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Kapitel 12
ОглавлениеIn Berlin hatte die Sonderkommission Nemesis ihr vorübergehendes Hauptquartier in der Jahnstraße eingerichtet. Hier liefen alle Meldungen der Polizei- und Grenzstationen ein, die für Nemesis interessant werden konnten. Vor allem im Gau Rheinland waren die Dienststellen der Gestapo angewiesen worden, ungeklärte Zwischenfälle sofort zu melden. Wenigstens vorläufig sollte die Operation von Berlin aus geleitet werden. Bis die Zentrifugenanlage fertiggestellt war. Dann würde man umziehen.
Skorni hatte mittlerweile dafür gesorgt, dass alle Quellen, die Informationen über Nemesis liefern konnten, entweder kontrolliert oder eliminiert wurden. Die Eltern von Karl Grewe in Köln und seine Schwester hatte er abholen und in einem KZ verschwinden lassen. Sippenhaft. Das war seit dem Attentat auf den Führer das Zauberwort. Ohne Angabe von Gründen konnten ganze Familien verschwinden. Freunde und Bekannte von Fritz Hiller, sofern er die überhaupt besaß, waren verhört und bei geringstem Verdacht auf Unzuverlässigkeit beseitigt worden. Unter ihnen waren auch einige Wissenschaftler, die unter dem Schutz des Rüstungsministeriums gestanden hatten. Sofern sie nicht für Nemesis arbeiteten, waren sie von Himmler zum Abschuss freigegeben worden, wie er es durch seinen Kontaktmann Skorni hatte mitteilen lassen. Das war natürlich Mord, und das Rüstungsministerium sollte davon tunlichst nichts erfahren. Zielobjekte dieser Art hatte Radke dann in ihren Wohnungen oder auf der Straße liquidiert. Drecksarbeit. Aber darin war Radke gut.
Überhaupt hatte das Attentat auf den Führer ihre Arbeit erheblich erleichtert. Fast hätte Skorni sich darüber gefreut. Es eröffnete ganz neue Möglichkeiten der Einschüchterung und Ermittlung. Himmler und seine SS hatten seit dem 20. Juli im Land das Sagen und herrschten uneingeschränkt. Der Reichsleiter war Chef des Ersatzheeres. Wehrmacht und Abwehr verhielten sich daher ruhig. Zu groß war die Angst, weiter in den Sumpf der Verschwörerkreise um Stauffenberg und Beck zu geraten. SS, SD und Gestapo hatten also freie Bahn und uneingeschränkte Befugnisse. Für Skorni geradezu ideale Bedingungen.
Und natürlich für Radke. Da Kriminalpolizei, Schutzpolizei und Gestapo sozusagen verwandt waren, verliefen die anschließenden Ermittlungen zu Radkes Mordaktionen wie beabsichtigt im Sande.
Hiller aber war ein giftiger Pilz geworden. Jeder, der mit ihm in Kontakt stand, oder in Kontakt treten wollte, lief entweder Gefahr einfach zu verschwinden oder eines unnatürlichen Todes zu sterben. Das ging schnell, effektiv und ohne größere Probleme von statten. Nach der Schließung des Bergwerkes waren alle potentiellen Gefahrenquellen aus dem Weg geräumt worden. Bis auf eine, oder besser zwei.
Die eine war Familie Hiller selbst. So sehr Skorni sich auch bemüht hatte, ihre Verhaftung im RSHA durchzusetzten, war es ihm dennoch nicht gelungen. Heinrich Hiller und seine Familie waren beim Führer und Reichsführer-SS anscheinend tabu. Vater, Mutter, ein Sohn, 23, Wehrmachtsoffizier und ein weiterer, 17, Abiturient wurden nicht verhaftet. Daher blieb Skorni und seinen Leuten nur die Möglichkeit, das Haus der Hillers und dessen Einwohner rund um die Uhr zu bewachen.
Im Nachhinein hatte Skorni sich diesen Umstand als Chance eingeredet, eventuelle Agenten genau dort, bei den Hillers aufzugreifen. Wenn sie denn überhaupt dort auftauchten. Die Hillers waren der Käse in seiner Mausefalle. Brauchten die Alliierten Informationen über Fritz Hiller, dann nur dort. Das Haus der Hillers war der Zugang, der einzige Zugang zum gesamten Projekt Nemesis, und der wurde bewacht wie der Eingang zum Hades. Was er in gewisser Weise auch war.
Allerdings gab es da noch diesen zweiten Unsicherheitsfaktor, der Skorni nicht aus dem Kopf gegangen war und ihm zunehmend den Schlaf raubte. Dabei hatte es sich zunächst nach einer eher nebensächlichen Information angehört. Fast wäre sie ihm entgangen. Aber irgendein Reflex ließ ihn immer wieder darauf zurückkommen.
Kurz nach dem Gespräch mit Mannerheim, ausgestattet mit allen nur denkbaren Sonderbefugnissen, war Skorni nach Köln gereist und hatte die Hillers vernommen. Danach waren auch die Überwachungen angelaufen. Vieles von dem, was er erfuhr, war ihm schon bekannt gewesen. So, dass Frauke nicht im geringsten die Weltanschauung ihrer Eltern teilte; dass sie zwar im BDM gewesen, sich dort aber nicht allzu oft hatte sehen lassen. Stattdessen sei sie des öfteren mit „unangepassten“ Jugendlichen gesehen worden, die sich in den Parks, an Bahnhöfen und Grünanlagen Kölns herumtrieben. Fraukes Mutter hatte Skorni mit tränennassen Augen erklärt, dass sie alles unternommen hätten, das Mädchen aus diesen asozialen Kreisen zu entfernen. Was aber nicht gelungen war. Das Mädchen war, wie ihr Onkel, vom Gedanken der allumfassenden Volksgemeinschaft nicht begeistert gewesen.
Auch Karl Grewe sei vor seiner Einberufung zur Luftwaffe ebenfalls Mitglied einer solchen Jugendbande gewesen, hatte ihr Vater erklärt. Dort hätte sie den Burschen auch kennengelernt und der habe sie ihren Eltern entfremdet und sie zu einer Verräterin gemacht.
Erst als Skorni aus Lemberg zurück war, waren die Fragezeichen in seinem Kopf größer und größer geworden, und er hatte sich entschlossen, sich diese jugendlichen „Abweichler“ einmal genauer anzuschauen. Seine Unruhe lag in der Tatsache begründet, dass auch Grewe anscheinend über das S-Uran Bescheid gewusst hatte. Wenn aber Grewe, wer dann noch alles von dieser Gruppe? So hatte er sich dazu entschlossen noch einmal nach Köln zu fliegen. Nochmal auf den Busch klopfen, wie er es gern nannte.
*
Sitz der Gestapo in Köln war das sogenannte EL-DE-Haus. Ein eher unscheinbares Gebäude im neoklassizistischen Stil, erbaut von einem Goldhändler in den dreißiger Jahren. Schon während des Baus hatte die Gestapo sich dort eingemietet und den Keller als Gefängnis einrichten lassen. In den darauf folgenden Jahren hatte es sich einen einschüchternen Ruf bei der Bevölkerung erworben. Es war berüchtigt. Und es stand noch.
„Ein wirkliches Wunder, Herr Manthey, dass es nicht von Bomben getroffen worden ist.“ Skorni war wie immer erstaunt, wie sehr Köln in den letzten Kriegsjahren unter den Bombenangriffen gelitten hatte. Wie Berlin war die Stadt Ziel von Dauerbombardierungen. Um so überraschter war er, als er mit Radke vor dem EL-DE Haus aus einer schwarzen Mercedes-Limousine stieg und den unversehrten Zustand des Kölner Gestapo-Hauptquartiers feststellte.
„Ja,“ sagte Manthey, mit hoher, fast weiblicher Stimme, in der sein rheinischer Dialekt mitschwang. „Vor allem hat es seit ihrem letzten Besuch einige heftige Bombenangriffe gegeben. Dazu täglich Tieffliegerangriffe. Man könnte sagen, hier hat die Vorsehung dafür gesorgt, die Sicherheit für Partei und Staat zu gewährleisten.“
Goebbelspalaver, was der da plappert, dachte Skorni. Aber das war normal in Polizeikreisen, wenn man sich noch nicht gut kannte. Besser man kam als Hundertfünfzigprozentiger 'rüber.
„So, wie die Vorsehung unseren Führer beim Attentat geschützt hat“, grunzte Radke phrasig, mit einer für ihn ungewöhnlichen Romantik in der Stimme.
Gestapo-Kommissar Manthey aus Köln hatte seine Hände in die Seite gestemmt und blickte mit Stolz auf die Fassade des EL-DE-Haus. Skorni betrachtete ihn von der Seite. Manthey war groß, rappeldürr und erinnerte ihn seltsamerweise an ein Bambusrohr. Vielleicht lag das an der leicht gelb-bräunlichen Tönung seiner Haut. Hatte der Kerl etwa Gelbsucht? Skorni trat etwas zur Seite. Das Bambusrohr trug einen schwarzen Anzug und einen schwarzen Filzhut. Die Nase war lang und gebogen, wie die eines Raubvogels. „So wird’s wohl sein“, seufzte Skorni gekünstelt, und hoffte die fast spirituelle Stille zu beenden und weiter zu machen.
„Herr Kommissar Manthey. Ich hoffe Sie haben uns ein paar dieser Bürschchen einbestellt!“
„Ja, natürlich! Entschuldigen Sie, aber ich war gerade ein wenig abwesend. Ist wirklich ein Wunder.“
Er räusperte sich, zog seinen Hut in die Stirn. Dann betraten sie, vorbei an bewaffneten Posten, das Haus.
„Bitte folgen Sie mir meine Herren. Wir haben zwei Verdächtige gefasst und im Keller untergebracht. Mein Kollege Fink hatte damit einige Schwierigkeiten. Wir haben zur Zeit eine etwas dünne Personaldecke. Außerdem sitzen hier noch eine ganze Menge Leute in Sippenhaft. Vergeltungsmaßnahmen nach dem Attentat, Sie wissen. Aber langsam wird’s wieder ruhiger. Diese jugendlichen Kraden sind in letzter Zeit zunehmend schwerer zu finden.“
„Kraden?“
„Oh, tschuldigung. Kraden, das ist Kölsch für Asoziale, Verwahrloste. Wir haben hier mehrere Gruppen. Edelweiß-Piraten, Navajos und wie die sich sonst noch so nennen.“
Zusammen stiegen sie eine enge Treppe in den Zellentrakt hinunter, die Skorni noch vom letzten Besuch kannte. Manthey ging voran. Es roch streng nach Urin und Kot. Auch daran erinnerte sich Skorni. Manthey redete weiter.
„Diese Jugendlichen sind hier in Köln schon lange ein Problem. Schon vor dem Krieg. Da haben sie sich immer mit unserer HJ 'rumgeprügelt. Die lassen sich einfach nicht in die Volksgemeinschaft einfügen. Asoziales Pack, die. Ein paar von ihren Eltern sind Kommunisten. Da ist es kein Wunder. Von mir aus können Sie die hier alle verhaften und in den Osten bringen. Kurzen Prozess machen, Sonderbehandlung, wenn Sie wissen was ich meine. Aber auch ohne kriegen wir das Problem langsam in den Griff.“ Er blieb stehen und zog eine schwere Eisentür auf. „So, da wären wir! Den Verhörraum kennen Sie ja bereits.“
Skorni hatte das Gefühl in einen bewohnten Schuhkarton zu treten. In der Mitte stand ein einfacher Holztisch und ein paar Stühle. Sonst nichts. Auf dem Tisch Aktenordner und eine rote Kladde.
„Wenn Sie sich einlesen wollen“, sagte Manthey, nahm die rote Kladde und schwenkte sie in der Hand hin und her.
„Nein, später! Was meinten Sie eben damit, dass Sie Schwierigkeiten gehabt hätten, diese Burschen zu finden?“
Manthey legte die Kladde wieder auf den Tisch.
„Na ja. Wir jagen die Gruppen schon ziemlich lange. Sie sind eindeutig weniger geworden. Viele wurden zur Wehrmacht oder zum Arbeitsdienst einberufen. Schanzen am Westwall. Die Renitenten sind in Umerziehungslager gebracht worden. Dann gibt’s da noch die, die jetzt in Köln und Umgebung bei den Flakhelfern sind. Aber die sind nur verdächtig, zu diesen Gruppen zu gehören. Wir haben keine Beweise, dass sie tatsächlich dazugehören. Ein paar sind in den Untergrund gegangen. Wollen wohl nicht für's Vaterland kämpfen. Dann gibt's da nur noch die Pimpfe, die immer wieder von HJ und BDM gemeldet werden. “
„Was meinen Sie mit Untergrund?“, fragte Skorni nach.
„Sie haben ja bei ihrer Fahrt selbst gesehen, wie's hier aussieht. Die Stadt ist eine einzige Ruinenlandschaft. Besonders in der Innenstadt kann man sich fantastisch verstecken. Hier sind ganze Straßenzüge, Blocks, ach was, ganze Stadtviertel verwaist. Köln ist fast menschenleer. Wir hatten hier vor dem Krieg ungefähr 780.000 Einwohner. Jetzt sind es nur noch knapp 40.000. Da war es nur eine Frage der Zeit, bevor wir es hier mit allem möglichen Gesocks zu tun kriegen. Untergetauchte Fremdarbeiter. Polen, Franzosen, Italiener, Niederländer. Dazu geflohene Kriegsgefangene, Juden, Kommunisten, Deserteure ... Na eben dieser ganze Müll. Und die verstecken sich in diesem riesigen Schuttberg. Wie die Ratten. Diese Edelweiß-Piraten sind noch dazu Kölner und kennen sich gut aus. Haben Verbindungen zur Bevölkerung. Zumindest in den Arbeitervierteln, Ehrenfeld und so. Und ganz bestimmt haben sie Kontakt zu anderen Ratten. Sie stehlen Waffen und Lebensmittel, machen Wandschmierereien und der Werkschutz berichtet immer wieder von Sabotageanschlägen, die bestimmt auch auf ihr Konto gehen. Nichts großes, aber immerhin.“
„Hört sich nicht gerade nach Organisation an“, unterbrach ihn Skorni.
„Gute Organisation jedenfalls nicht. Aber wie gesagt. In der letzten Zeit greifen wir nur noch wenige. Die zwei, die wir ihnen heute liefern können ... na ja, wir wissen nicht wirklich, ob sie dazu gehören.“
„Sie wissen es nicht?“ Radke, der sich bereits an eine Wand des Verhörraums gelehnt hatte, brüllte plötzlich los. „Dann lassen Sie uns mal machen! Da reden die schon!“
„Herr Radke!“, antwortete Manthey scharf. „Das ist nicht so einfach hier. Sie können nicht mir nichts dir nichts ein verschärftes Verhör vornehmen. Diese Bürschchen sind zwar Abweichler aber nichtsdestotrotz deutsche Jungs. Es ist sowieso schwierig, bei den restlichen Volksgenossen nicht unangenehm aufzufallen. Durch den Bombenkrieg herrscht hier nicht gerade eine positive Stimmung. Köln ist nicht Berlin. Wenn Sie jetzt noch ankommen und die Söhne der Stadt verknüppeln, bis sie nicht mehr laufen können, oder Schlimmeres, dann könnte sich die Meinung hier schnell gegen uns kehren.“
„Niemand wird hier knüppeln“, beruhigte Skorni Manthey und warf Radke einen bösen Blick zu. „Wir wollen nur wissen, ob eine Frauke Hiller oder ein Karl Grewe Kontakt mit diesen Gruppen hatte. Kennen Sie die?“
„Frauke Hiller, Grewe ... hm“, Manthey blickte auf den Boden, „nein, diese Namen kenne ich nicht. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Wie gesagt. Diese Gruppen sind lose organisiert. Treffen sich mal hier, mal dort. Singen Spottlieder, hören Feindsender. Dann machen sie ab und zu Blödsinn. Wenn wir sie greifen können, oder sie bei uns angezeigt werden, laden wir sie vor, stecken sie für vier bis sechs Wochen in die Zellen, geben ihnen anschließend ein paar Ohrfeigen und lassen sie wieder frei. Wenn sie alt genug sind, kommen sie an irgendeiner Front zum Einsatz. Mit den nachrückenden Jüngeren machen wir es genauso. Das ist hier kein großes Problem. Soll ich Ihnen den Burschen jetzt bringen?“
Skorni, der sich hinter den Tisch gesetzt hatte, blickte zu Manthey herüber, der in der Tür stand. Die Klinke in der Hand.
„Ja, her damit“, sagte Skorni und war sich dennoch bewusst, dass er nichts erfahren würde. Zu wenig schien über diese Edelweiß-Piraten bekannt zu sein. Sie wurden hier eher als jugendliche Rowdys gesehen, die ab und zu über die Stränge schlugen. Aber das, was ihn wirklich interessierte, würde er nicht herausbekommen. Er hatte angenommen, dass die Gestapo Köln mehr über diese Gruppen und deren Mitglieder informiert war. Doch anscheinend hatte er es hier mit einem losen Netzwerk von unzufriedenen Unangepassten zu tun. Ohne wirkliche Struktur, ohne klar definiertes Ziel. Da war nirgends ein Brecheisen anzusetzen. Sein Bedürfnis, Nemesis komplett geheim zu halten, schien hier an Grenzen zu stoßen.
Er versuchte sich vorzustellen, wie Frauke Hiller und Karl Grewe sich kennengelernt hatten. Während eines Fronturlaub? Oder kannten sie sich schon vorher? Bei einem Treffen der Edelweiß-Piraten? Haben sie sich auch in den letzten Wochen vor ihrer Festnahme in Köln getroffen? Mit den anderen? Sie hatten den Jüngeren sicherlich viel zu erzählen. Von ihren Vorgesetzten, dem Krieg und dem unvermeintlichen Ende des Reiches.
Skorni schloss die Augen und sah sie rauchend auf einer Parkbank sitzen. Frauke, Karl, dessen Schwester und ein paar andere. Sie lungern herum. Einige stehen Schmiere und achten auf HJ-Patrouillen. Sie spielen sich auf mit ihren kleinen Verschwörungen, die sie planen. Große Klappe, nichts dahinter. So wie man eben ist, mit siebzehn, achtzehn Jahren. Dann passiert etwas Sonderbares.
Zwischen Balgen und Toben, Großsprecherei und Naivität erzählt Frauke Hiller plötzlich vom Geburtstagsgeschenk ihres Onkels und seiner Bitte, ihm zu helfen. Alle hören ihr zu. Sie sind plötzlich ganz aufgeregt. Sie wollen es den Nazis mal endlich zeigen ... Grewe ist bei der Luftwaffe, Frauke kann Segelfliegen und ist auf Borkum als Luftwaffenhelferin stationiert ...
Skorni seufzte. Hatte es sich so abgespielt? Wer war also dabei gewesen? Außer Frauke Hiller und Karl Grewe? Dessen Schwester? Wahrscheinlich. Die konnte man noch mal vernehmen. Die kleine Grewe, die hatten sie doch festgenommen. Kleine Schwestern laufen ihren Brüdern doch ständig hinterher. Skorni war sich sicher, dass sie dabei gewesen war. „Sag mal Radke? Wo haben die eigentlich die Schwester von dem Grewe nach ihrer Verhaftung hingebracht?“
Radke kräuselte die Stirn und dachte nach. Das dauerte etwas. „In das Gestapo-Hilfsgefängnis Brauweiler. Aber von dort aus weiß ich nicht. Müsste man mal nachfragen. Wir haben sie als gefährlich eingestuft. Die ist sicher schon im KZ. Und da geht’s dann immer schnell. Die kann sicher nichts mehr ausplaudern!“
Skorni legte die Stirn in Falten. Genau das war es, was er befürchtete. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, in einem Haufen Sand nach ein paar wertvollen Murmeln zu suchen. Murmeln, die mit einem Band verbunden waren. Hätte er eine dieser Murmeln, müsste er nur noch ziehen und die restlichen würden zum Vorschein kommen. Aber das war eine Frage der Zeit. Und die hatte er nicht. Die Schwester von Karl Grewe war der einzige Anknüpfungspunkt. Die hohe Stimme von Manthey riss ihn aus seinen Überlegungen.
„So, Herr Obersturmführer! Hier haben wir so eine kleine Ratte.“
Manthey war in den Raum getreten und schubste einen trotzig dreinschauenden Jungen in buntem Hemd, Manchesterhose und weißen Socken vor sich her. Radke nahm ihn in Empfang, drückte ihn auf den Stuhl und schlug ihm dann blitzschnell mit der flachen Hand ins Gesicht.
„So, Freundchen, jetzt wollen wir uns mal unterhalten!“
Skorni blickte auf und betrachtete den Jungen, der mit einem Male zitternd und bleich vor ihm saß. Er war höchstens zwölf oder dreizehn Jahre alt. Nein, dies war der falsche Weg. Das wurde ihm jetzt klar. Radke sollte es versuchen.
Wütend sprang Skorni von seinem Stuhl auf, so dass dieser an die rückwärtige Wand geschleudert wurde und verließ ohne ein Wort zu sagen den Raum. Radke und Manthey blickten ihm verwundert nach.
„Wo ist hier ein scheiß´ Telefon!“ schrie er den verdutzten Manthey an, als er an ihm vorbeiging.
„Gehen sie oben zum Pförtner. Der stellt Ihnen eine Verbindung her.“
„Und was soll ich jetzt mit dem machen?“, bellte Radke hinter ihm den stinkenden Flur entlang.
„Mach´ was du willst! Aber schlag ihn nicht tot!“, schrie Skorni und stampfte die Treppe hinauf.
Radke zuckte mit den Schultern und betrat dann grinsend wieder den Verhörraum. „Mach´ was du willst“ war sein Lieblingsbefehl.