmeister treffen. Die Bar war dunkel und verraucht und er stellte sich an die Theke. Dort hatte er eine ganze Weile gestanden, als ein Ober auftauchte und ihn an einen Platz in der äußersten Ecke des Raumes führte. Die Wandseite hatte im Schatten gelegen und so war es Radke nicht möglich gewesen sein Gegenüber zu erkennen.
Der hatte sich als Rittmeister vorgestellt und ihn schweigend betrachtet. Lange. Radke war etwas mulmig geworden. Schließlich hatte der Rittmeister zwei Kaffee bestellt und ihm in aller Ruhe aus einem Dossier vorgelesen, welches seine kleinen Geschäfte mit den reichen Juden in Prag enthüllte.
Wie er, Radke, ihm nach Übergabe einiger Naturaliengeschenken geholfen hatte, zu entwischen. Der Rittmeister las weiter vor, wie er, Radke, die Silberbestecke, Gemälde, Uhren, Ketten, Ringe usw. in Sicherheit gebracht hatte. Einschließlich des Wertes der erpressten Güter. Er listete die Namen der mit seiner Hilfe geflohenen Juden auf und präsentierte ihm danach eine Rechnung anderer Art. Denn auf dieses Vergehen stehe sofortige standrechtliche Erschießung. Wie zur Unterstreichung des Gesagten waren zwei Männer, die Radke bis dahin nicht beachtet hatte, hinter ihn getreten.
Radke war perplex gewesen. Hatte nicht mehr denken können und begonnen, Ausreden und Entschuldigungen zu stammeln. Das war eine Zeitlang so gegangen und der Rittmeister hatte ihm schweigend zugehört. Dann hatte er mit einer Handbewegung die zwei Männer fortgeschickt.
Es gäbe etwas, hatte er aus dem Halbschatten den Rittmeister sagen hören, dass er tun könne, um diese schwere Verfehlung aus seiner Personalakte zu tilgen.
Radke war ganz Ohr gewesen.