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»Damenkapellen« in der Weimarer Jazzrepublik

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Die Arbeit von Komponisten im Bereich der als »Jazz« verkauften Musik in der Weimarer Republik beschränkte sich vor allem auf Schlager und eingängige Tanzarrangements. So fasziniert sie auch von den Beispielen der durchreisenden amerikanischen Bands waren, an Jazz als eine eigene Kunstform dachte von den Musikern in jenen Jahren kaum einer. Jazz war nach wie vor Synonym für populäre Tänze wie Foxtrott oder Shimmy, es war eine stilistische Vokabel, nicht anders als Tango, Walzer, Couplet oder Chanson.

Berlin war zwar das unangefochtene Zentrum der Unterhaltungindustrie der 1920er Jahre, doch auch Hamburg und andere Großstädte hatten Revuetheater und Cabarets. Ab Ende der 1920er Jahre wurde es nicht nur für ein Ensemble vom Rang Sam Woodings, sondern auch für jene seiner deutschen Kollegen interessant, auf Gastspieltournee durch Deutschland zu gehen.62 Alle größeren Städte besaßen ein reges Nachtleben. In München etwa war das erste Konzert Lud Gluskins im Jahr 1928 so schnell ausverkauft, dass die Veranstalter angesichts der Nachfrage entschieden, die Musik über Lautsprecher auf den Vorplatz des Luitpold-Kinos zu übertragen.63 In Hamburg gab es neben dem berüchtigten Rotlichtviertel auf St. Pauli jede Menge Varietés, das Hansa-Theater im Stadtteil St. Georg zum Beispiel. In Frankfurt fanden sich das Schumann-Theater, gleich gegenüber dem Hauptbahnhof, und der Kristallpalast, der unter einem großem Panoramadach von einer alten germanischen Stadt gesäumt schien, in der Altstadt. In Bremen ging man ab 1929 ins Astoria in der Katharinenstraße, in Köln ab 1931 in den Kaiserhof. Leipzig hatte im Krystallpalast, einem spektakulären Gebäudekomplex aus Stahl und Glas, einen Saal für 1800 Menschen. Hannover hatte den Georgspalast, Stuttgart den Friedrichsbau, München das Kolosseum. Und nahezu jedes Luxushotel, das etwas auf sich hielt, ließ in seinen Ballsälen größere Orchester oder in kleineren Cabarets Trios, Quartette oder Gesangsensembles auftreten.

Der Historiker Ralf Jörg Raber hat die Frühzeit des Jazz in Essen erforscht und dabei dokumentiert, dass die Jazzmode abseits der Hauptstadt ähnlich vielfältig war wie in Berlin. Auch hier gab es ab Mitte des Jahrzehnts Besetzungen vom Trio bis zum großen Orchester, die in Cafés, Ballsälen, Cabarets oder den örtlichen Hotels auftraten. Vergleichbares ließe sich mit Sicherheit für jede andere größere Stadt in Deutschland feststellen. In Essen jedenfalls waren die meisten der großen deutschen Tanzorchester zu hören, Bernard Etté genauso wie Dajos Béla, Paul Godwin, Julian Fuhs, Efim Schachmeister, Marek Weber und andere. Ab Anfang der 1930er Jahre kamen Oskar Joost, Heinz Wehner oder die Weintraubs Syncopators zu Gastspielen in die Stadt.64

Ein Fund in Rabers Recherchen aber lässt aufhorchen. Die erste US-amerikanische Band nämlich, für die er ein Konzert in Essen nachweisen konnte, waren die Bon John Girls, eine weiße Frauen-Jazzkapelle mit 11 oder 12 Musikerinnen aus New York, die 1929 auch in Berlin und anderswo in Europa zu hören war, über die aber leider sonst wenig bekannt ist. Und auch die zweite amerikanische Band in Essen war eine Frauenkapelle, nämlich die 12 Musical Ladies unter Leitung des in Hamburg geborenen amerikanischen Bandleaders Alex Hyde. Hyde war Ende 1923 nach London gegangen, hatte dann erste Erfolge in Deutschland und brachte 1925 eine eigens in New York zusammengestellte Kapelle nach Europa, mit der er etwa in Dresden, Eisenach, Baden-Baden und anderen Städten auftrat. Tatsächlich steckte Hyde sogar bereits hinter den Bon John Girls; sie waren nach seinem Bruder benannt, der bei der William Morris Konzertagentur für die Vermarktung von Kapellen zuständig war. Die 12 Musical Ladies (oder »Alex Hyde und seine Mädels«, wie Mike Danzi sich an die Truppe erinnert65) waren also seine zweite Damenkapelle, 1930 formierte er in New York seine 22 Modern Maids, und im Dezember desselben Jahres gastierten seine 12 Modern Girls im Berliner Wintergarten und im Kabarett der Komiker. Den Bon Jon Girls folgten in Berlin die Parisian Red Heads aus Kalifornien, und für Essen dokumentiert Raber sogar noch eine dritte Damenkapelle, die der tschechische Bandleader Leo Selinsky zusammengestellt hat: die Blue Jazz-Ladies, denen unter anderem die Trompeterin Clara de Vries angehörte und die 1932 in Essen die Vorstellung der Frühjahrs- und Sommermode im Dachgartenkaffee des Warenhauses Althoff begleitete.66


Alex Hydes 12 Musical Ladies, um 1930

Solche »Damenkapellen« waren damals der letzte Schrei. Doch so ausgefallen sie dem Publikum auch vorgekommen sein mögen, waren es durchaus professionelle Musikerinnen, die in ihnen mitwirkten. Sie fanden in der Regel nicht den Weg in die Jazzgeschichtsbücher, lange Zeit nicht einmal auf Schallplatte, so dass dieser Teil auch europäischer Jazzgeschichtsschreibung weitgehend unbekannt blieb, obwohl das von Raber recherchierte Phänomen natürlich nicht auf Essen und Berlin beschränkt war. In München etwa wurde ein breiteres Publikum Mitte der 1920er Jahre erst durch Louise Gouldemond und ihre Damenkapelle für den Jazz sensibilisiert.67

Trotz der dürftigen Dokumentation bleibt festzuhalten: In den Anfangstagen des Jazz in Deutschland standen auch hier Musikerinnen auf der Bühne. Ein Beispiel ist die Pianistin Peggy Stone (geb. 1907), die in der Zeit der Weimarer Republik mit dem Klavierduo Lil und Peggy Stone auf den Kabarettbühnen Berlins erfolgreich war, 1933 erst nach Schweden, dann in die Sowjetunion ging, nach dem Krieg nach Rumänien, Israel und schließlich New York, wo sie 2009 im Alter von 102 Jahren verstarb. Stone wurde erst in den 2000er Jahren wiederentdeckt; im Jahr ihres Todes erschien ihre Biographie, die erzählt, dass die Emanzipation der Frau in den 1920er Jahren durchaus auch auf den Bühnen der Hauptstadt angekommen war. Bald aber wurde das moderne Frauenbild dieser Zeit durch die Indoktrination des Nationalsozialismus wieder zurückgedrängt, mit Auswirkungen, die bis in die 1970er Jahre hinein zu spüren waren.



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