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Die erste Jazzklasse und das Musik-Echo

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Bald machte ein Lehrbuch von Arthur Lange die Runde: Arranging for the Modern Dance Orchestra (1926). Indem er das Procedere im Whiteman-Orchester kodifizierte – die Abwechslung von großorchestralen und im dreistimmigen Satz gefassten Hot-Chorussen für drei Saxophone und für zwei Trompeten mit Posaune –, beeinflusste er die Arrangeure der großen Orchester auch in Europa stark. Whiteman selbst umriss seine Prinzipien 1926 in seiner Autobiographie: »Am wichtigsten ist es, dass sich, nachdem das Thema gespielt ist, die Instrumentierung jeweils nach einem halben Chorus ändert. Dazwischen gibt es Tonartenwechsel, für die ein vier- oder achttaktiges Zwischenspiel eingefügt wird. […] Vor vier Jahren konnte man noch einen ganzen Chorus mit nur einer rhythmischen Idee spielen. Heute muss es mindestens zwei, wenn nicht noch mehr rhythmische Ideen geben.«80

Mike Danzi beschreibt, wie Langes Methode, die diesen und andere Ansätze lehrbuchhaft niederschrieb, den Sound auch des deutschen Jazz verändert habe: »In den frühen 1920er Jahren hatten Bands wie die von Bernard Etté, Efim Schachmeister, Mitja Nikisch und andere zwar Arrangements, aber die klangen alle ein wenig wie Ouverturen – mit vielen Verzierungen und Kadenzen. Nachdem der Arthur-Lange-Stil in Europa populär wurde, entwickelten sich die Arrangements hin zu einem moderneren Ansatz, bei dem ein guter rhythmischer Beat, bessere Soli und Ensemble-Jazz-Passagen im Vordergrund standen. Mehr und mehr führte diese Entwicklung auch dazu, dass Bandleader sich ihre Arrangements quasi aufs Orchester schreiben ließen, anstatt gekaufte Arrangements für ihre jeweilige Besetzung umzuschreiben«.81 Wie Lange verstanden auch andere im amerikanischen und deutschen Musikgeschäft die Musik, die sie produzierten, ausdrücklich als moderne rhythmische Tanzmusik; mit Jazz assoziierten sie den etwas antreibenderen Hot Style, den sie höchstens als einen Baustein ihres Repertoires an Möglichkeiten benutzten, als eine Klangfarbe von vielen. Ihr Hauptaugenmerk galt bei aller rhythmischen Finesse der Betonung der dem Titel zugrundeliegenden Melodie.

Es gab mittlerweile also Bücher, es gab kritische Reflexionen, die zeigen sollten, wie man am besten an die Interpretation von Jazz herangeht, und so lag es nahe, dass sich auch Lehrer dieser Musik widmeten. Und da sich in Deutschland insbesondere die Konservatorien als die natürlichen Ansprechpartner für jedwede Jazzausbildung verstanden, ist es im Rückblick zwar erstaunlich, aber irgendwie auch verständlich, dass sich eines, nämlich Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main, der Aufgabe annahm – und damit weltweit die erste Jazzklasse an einer Musikhochschule etablierte.

Dessen Direktor Bernhard Sekles wies in einem vieldiskutierten Artikel 1927 auf die neue Jazzklasse hin, die ab Januar 1928 an seiner Schule eingerichtet werden sollte. Mátyás Seiber, ein junger, 1905 in Budapest geborener Cellist, der mit amerikanischem Jazz erstmals durch seine Arbeit als Musiker in Bordkapellen auf Ozeanriesen in Berührung kam, wurde zum Leiter der Klasse auserkoren und bekam fünf weitere Dozenten zur Seite gestellt. Gelehrt wurde Instrumentalbehandlung, Ensemble-Performance sowie Instrumentation fürs Jazzorchester. Der Unterricht, heißt es in der Ankündigung in der Neuen Zeitschrift für Musik, »erstreckt sich nicht nur auf die typischen Jazz-Instrumente, als da sind: Schlagzeug, Saxophon, Banjo, Trompete und Posaune, sondern vor allem auf regelmäßige Ensembleübungen. Späterhin soll dann noch eine Vokalklasse angegliedert werden.«82

Aus dem Jahr 1929 existiert ein Programmhinweis auf eine Rundfunkreportage über die Jazzklasse, bei der ein Repertoire angekündigt wird, das Hits aus amerikanischer Feder (»Ain’t She Sweet«, »Birth of the Blues«) genauso enthält wie Stücke von Theo Uden Masman und Eugen Henkel (einem der Studenten), aber auch Igor Strawinskys »Kleine Suite für Orchester« (wie es in dem Hinweis heißt, wahrscheinlich eine seiner beiden »Suiten für kleines Orchester«). 1930 tauchen in einer weiteren Programmankündigung einige Titel aus Kurt Weills Dreigroschenoper, Gershwins »Rhapsody in Blue« sowie Seibers eigene »Jazz-Kammermusik« mit dem Titel »Jazzolette« auf. 1932 verzeichnet das Programm ein Saxophonsolo von Rudy Wiedoeft, Stücke aus Erwin Schulhoffs »Hot Music« sowie mehrere Titel mit Gesang der offenbar inzwischen existierenden Vokalklasse, eine Parodie auf die Revelers, das Vorbild der Comedian Harmonists, mit einem Text von Joachim Ringelnatz. Und von 1932 stammt eine Aufnahme des Foxtrotts »Oh My« des »Jazzorchesters des Hoch’schen Konservatoriums«, besetzt mit Trompete, Posaune, Saxophonen, mindestens zwei Geigen und Rhythmusgruppe. Im Mittelpunkt der Aufnahme stehen Kontraste sowohl in der Orchestrierung wie auch im rhythmischen Ansatz der betreffenden Passagen. Zaghafte Improvisationsversuche sind nur in vereinzelten Breaks, einer längeren Posaunen- und einer weiteren Trompetenpassage zu hören, werden aber sofort wieder ins Ensemble zurückgenommen. Eine formale Entwicklung des gut dreiminütigen Ablaufs findet ebenso wenig statt, wie die Musiker versuchen, den einzelnen Refrains dramaturgische Bögen zu verleihen. Alles steht nebeneinander und wirkt höchstens aus der recht starren Rhythmik heraus.

Man ahnt: Es ging den Lehrern um Mátyás Seiber nicht wirklich um ein Aufheben der Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur, sondern vor allem darum, dass, wenn man schon Musiker ausbildete, man ihnen wenigstens ihr Handwerkszeug in der ganzen Breite dessen, was zurzeit gebraucht wurde, vermittelte. Nachdem die Nazis die Macht errangen, wurde die Jazzklasse geschlossen. Seiber floh nach London.

Dietrich Schulz-Köhn, der später einer der wichtigsten Jazzvermittler in Westdeutschland werden sollte, hatte von 1932 bis 1933 an Dr. Hoch’s Konservatorium studiert (wahrscheinlich Schlagzeug und Posaune). Andere Musiker, die aus der Jazzklasse hervorgingen und später eine Karriere im Jazz machten, waren etwa der Saxophonist Eugen Henkel oder der Trompeter Rudi Thomsen, seines Zeichens zugleich Vetter von Carlo Bohländer, der das Frankfurter Jazzleben nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mitprägen sollte.

Ein weiteres Indiz dafür, wie stark der Jazz in der Zeit der Weimarer Republik Teil des deutschen Musiklebens geworden war, ist die Tatsache, dass das Berliner Musikhaus Alberti im Juni 1930 mit dem Musik-Echo eine neue Zeitschrift vorlegte, die sich vor allem an Musiker, Arrangeure und Bandleader richtete und neben Tipps zu Instrumentierung und Orchestrierung auch Hinweise zur Improvisation (oder wenigstens zur »Variation«) gab.


Unbekannte Amateurkapelle, vermutlich 1920er Jahre

Eine Variante des Jazzlernens darf nicht verschwiegen werden. In der Regel verortet man das Phänomen des Amateurjazz erst nach 1945, doch bereits in den 1920er Jahren gab es Amateurbands, die sich sogar stärker als die professionellen Tanzorchester an den Aufnahmen amerikanischer Vorbilder orientierten. Der Banjospieler Ernst Höchstötter beispielsweise berichtet, dass er und andere Mitspieler bereits 1926 in München eine studentische Jazzband gegründet hätten, mit der sie Aufnahmen von Red Nichols and his Five Pennies nachspielten.83

Paul Whitemans Gastspiel im Juni 1926 ließ Schüler der Berliner Goethe-Schule sich zu einer Band zusammentun, die sich »Die weißen Raben« nannten und zuerst vor allem deutsche, mehr und mehr aber auch amerikanische Schlager spielten. In Bigband-Besetzung mit zwei Trompeten, einer Posaune, Geige, drei Saxophonen, Klavier, Banjo, Kontrabass und Schlagzeug trat die Band bald nicht mehr nur bei privaten oder halb-öffentlichen Veranstaltungen auf, sondern organisierte eigene »Weiße-Raben-Bälle«. Nach Hitlers Machteroberung verließen die jüdischen Mitglieder die Band, die in den 1930er Jahren noch überall in Berlin zu hören war, selbst in renommierten Häusern wie im Zoo-Palast anlässlich des Olympia-Balls (1936) oder im Delphi-Palast (Silvester 1939).84



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