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Kurz vor sieben Uhr steckte sie behutsam den Schlüssel in die Schließzylinder. Sachte schob sie die Tür auf und hielt inne. Irgendetwas war anders. Sie schaute sich mit zusammengezogenen Augenbrauen um, während die Tür ins Schloss fiel. Vor dem Eingang zum Bad lag ein geöffneter Rucksack. Den hatte sie noch nie gesehen. Sie ließ ihren Blick weiter wandern, hinüber zur Garderobe und entdeckte eine schwarze Lederjacke. Sie schüttelte ihren Kopf.

»Peter?!«, rief sie fragend.

Die Schlafzimmertür öffnete sich und ein schlaftrunkener Holzinger reckte seinen Hals durch den Türspalt. Sie zeigte auf den Ranzen.

»Bine, wir haben Besuch. Hast du meine SMS nicht gesehen?«

»Nein, wenn ich gewusst hätte, dass wir einen Gast haben, hätte ich mehr beim Bäcker eingekauft«, antwortete sie betrübt und schwenkte ein Papiersäckchen.

Lucas hörte Stimmen, griff sich an die verletzte Hand, die vernehmlich pulsierte und kletterte unter dem Laken hervor. Er stellte sich, einzig mit Boxershorts bekleidet in den Türrahmen. »Gu ... Guten Morgen.«

»Oh, guten Morgen«, antwortete Sabine lächelnd und musterte den Verband. »Was macht die Brandblase? Ist ihr Hausarzt zufrieden?«

»Äh, wo ... woher wissen Sie, dass ich eine Brandverletzung habe?«, erkundigte er sich erstaunt und schaute prüfend auf seinen Verband.

Peter war mit einem Schlag hellwach und folgte mit weit aufgerissenen Augen der Konversation. »Das würde ich auch gerne wissen«, mischte er sich mit einem skeptischen Unterton ein.

»Wir beide kennen uns«, gab seine Freundin keck zurück.

»Wi ... Wir kennen uns? Woher?«, erkundigte sich Lucas, dem man ansah, dass er in Windeseile seine Erinnerungen durchwühlte.

»Kennen ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich wollte damit sagen, dass ich Ihre Hand kenne ...«

Lucas runzelte seine Stirn.

»... Sie waren doch gestern am Abend am Flughafen. Sie wurden bei dem Crash verletzt und saßen an der Wand, in der Nähe des Eingangs.« Sabine genoss lächelnd seine Verunsicherung.

Der Groschen fiel. Lucas tippte sich an den Kopf. »Sie ... Sie haben meine Brandwunde versorgt. Sie waren die Ärztin – Frau Dr. Denner, wenn ich mich recht entsinne.«

»Stimmt, aber lassen Sie den ›Doktor‹ weg. Vielleicht später einmal. – Kommt ihr beiden, ich mache uns ein Frühstück.« Sie schlüpfte aus ihren Sportschuhen und verschwand in der Küche.

»Wi ... Wie klein doch die Welt ist.« Lucas schüttelte seinen Kopf.

»Komm, lass uns stadtfein machen, und anschließend müssen wir ein paar Dinge bereden. Ich habe vor lauter wirren Gedanken die halbe Nacht kein Auge zugetan.«

»O … Okay Chef. Gib mir eine Minute«, erwiderte Lucas und verschwand im Wohnzimmer. Peter vernahm die typische Melodie des Betriebssystems, wenn ein Computer herunterfuhr. Er drehte sich um und schlurfte zurück ins Schlafzimmer. Noch bevor er sein Hemd zugeknöpft hatte, gurgelte bereits Lucas im Badezimmer.

»Sunny-side-up!«, rief Peter aus dem Zimmer, als sich der Geruch von gebratenem Schinken und Spiegeleiern in seine Nase drängte. Das Prasseln aus der Pfanne überdeckte die Antwort seiner Freundin.

Am Frühstückstisch war der Flugzeugcrash Gesprächsthema Nummer eins. Vor allem der Umstand, dass sich Sabine und Peter nicht über den Weg gelaufen waren, weckte seinen kriminalistischen Instinkt. Die Unterhaltung nahm die Züge eines Kreuzverhöres an.

»Peter, es reicht!«, riss Sabine der Geduldsfaden. »Was ich erzählen wollte: Zwei der drei Leichen waren total verkohlt. Ein grausiger Anblick. Es muss an die siebzig Schwerverletzte gegeben haben. Erst um vier Uhr Früh waren alle medizinisch versorgt«, berichtete Sabine, als alle um den winzigen Küchentisch saßen.

Der Herd wurde als Beistelltischchen zweckentfremdet. Zucker, Salz und Pfeffer standen griffbereit auf der Anrichte.

»Könnten Sie mir bitte die Kaffeekanne herüber reichen?«, bat Sabine und schaute Holzinger fordernd in die Augen.

»Entschuldigung, ich habe euch gar nicht vorgestellt: Das ist Sabine, meine Freundin und er ist mein Partner, Lucas Perez – frisch wie eine Tulpe aus den Niederlanden importiert«, überspielte Peter sein Versäumnis mit einem Scherz.

»Ich bin die Sabine, Sabi oder auch Bine. Kannst du dir aussuchen. – Für einen Holländer sprichst du akzentfreies Deutsch.«

»O … Oh Gott Sabi, ich bin Österreicher. Sogar ein waschechter Wiener.«

»Lucas Perez?«

»Mei ... Mein Vater ist Katalane.«

Sabine nickte schmunzelnd. »Ich kenn mich aus. Sprichst du auch Spanisch?«

»Spa ... Spanisch und Katalan, väterlicherseits. Russisch, großväterlicherseits. Deutsch und Italienisch, mütterlicherseits. Englisch habe ich in der Schule gelernt. Und Portugiesisch können viele Spanier.«

»Ganz schön vielseitig. Väterlicherseits, mütterlicherseits und so weiter. Und alle Sprachen fließend?«

»Nei … Nein, mit dem Wiener Slang stehe ich noch immer auf Kriegsfuß«, lachte Lucas und rollte den Schinken über seine Gabel. »Peter, du wolltest mit mir reden?«

»Ich habe die halbe Nacht nachgedacht und mich gefragt, wie wir mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten könnten, dass es gestern ein Unfall war. …« Holzinger massierte sich den Nasenrücken. »... oder ob es ein Anschlag war. – Dr. Grünwald von der Wildlife-Control meinte, dass es kein Vogelschlag war. Die Flugsicherung hat die beiden Drohnenpiloten ins Boot geholt. Glaubst du, es wäre denkbar, dass der Flieger mit einer Drohne zum Absturz gebracht wurde? Ist das technisch überhaupt möglich?«

Lucas atmete tief ein und sagte langsam: »Also, ich habe einige Szenarien durchgespielt. Ich bezweifle, dass man einen Anschlag verübt, bei dem über zweihundert Menschen sterben könnten, wenn man nur einen töten will. – Aber vorstellbar ist, dass der Angriff, der Fluglinie galt. – Oder der Luftfahrtbranche. – Oder dem Flughafen. In diesem Fall sehe ich keinen Zusammenhang mit unserem Auftrag. Deshalb lasse uns die Passagierliste durchsehen. Du hattest gestern etwas von Erpresserbriefen gesagt. Vielleicht hat einer – oder sogar mehrere – einen Drohbrief erhalten. Dann müssen wir uns in die örtlichen Ermittlungen einmischen und jeden Einzelnen überprüfen.«

»Wie willst du das bis morgen anstellen?« Peter zerstach mit der Gabel die dünne Haut seines Dotters. »Die Maschine war voll besetzt. Über zweihundert Fluggäste. Wird schwierig werden, sie alle persönlich zu interviewen. Einige könnten ihre Reise sogar fortgesetzt haben und sind nicht mehr in Österreich. Die Staatsanwaltschaft müsste schnell reagieren und uns auf die Passagierlisten der AUA zugreifen lassen.« Er massierte seine Nasenwurzel.

»Fü … Für die Telefonate borgen wir uns ein paar Exekutivbeamte aus ...« Lucas lächelte und war sich der Tragweite seiner Aussage bewusst. » … Wir beginnen mit dem Organisationskomitee. Ich könnte mir vorstellen, dass wir etwas finden. Wenn nicht, umso besser. Du hast das Meeting für 10:00 Uhr angesetzt?«

Peter nickte und presste die Lippen aufeinander. »Warum bist du dir sicher?«

»Ge … Gegenfrage: Warum sollen wir den Kongress begleiten, sichern?«

»Weil sehr viel Wirtschaftsprominenz auf einem Fleck zusammentrifft. Die Teilnehmerliste liest sich wie die eines G7-Treffens. Das mit den Erpresserbriefen ist nur eine Zusatzinfo. Doch der Gedanke daran lässt mich nicht los.«

»Pe … Peter, wenn du bis morgen Gewissheit brauchst, kann ich meinen Computer ein wenig in der Weltgeschichte herumsurfen lassen. Er könnte sich Daten von den Unternehmen holen und sie einer ›Rasterfahndung‹ unterziehen.«

»Lucas!«, fuhr ihn Peter an und warf die Gabel auf den Teller. Er würgte den Bissen hinunter. »Habe ich dich soeben richtig verstanden? Du möchtest die Netzwerke der Teilnehmer hacken?« Er ließ eine Pause entstehen. »Nein und nochmals Nein. Geht das nicht in deinen Kopf hinein? Wir müssen nicht die Erpressungsgeschichten aufklären. Das ist die Aufgabe der Polizei in den jeweiligen Ländern. Wir begleiten den Wirtschaftsgipfel – sicherheitstechnisch. Mit offenen Ohren. Ich wiederhole mich: Kein Hacken! Wir halten uns an die Vorschriften!«, fuhr er ihn ärgerlich an.

»I … Ich wollte nur Zeit sparen. Zeit, die der Amtsschimmel vergeudet. Zeit, die uns fehlt, wenn sich der Verdacht erhärtet. Wenn ich etwas über Amtswege gelernt habe, dann, dass ihre Entfernungsangaben immer unter- oder übertrieben sind. Aber ich habe dich trotzdem verstanden: kein Hacken.«

»Siehst du, ich wusste doch, dass wir uns verstehen.«

Mit einem Stück Brot wischte Peter die letzten Krümel vom Teller.

»I ... Ich würde es aber nicht hacken nennen«, gab sich Lucas nicht geschlagen. »Informationsbeschaffung träfe es eher. Sag, gelten für unsere Ermittlungen die Vorgaben der EU oder die österreichischen?«

»Beides«, presste er nach kurzem Zögern hervor, doch er war sich nicht sicher.

Lucas räumte das Geschirr in die Spüle.

»Lass das, ihr müsst ins Büro«, protestierte Sabine lautstark.

»Wi ... Wie es wohl Sarah geht?«

»Ich habe gestern Abend mit ihrem Mann telefoniert und ihm alles erzählt. Er war geschockt und ist sofort zu ihr ins Spital aufgebrochen. Wir rufen ihn vom Auto aus an. Komm, es wird Zeit.«

»Gu ... Gute Idee, lass uns unser Tagwerk beginnen.«

COLLEGIUM.

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