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Der Pflegeprozess bildet als Konstrukt einen gedanklichen Vorgang ab, der nicht den Anspruch erhebt, gleichzeitig einen theoriegestützten Interaktionsprozess zu definieren. Um den Genesungsweg psychisch erkrankter Menschen begleitend unterstützen zu können, benötigen Pflegefachpersonen im Feld der psychiatrischen Versorgung Kompetenzen in lebensweltorientierter interaktiver Kommunikation.

Der Betroffenenbewegung ist es ein wichtiges Anliegen, dass Pflegefachpersonen neben der Behandlung objektivierbarer Krankheitssymptome die subjektive Sichtweise der erkrankten Menschen einnehmen – »verhandeln statt behandeln«, um zu einem gemeinsamen Verstehen der subjektiven Wirklichkeiten gelangen zu können. Der Literatur folgend möchten psychisch erkrankte Menschen von Pflegefachpersonen auf dem Weg zu selbstbestimmtem Handeln unterstützt werden. In diesem Zusammenhang beziehe ich mich bewusst auf die Literatur, weil auch psychisch erkrankte Menschen keine homogene Gruppe bilden. Ob sie überhaupt in einer Gruppe zusammengefasst werden können, möchte ich bezweifeln, an dieser Stelle aber nicht weiter vertiefen, weil es zu einer eigenen Abhandlung der Subjektivierung psychisch erkrankter Menschen führen würde.

Aus der US-amerikanischen Selbsthilfe- und Betroffenenbewegung ging die Recovery-Haltung hervor, die den Prozess von persönlichem Wachstum und Entwicklung zu einem erfüllten, sinnhaften und selbstbestimmten Leben beschreibt (Schrank & Amering 2007). Der Genesungsweg sollte getragen sein von Connectedness (Beziehungen, in Gemeinschaft leben), Hope (Glaube an Recovery, Motivation für Veränderung), Identity (Neudefinition des Sinns von Identität), Meaning in life (Neuorientierung, Lebensqualität) und Empowerment (Verantwortungsübernahme, Kontrolle zurückgewinnen) (Leamy et al. 2011).

Der Recovery-Ansatz, mit dem Anspruch eines singularisierten Lebensstils, ist ein Produkt der spätmodernen Gesellschaft, welches dem wissenschaftlichen Menschenbild, der standardisierten und problemorientierten Behandlung psychisch erkrankter Menschen, widerspricht. So können wir ableitend, auch im Hinblick auf die Recovery-Bewegung, von einem Weg der Entidentifizierung bzw. Ent-Subjektivierung psychisch erkrankter Menschen sprechen. Gehen wir davon aus, dass das gesellschaftliche Verhältnis die gesellschaftliche Substanz bildet, dann sehen wir in der Spätmoderne eine Substanz der Polarisierung zwischen der Standardisierung und Singularisierung. Bis auf die Akademikerklasse, in welcher der Faktor Bildung entscheidend ist, werden die Klassenunterschiede und soziale Ungleichheiten durch materielle Ressourcen bestimmt. Das gesellschaftliche Teilhaberecht der Individuen aus sozial schwächeren Klassen ist von ökonomischen Faktoren begrenzt. Die Ermöglichung der freien Persönlichkeitsentfaltung bleibt unberücksichtigt.

Die Fürsorge der Pflegepersonen, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Teilhabe psychisch erkrankter Menschen, wurde durch diskursive Prozesse subjektiviert. Das sehen wir sehr gut daran, dass Pflegefachpersonen aus dem Feld der psychiatrischen Versorgung in einem sehr breit angelegten Aufgaben- und Tätigkeitsbereich arbeiten, aber im gesellschaftlichen Diskurs in erster Linie auf die Themenfelder Aggressions- und Gewaltereignisse sowie Zwangsmaßnahmen reduziert werden. Pflegefachpersonen selbst sehen sich im Kontext von Zwangsmaßnahmen in einer Schlüsselrolle, mit der sie sich identifizieren können, weil sie wichtige Informationen zur Auslösung oder Beendigung der Maßnahme beitragen und die Maßnahmen überwachen. Sie wurden zum Subjekt und zum Objekt der Disziplinarmacht und Körperpolitik. Als Objekt der Macht haben sie die Funktion, das Verhalten der »Patienten« zu ändern.

Verstehen in der Psychiatrischen Pflege

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