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Man schreibt über Jazz

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Man mag sich vorstellen, dass sich im Publikum von Sam Woodings Konzerten in Berlin, Stockholm, Kopenhagen und anderen Städten Europas etliche Musiker befunden hatten, die diesen Amerikanern staunend zuhörten, diesen Musikern, die so selbstverständlich mit den Vokabeln des jungen Jazz umgingen, egal ob es sich um arrangierte Partien oder um Solopassagen handelte, die eine instrumentale Virtuosität an den Tag legten und sich in den Ensembleteilen vom Notenblatt lösten, wie dies den europäischen Kollegen kaum möglich schien. Es steckte offenbar ein Geheimnis hinter dieser Art, Musik zu machen, und man wollte alles dafür geben, hinter dieses Geheimnis zu kommen.

Der afro-amerikanische Weg des Lernens von Musik ist einer des Mitmachens, Nachahmens und Seine-eigene-Stimme-Findens. Es ist die Tradition der Kirchengesänge, des Call and Response, bei dem die Response keineswegs synchron daherkommen muss, sondern aus so vielen einzelnen Varianten bestehen kann, wie Mitglieder in der Gemeinde sitzen. Die europäische Musikerziehung setzte dagegen eher auf Lehrer und fundiertes Lehrmaterial. Und als immer klarer wurde, dass Jazz mehr als ein vorübergehender Trend der aktuellen Unterhaltungsmusik war, gab es dementsprechend bald die ersten Autoren, die seine Geheimnisse in Lehrbüchern zu enthüllen versuchten.

1925 veröffentlichte Alfred Baresel (geb. 1893) Das Jazz-Buch. Anleitung zum Spielen, Improvisieren und Komponieren moderner Tanzstücke. Das 38-seitige Heft gibt Beispiele für Takt und Tempo, für verschiedene Formmodelle, für Übergänge und Breaks. Es enthält praktische Tipps für Musiker professioneller Tanzkapellen, um neben all den anderen Moden, die sie zu spielen hatten, eben auch die Mode des Jazz darbieten zu können. Besonders wird dies dort deutlich, wo Baresel rät, dass, wenn man eine normale Tanzkapelle auf Jazzband umstelle, doch am besten der Primgeiger das Saxophon zu übernehmen habe, nicht also der Klarinettist. Führende Geigen, schreibt er, »sind ein Merkmal der Wiener Tanzmusik, nicht des Jazz«.68 Baresel war einer der frühesten Apologeten des Jazz, er hatte in einem Artikel im Hannoverschen Kurier bereits im August 1925 eine Wende prognostiziert: »Die Zeiten, da Militärmärsche mit Hilfe von Autohupen, Kuhglocken und einem wahren Geschützpark an Schlagzeug von Unwissenden als ›moderne Tanzmusik‹ ausgegeben wurden, sind Gott sei Dank vorüber.«69

Neugierige, ja sogar wertschätzende Artikel über den Jazz finden sich auch in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Musikblätter des Anbruchs vom April 1925. Der Herausgeber Paul Stefan erwähnt im Vorwort all die bekannten Vorbehalte, argumentiert aber, dass vielleicht dennoch im Jazz »der Anfang einer Revolution sein« könne. Er hofft auf einen »Triumpf des Geistes, der durch eine neue Melodie, neue Farbe spricht«, auf den »Sieg der Ironie, der Unfertigkeit, Ingrimm der Höchstegüterwahrer«, auf die »Überwindung biedermeierischer Verlogenheit, die noch allzu gerne mit Romantik verwechselt wird: Befreiung also von der ›Gemütlichkeit‹«.70

In einem der folgenden Essays wertet der amerikanische Komponist Louis Gruenberg den Jazz als »wichtigste[s] Element in der heutigen Musik Amerikas« und empfiehlt den Jazzkomponisten, sich vom Tanz zu lösen, ihn also von einer Funktions- zu einer Kunstmusik zu entwickeln.71 Der französische Komponist Darius Milhaud betont in Bezug auf die Jazzband die »Neuartigkeit ihrer Technik auf allen Gebieten«.72 Ihm immerhin ist bereits bewusst, dass Jazz auf musikalischer Kommunikation fußt und es deshalb wichtig ist, Musiker zu haben, die regelmäßig zusammenarbeiten, »wie beispielsweise eines unserer guten Streichquartette«. Milhaud war 1922 zum ersten Mal in den USA gewesen und hatte dort die ersten Jazzkapellen gehört. In seinem Artikel gibt er einen guten Überblick über das in Amerika erhältliche Lehrmaterial, beschreibt, was darin neben rhythmischen Feinheiten alles vermittelt wird. Er ist auch einer der wenigen jener Zeit, die das »improvisatorische Element« erwähnen, das der Tanzmusik »eine Lebendigkeit des Ausdrucks verleiht, wie wir sie nur bei den Schwarzen finden«.73 Der australische Komponist Percy Grainger schließlich gibt Entwarnung für all diejenigen, die im Jazz eine Gefahr sehen. Jazz, schreibt er, habe keine große Zukunft. Das Publikum liebe ihn vor allem »wegen der Kürze seiner Formen und der geringen geistigen Anforderungen an den Zuhörer«.74 Er wolle da nichts herabsetzen, die Welt brauche nun mal »volkstümliche Musik« – wie er noch jenes Phänomen bezeichnet, das wenig später Popmusik werden soll.

Auch Paul Bernhards Jazz. Eine musikalische Zeitfrage von 1927 versuchte den Jazz in die musikalischen Diskurse der Zeit einzuordnen. Bernhard beschreibt die Tänze, die man mit dem Jazz assoziiert, als eine Art »Vermännlichung der Frau«, meint, dass das Banjo in der englischen Volksmusik etwa die Rolle der Zither in der alpenländischen Volksmusik einnehme, beschreibt die Melodik des Jazz als meist banal und erklärt, die Rhythmik sei vor allem durch die Synkope bestimmt. Es ist eines der am häufigsten anzutreffenden Missverständnisse der Zeit, dass jene Offbeat-Phrasierung, die sich im Jazz findet und die schwer exakt in Notenschrift festzuhalten ist, tatsächlich Synkopen seien, bewusste Taktverschleierungen. Bernhard führt sie zudem nicht allein auf afrikanische oder afro-amerikanische Musizierpraktiken zurück, sondern auf die Rhythmik und Metrik der englischen Sprache. Er beschreibt ferner die Entwicklung des Jazz als die von einer Volksmusik zu einer musikalischen Ware. Außer dem legendären Saxophonisten und Klarinettisten Jasbo Brown, der 1915 im Café Schiller in Chicago gespielt haben soll und den er zwar nicht als den Erfinder der Musik, wohl aber als Namensgeber identifiziert, nennt Bernhard kaum Musikernamen, hebt dann jedoch Paul Whiteman als denjenigen heraus, »der als erster den Versuch gemacht hat, die Jazzband aus dem Stadium der mehr oder weniger improvisierten Tanzmusik hinaufzuführen in die Atmosphäre des symphonischen Orchesters«.75

Im Ursprungsland des Jazz wurde er publizistisch nicht anders dargestellt: Auch dort fand der authentische Jazz höchstens in Berichten über Tanzlokale Erwähnung; in den seriöseren Zeitschriften und Fachmagazinen wurde er entweder als Ragtime (also klar komponierte Salonmusik) oder über den Ansatz Paul Whitemans rezipiert, der mit seinem Aeolian Hall Concert (in dem übrigens auch die Uraufführung von George Gershwins »Rhapsody in Blue« stattfand) versuchte, das Genre als Kunst- und Zuhörmusik zu vermarkten.



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