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Erste Maßnahmen gegen den Jazz

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Schon in den 1920er Jahren hatte es offene und unterschwellige Ablehnung der Jazzmusik gegeben. Konservative Kreise waren befremdet und sahen im Jazz den Inbegriff eines ausschweifenden und ungezügelten Lebens. Die neue Musik war vielen suspekt, und die Gründe dafür waren vielfältig. Rassismus spielte natürlich eine Rolle, die grundsätzliche Furcht vor Veränderung kultureller Werte, die wirtschaftliche Situation, die alle gesellschaftlichen Schichten in Unsicherheit stürzte, die politische Agitation von rechts, die in einer Konzentration auf eigene »Werte«, aufs Nationale den Ausweg sah und in der zunehmenden Internationalisierung eine drohende Gefahr. Der Jazz war in seiner Fremdheit und in der gleichzeitigen Faszination, die er bei so vielen in der Bevölkerung auslöste, ein exzellentes Feindbild. Er war Hassobjekt, Projektionsfläche für die klischeehafte Ablehnung von allem Nichtdeutschen und Sündenbock für den generellen »Verfall der Sitten«.

Aktionen gegen den Jazz, die es bereits vor der Machtübernahme durch die Nazis gegeben hatte, nahmen also schnell zu. Anfangs setzte das Regime auf Marschmusik, von der es annahm, dass sie ähnlich mitreißend wirken könnte. Aufsätze in nationalsozialistischen Zeitungen, mehr und mehr aber auch in zuvor unbescholtenen Kulturzeitschriften lieferten feuilletonistische, pseudo-kulturwissenschaftliche oder -musikwissenschaftliche Begründungen, warum der Jazz, oder wie es gerne hieß, die »verjazzte und verjudete« Tanzmusik im neuen Zeitalter nicht mehr akzeptabel sei.96 Im Melos, einer der wichtigsten Musikzeitschriften in Deutschland, war schon 1930 Jazz als afro-amerikanische und zugleich als eine von Juden propagierte Musik verfemt worden. Da hieß es etwa: »Die Grundlagen des Jazz sind die Synkopen und rhythmischen Akzente der Neger; ihre Modernisierung und gegenwärtige Form ist das Werk von Juden, zumeist von New Yorker Tin-Pan-Alley-Juden. Jazz ist Negermusik, gesehen durch die Augen dieser Juden.«97

In seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 bezeichnete Adolf Hitler die »moralische Sanierung an unserem Volkskörper« als kulturelle Hauptaufgabe und bettete in diese insbesondere auch die Künste ein. In der Erklärung hieß es konkret: »Unser gesamtes Erziehungswesen – das Theater, der Film, Literatur, Presse, Rundfunk – sie werden als Mittel zu diesem Zweck angesehen und demgemäß gewürdigt. Sie haben alle der Erhaltung der im Wesen unseres Volkstums liegenden Ewigkeitswerte zu dienen; die Kunst wird stets Ausdruck und Spiegel der Sehnsucht oder der Wirklichkeit einer Zeit sein.«98

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels erließ am 1. November 1933 die »Erste Durchführungsverordnung des Reichskulturkammergesetzes«, die jeden Kulturschaffenden zwang, in einer von sieben Reichsfachkammern Mitglied zu sein, die Musiker eben in der Reichsmusikkammer. Ab 1935 überprüfte man alle Mitglieder und Bewerber auf ihre »arische« Abstammung; ab 1938 wurden die Namen ausgeschlossener Mitglieder in den Amtlichen Mitteilungen der Reichsmusikkammer veröffentlicht.99 Nichtarier hatten also keine Chance mehr, in einer dieser Fachkammern aufgenommen zu werden; und ohne Mitgliedschaft gab es keine Möglichkeit, den künstlerischen Beruf auszuüben. Selbst Vertragsvordrucke enthielten bald den Passus: »Vertragsschließender versichert, dass er Arier und Mitglied der Reichsmusikkammer ist.«100

Da nun die Menschen zu Marschmusik nicht tanzten und die aufkommende Swingmusik der 1930er Jahre junge Menschen ganz unideologisch begeisterte, begannen die Verantwortlichen eine Umdefinition dessen, was deutsche Unterhaltungsmusik sein und was sie nicht enthalten dürfe. Goebbels strebte eine »volksverbundene deutsche Tanzmusik« an, und da anfangs niemand wusste, was er damit eigentlich meinte, begannen Musiker der Salonorchester, die sich in den 1920er Jahren die modischen Jazzinstrumente Banjo und Saxophon zugelegt hatten, diese zumindest weniger einzusetzen. Diese Reaktion führte zu ernsthaften Absatzschwierigkeiten auf dem Instrumentenmarkt, so dass das Reichswirtschaftsministerium sich genötigt sah, einzuschreiten und einen Bescheid zu erlassen mit dem Titel »Zur Ehrenrettung des Saxophones«, in dem die Autoren beteuerten, dieses Instrument sei an der Ausbreitung »der Negermusik« völlig unschuldig. Die Zeitschrift Musik-Echo erläutert in ihrer Ausgabe vom Oktober/November 1933, in der dieser Bescheid des Ministeriums abgedruckt wurde, unter der Überschrift »Was sind Jazzinstrumente?«, dass Jazz doch nur eine Art zu Musizieren sei, einzelne Instrumente also nicht einzig für den Jazz vereinnahmt werden dürften. Es habe, wird als Beispiel angeführt, »in einer nordbayerischen Stadt« bereits »ein Verbot des Spielens auf dem Piano-Akkordeon« gegeben, obwohl dieses doch tatsächlich »eines der ältesten deutschen Instrumente« sei. Ähnlich gelagert sei die Situation bei Instrumenten wie Trompete oder Saxophon. »Keinesfalls«, heißt es weiter, »sollte man ganze Instrumentengruppen verurteilen und damit ganze Industrien vernichten, nur weil eine gewisse Art des Gebrauchs der Instrumente abzulehnen ist.«101 »Jazz, gut angewendet«, fährt der Autor fort, »kann durchaus melodisch und schön sein, hat aber nur deshalb so einen üblen Nimbus erhalten, weil man alles, was eine kleine Tanzkapelle von 2 (!) bis 6 Mann hervorzauberte, mit ›Jazz‹ bezeichnete.«102

Ein anderer Autor bemängelt in derselben Ausgabe des Musik-Echos (die übrigens auch eine glühende Konzertrezension Duke Ellingtons enthält, der mit seinem Orchester gerade im holländischen Scheveningen gastiert hatte), der Begriff Jazz werde viel zu oft falsch verwendet und sei deshalb zum »Inbegriff schlechten Musizierens« geworden; man solle das Wort lieber beiseitelassen und sich auch musikalisch auf die Qualitäten gut gespielter Tanzmusik konzentrieren. »Spielen Sie lieber«, heißt es da, »eine ordentliche Tanzmusik in einem sauberen Stil, dezent und tonrein.«103 Im Nachwort zum Bescheid des Reichswirtschaftsministeriums über die Unbedenklichkeit des Saxophons kommentiert die Redaktion des Musik-Echos dann noch das Problem der unklaren Terminologie. So genau wisse man ja nicht, was »Negermusik« oder »Jazzmusik« überhaupt sei; wahrscheinlich meinten die Ministeriellen damit »die in den vorherstehenden Artikeln bereits gegeißelte Art, schlecht zu musizieren«104.

Um also die Unklarheit aufzulösen, die allerorten darüber herrschte, was denn nun von Regierungsseite gutgeheißen und was nicht gewünscht war, beeilte sich Arnd Robert bereits in der nächsten Ausgabe des Musik-Echo, in einem Artikel, der überschrieben war mit »Moderne Tanzmusik – wie sie gespielt werden sollte!«, auch technische Hinweise zu geben.105 Insbesondere der Schlagzeuger, heißt es da, sei zwar »unentbehrlich für die Tanzmusik«, müsse sich aber in der Lautstärke und bei seinen Effekten zurückhalten und auf das Einhalten eines »richtigen Rhythmus« beschränken.

Man wollte das Volk offenbar mit Nachdruck zur »richtigen« Musik erziehen, denn in derselben Ausgabe findet man einen Artikel des Herausgebers Adalbert Schalin über »Neue Deutsche Tanzmusik« und von Reinhold Sommer einen, in dem er erklärt, wie der deutsche »Tanz der Zukunft« aussehen könne. Es sollte im Februar/März 1934 noch eine weitere Ausgabe des Musik-Echo geben, in dem ein Karikaturist vorhersagt: »1934 wird jeder Kapellmeister größten Wert auf eine kultivierte Konzert- und Tanzmusik legen – ›Det hab’ ich jern.‹«106 Arnd Robert durfte noch einmal den Einsatz des Wah-Wah-Dämpfers in Duke Ellingtons »It Don’t Mean a Thing« erklären,107 doch dann war Schluss. Der jüdische Herausgeber und Besitzer des Schallplattengeschäfts Alberti floh aus Deutschland, und das Musik-Echo musste sein Erscheinen einstellen.



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