Читать книгу COLLEGIUM. - Wolfgang Priedl - Страница 38

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In der Nacht hatte der Wind einen Zahn zugelegt. Das Tiefdruckgebiet über dem Balkan erwies sich als hartnäckig und schaufelte eine Schlechtwetterfront nach der anderen in die Stadt. Die Schneeräumdienste arbeiteten auf Hochtouren. Das Verkehrschaos war perfekt. Parkplätze Mangelware.

Als Voss, Morrison und Costa vor dem Vienna-Plaza ins Freie traten, zischte ein schmaler Schneepflug lärmend vorüber, während er den Schnee mit seinem Pflug in hohem Bogen vom Gehsteig schleuderte.

»Kann ich mitkommen?«, hörten sie Fredericas raue Stimme hinter sich.

»Warum nicht«, erwiderte Craig, ohne lange nachzudenken.

Sie stellten ihre Mantelkrägen auf und eilten durch das Schneegestöber zum Nachbarhaus. Rasch waren am Eingang die Formalitäten erledigt. Im letzten Stockwerk stiegen sie aus dem Aufzug.

Costa rümpfte die Nase.

»Modernes Gebäude, aber dieser Gestank muss sich bereits seit der Kaiserzeit hier angesammelt haben«, spöttelte er.

Oberstleutnant Holzinger begrüßte seine Gäste am Gang und bat sie ins Konferenzzimmer, wo vier Tische zu einem großen zusammengeschoben waren. Sie warfen ihre Mäntel am Ende der Tafel übereinander. Kleiderständer: Fehlanzeige. Sie setzten sich auf die brüchigen Lederbespannungen der freischwingenden Stahlrohrsessel im Bauhausstil, die bei der geringsten Bewegung knarzten und breiteten ihre Unterlagen vor sich aus.

»Danke, dass Sie gekommen sind«, eröffnete Peter das Meeting. »Bevor wir ins Detail gehen, möchte ich eine Sache abklären. Ich habe vorhin mit dem Ermittlungsleiter am Wiener Flughafen gesprochen. Er teilte mir mit, dass es sich gestern bei dem Flugzeugcrash um einen Anschlag gehandelt hat. Eine schwere Drohne wurde absichtlich in das Triebwerk gesteuert.«

Die Gäste schauten einander mit regungsloser Miene an, als wollten sie ihre Gedanken dahinter verbergen.

»Wir haben uns mittlerweile die Passagierliste angesehen und sie mit den Kongressteilnehmern abgeglichen«, setzte Holzinger fort. »Herr Voss Ihr Name steht auf der Liste. Waren Sie in dem Flugzeug?«

»Nein. Ich bin gestern Vormittag aus Frankfurt angereist und habe mein Ticket an meine Tochter weitergegeben. Sie ist eine der Toten«, antwortete Hajo, der den Tränen nahe war.

»Herzliches Beileid«, kondolierte Holzinger und kritzelte Notizen in sein kleines Büchlein.

»Wi ... Wir haben recherchiert.« Lucas schob seinen Gästen die Ausdrucke der Presseartikel zu. »Viele ihrer namhaften Teilnehmer sind Bosse großer Konzerne. Einige dieser Firmen hatten vor nicht allzu langer Zeit eine äußerst schlechte Presse. Zudem sind zwei ihrer Vorstandsmitglieder des Economy-Clubs im letzten Halbjahr ums Leben gekommen«, fasste Lucas zusammen. »Wir gehen davon aus, dass das alles in einem Zusammenhang steht. Herr Voss, Ihr Unternehmen ist in einen Abgasfilter-Skandal verwickelt. Mister Morrison, Sie haben Probleme mit der Gewerkschaft, die behauptet, dass Sie Ihre Angestellten ausbeuten würden. Und bei Ihnen ...«, Perez wandte sich an Costa, »Sie haben sich an einem Abfallbeseitigungsunternehmen beteiligt, das in Italien nicht den besten Ruf hat. Die Liste könnte ich mit einigen ihrer Mitglieder fortsetzen. Alles Presseberichte.«

»Ich möchte Sie nochmals darauf hinweisen, dass wir nicht im Namen der österreichischen Polizei sprechen«, fügte Holzinger mit Nachdruck hinzu. »Wir sind von der Europol. Sollte sich unser Verdacht erhärten, dann sind wir zuständig. Länderübergreifend.«

Craig schlug seine Mappe auf und zog die Kopien der Erpresserbriefe hervor. Er legte den Finger darauf und warf seinen Freunden einen kurzen Blick zu, als würde er sie um ihr Einverständnis bitten.

Costa nickte, worauf Morrison die Blätter dem Kriminalbeamten zuschob.

Holzinger und Perez steckten die Köpfe zusammen und lasen die Drohungen.

Lucas versetzte seinem Chef einen leichten Stoß in die Seite.

»Ist dieses hier das einzige Erpresserschreiben?«

Morrison zierte sich. »Nein. Leider darf ich solche Infos über unsere Mitglieder nicht weitergeben. Da müssen Sie sie schon persönlich fragen.«

»Wir haben ebenfalls eines erhalten«, meldete sich Voss kleinlaut zu Wort.

»We … Wer noch?«, forderte Lucas seine Gäste auf.

Nach einer kurzen Diskussion ließ sich der Amerikaner breitschlagen. Er schrieb die Namen und Firmen auf ein Blatt Papier, bei denen sich die Kriminalbeamten erkundigen sollten.

Richard Tomacic streckte seinen Kopf ins Zimmer.

Holzinger winkte ihn zu sich und zeigte auf den Platz neben ihm. »Tomacic. Ein Mitarbeiter von uns«, stellte er ihn vor.

Sie nickten einander grüßend zu.

»Wi ... Wir würden gerne auf Ihre digitalen Netzwerke Zugriff haben, um zu überprüfen, ob zwischen Ihren Angestellten Querverbindungen existieren«, versuchte sie Perez zu überrumpeln.

»Sie wollen auf unsere Datenbanken zugreifen? – Nur mit Gerichtsbeschluss.«, lehnte Costa ab. »Wir kooperieren gerne mit Ihnen, aber das würde einen Schritt zu weit gehen. Was versprechen Sie sich davon?«,

Perez fragte sich, mit wie vielen Staatsanwaltschaften er wohl verhandeln müsste, um eine gerichtliche Erlaubnis zu erhalten. Er hatte weder einen konkreten Tatverdacht, noch konnte er den Unternehmen kriminelles Handeln nachweisen.

Ein aussichtsloses Unterfangen.

Könnten ihm seine Kollegen in Den Haag weiterhelfen?

»Mi … Mister Morrison, ich brauche das Original«, forderte ihn Perez auf und schob ihm seine Visitenkarte zu.

»Das ist kein Problem. Ich lasse es Ihnen mit DHL-Express sofort zuschicken.«

Craig griff nach der Karte, stellte sich ans Fenster und telefonierte mit seiner Sekretärin.

»Unser Original ist bei der niederländischen Polizei«, mischte sich Voss ein.

»Danke. Wir werden es anfordern. – Richard, kümmerst du dich darum?«

Der Alte nickte und zwirbelte seinen Schnauzbart.

Holzinger schob den Plan des Kongresszentrums in die Mitte des Tisches. »Herr Costa, aufgrund Ihrer ...«, er zögerte einen Augenblick, als würde er nach Worten suchen. »... Andeutungen und der aktuellen Sachlage, schlagen wir Ihnen Folgendes vor: Wir postieren morgen acht Beamte rund um das Kongressgebäude. Wir setzen zusätzlich die Drohnenüberwachung ein. – Und mindestens zwei unserer Kollegen in jedem Veranstaltungsraum.«

»Damit sind wir einverstanden«, erwiderte Craig, ohne von dem Lageplan aufzuschauen.

»Okay. Dann kann ich Sie nur bitten, morgen etwas früher am Tagungsort zu sein. Sie haben meine Visitenkarte. Rufen Sie an, wenn Sie noch Fragen haben.«

Voss' Smartphone brummte.

Er nahm ab und führte ein kurzes Telefonat.

»Ich muss mich verabschieden. Ich soll Kirstins Gepäck identifizieren – für den DNA-Abgleich. Außerdem möchte ich sie sehen. Man erwartet mich in Schwechat.«

»Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Tochter sehen möchten? Es handelt sich um eine total verkohlte …«, warf Holzinger ein.

Voss zuckte mit den Schultern.

»Vorschlag. Ich nehme Sie mit nach Schwechat. Bei diesem Sauwetter wird es schwer sein, ein Taxi zu bekommen.«

»Danke«, erwiderte Voss.

»Darf ich mit?«, fragte Frederica, die das Meeting bisher schweigend verfolgt hatte, während sie Hajo ihre Hand auf die Schultern legte. »Sie war meine beste Freundin.«

Ihr Bettelarmband klimperte.

Irritiert folgten Holzingers Augen dem Geräusch. Er entdeckte ein Riesenrad mit roten Gondeln, daneben einen Eiffelturm und zuletzt einen Halbmond. ›Das habe ich doch schon einmal gesehen‹, dachte er und massierte seinen Nasenrücken. Plötzlich erinnerte er sich an die Zugfahrt von Den Haag zum Flughafen, an die junge Frau, die Claudia Bigler zum Verwechseln ähnlichsah.

»Trug Ihre Tochter einen blonden Ponyhaarschnitt?«, fragte er Voss.

»Ja. Weshalb?«

»Ich glaube, dass ich sie im Zug nach Amsterdam gesehen habe …«, antwortete Peter.

»Gut möglich.«

Sie erhoben sich.

»Welche Rolle spielen Sie?«, fragte Richard die Italienerin. »Sind Sie auch Mitglied des Economy-Clubs?«

»Nein, ich begleite meinen Vater. Eigentlich wollte ich mit Kirstin Voss den Tag verbringen, aber sie ist gestern ...« Nur mit Mühe hielt sie ihre Tränen zurück.

»Tut mir leid.« Tomacic nickte und folgte seinen Kollegen hinaus in den Korridor.

Frederico wartete, bis sie alleine im Konferenzzimmer waren. »Ich schlage vor, wir treffen uns nach Weihnachten, im Jänner in meinem Haus auf Sardinien«, schlug er seinen Freunden vor. »Bis dahin haben wir genug Zeit, um unsere Hausaufgaben zu machen. Vielleicht finden wir heraus, wer hinter all dem steckt.«

»Das ist eine gute Idee. Ich bin dabei. Willst du sonst jemanden einladen?«, fragte Morrison.

»Ja, wir brauchen einen Nachfolger für Klug. Vorschläge?«

Seine Freunde verneinten.

»Gut, dann werde ich mich darum kümmern. Rico, lass uns gehen.«

COLLEGIUM.

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