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DIE MOSKAUER GESELLSCHAFT

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Die Angehörigen des russischen Erbadels, die Bojaren, trugen im 16. Jahr hundert lange, reich bestickte Kaftane und bedeckten ihre bärtigen Häupter mit pelzverbrämten Hüten oder Kappen.

Das Moskauer Reich war in erster Linie ein Agrarland. Nur ein kleiner Teil der Menschen war kaufmännisch oder handwerklich in den Städten beschäftigt, ein noch geringerer zählte zum Adel. Damit unterschied sich die Bevölkerungsstruktur in Russland kaum von der mittel- oder westeuropäischer Länder. Die kulturellen Einfüsse, die sich in Kleidung, Sitten und Traditionen der Russen widerspiegelten, waren zum einen von Byzanz als geistlichem Zentrum, zum anderen von den Tataren, die über Jahrhunderte die politische Herrschaft über die russischen Länder ausgeübt hatten, geprägt. Diese Unterschiede traten allerdings eher bei den Wohlhabenden zutage, die ihnen durch ein repräsentatives Äußeres und einen entsprechenden Lebensstil Ausdruck geben konnten.

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die einfachen Bauern, lebte in bedrückenden und ärmlichsten Verhältnissen und konnte kulturelle Eigenarten nur sehr begrenzt ausleben. Eine Bauernfamilie wohnte normalerweise zusammen mit ihrem Vieh in einer isba, einer mit Stroh oder Schindeln gedeckten einfachen Hütte, die von einem großen Ofen beheizt wurde. Auf diesem schlief im Winter die gesamte Familie. Ansonsten wies die isba meist nur einfache Tische und Bänke aus Holz auf, bei wohlhabenden Bauern auch noch eine Truhe, in der sie ihre Kleidung aufbewahrten. Diese bestand im Winter meist aus Jacken und Mänteln, die aus Schaffellen gefertigt waren, sowie Hosen aus grobem Tuch, im Sommer aus Tuniken und weiten Hosen aus Leinwand. Das Geschirr war meist aus Holz oder Ton gefertigt; Kessel und Pfannen aus Eisen oder Kupfer waren für einfache Bauern Luxus. Als Nahrung diente vor allem Brot und kaša, Getreidebrei. Daneben gab es viel Kohl, Gurken, Möhren und Rüben, manchmal Fisch, selten Fleisch. Neben Wasser trank man Bier oder kvas, vergohrenen Getreidesaft.

Wohlhabende Bauern sowie Handwerker und Kaufeute in den Städten besaßen in der Regel Höfe und Werkstätten und verfügten über Haushaltsgeräte aus Kupfer, Eisen und Zinn. Bei vermögenden Familien, die im possad, der Handwerkervorstadt, lebten, fanden sich auch Luxusgüter wie mit Silber und Ornamenten verzierte Ikonen. Auch Kaftane, edlere Pelze und Tuche besaßen sie als Ausdruck ihres Wohlstands. Großkaufleute in Moskau wohnten häufig in großen Steinhäusern im Viertel kitaj gorod, was wörtlich Chinesenstadt heißt, tatsächlich aber aus dem Alt-Mongolischen kommt und die Stadtmitte bezeichnet. Die Novgoroder oder Smolensker Großkaufleute lebten allerdings weiterhin in Holzhäusern, ebenso die mächtige Kaufmannsfamilie Stroganov, deren Unternehmergeist die Öffnung Sibiriens durch die in ihrem Dienst stehenden Kosakenverbände Ermaks zu verdanken war. In den Haushalten solcher überaus wohlhabenden Leute wie auch in den Häusern des Hochadels, der Bojaren und Fürsten, fanden sich zahlreiche Luxusgüter wie wertvolle Ikonen, meist auch silbernes oder gar goldenes Geschirr, orientalische Stoffe aus feinstem Material, Seide, Brokat, Samt. Auch Zobel gehörte hier zur Garderobe. Männer trugen reich bestickte Kaftane und bedeckten ihre bärtigen Häupter mit pelzverbrämten Hüten oder Kappen. Die Damen legten der Schicklichkeit halber mehrere weite Kleider aus edelsten Stoffen übereinander, um ihre Körperformen zu verhüllen. Ihre Häupter waren züchtig mit Kopftüchern bedeckt, die auch ihre Haare verbargen. Die Lebenswelten der weiblichen und der männlichen Elite – des Adels und der reichen städtischen Kaufmannsfamilien – waren vor den Reformen Peters des Großen weitgehend getrennt. Die Damen lebten in den Frauengemächern, terem genannt, zu denen die Männer keinen Zutritt hatten. Am öffentlichen Leben hatten sie kaum Anteil, ihre Ehen wurden von den Vätern, Onkeln oder Brüdern arrangiert, ihre wesentlichen Aufgaben waren die Haushaltsführung und Versorgung der Kinder sowie das fromme Gebet. Sämtliche Entscheidungsgewalt lag bei den Männern. Ein Spiegel der Sitten und Moralvorstellungen im Moskau des 16. Jahrhunderts war der domostroj, ein Hausbuch mit Umgangsregeln für die gehobene Moskauer Gesellschaft. In 64 Kapiteln gab er einen Verhaltenskodex vor, der die Ausübung christlich-orthodoxer Riten ebenso ansprach wie ordentliche Haushaltsführung, Gastfreundschaft, angemessene Kindererziehung, Führung von Dienstboten und Züchtigung von Familienmitgliedern einschließlich der Ehefrau.

In ihrem Gesamtbild zeigt sich die Gesellschaft des Moskauer Reiches als typisch vormodern, geprägt von der historischen und geographischen Lage zwischen zwei großen Kulturräumen. Gerade an dieser traditionsgeprägten Mischung nahm Peter I. Anstoß und bewertete sie als Hemmschuh für die moderne Entwicklung seines Reiches.

Das Reich der Zaren

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