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Beispiel

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Ich verlasse mein Haus für ein Wochenende und plane am Sonntag wieder in mein Auto zu steigen, um in mein Haus zurückzukehren. Dabei vertraue ich, dass mein Haus am Sonntag noch am gleichen Ort steht. Ich gehe davon aus, dass ich am Sonntag fahrfähig sein werde. Hingegen denke ich, dass meine Pflanzen im Garten nicht mehr so gut aussehen, weil der Wetterbericht ein sehr heißes Wochenende vorhergesagt hat.

Diese Sicherheit um die Gegebenheiten gibt mir mein Wissensvorrat und meine Erfahrung. Die fraglos gegebene Welt gibt mir die Sicherheit.

Auch wenn Erinnerungen eine große subjektive Bedeutung haben, verblassen sie im Verlauf des Lebens, weil sie in Bedeutungszusammenhänge eingebettet werden (Schütz & Luckmann 2017). Die potentielle wiederherstellbare Reichweite hat »[…] den Zeitcharakter der – erinnerten – Vergangenheit […].« (Schütz & Luckmann 2017, S. 73) Wenn ich an den Ort meiner Kindheit zurückkehre, stelle ich fest, dass der Garten und das Haus meiner Eltern viel größer waren.

Auf die Zukunft gerichtet und mit Erwartungen assoziiert ist die erlangbare Reichweite. Innerhalb dieser Reichweite können Handlungen, vor dem Hintergrund des erworbenen Wissens, abgewogen werden (Schütz & Luckmann 2017). Ich war noch nie auf Bora Bora, ich könnte dorthin reisen. Auch war ich noch nie in Neuseeland, ich könnte dorthin reisen. Beliebige Orte auf der Welt kann ich in meine Reichweite bringen.

Die Lebenswelt hat eine Zeitlichkeit – Gegenwart, Erinnerung und Zukunft. Das subjektive Bewusstseinserleben hingegen hat eine eigene Zeitlichkeit. Der Urlaub geht rasend schnell vorbei. Das Flugzeug hatte 15 Minuten Verspätung, mir kam die Zeit sehr lang vor.

Die lebensweltliche Zeit umfasst die subjektive Zeit des Bewusstseinsstroms, den Rhythmus des Körpers (die biologische Zeit), die Jahreszeit und die Weltzeit (Schütz & Luckmann 2017).

Die Weltzeit ist den Menschen zwangsläufig gegeben. Sie beeinflusst in ihrer Gleichzeitigkeit den lebensweltlichen Alltag. Diese Zwangsläufigkeit ist den Menschen in der natürlichen Einstellung ebenso auferlegt wie die Endlichkeit, wodurch dem Handeln Grenzen gesetzt werden. Die Weltzeit ist unumkehrbar. Situationen im Hier und Jetzt werden zur Geschichte.

Die Menschen wissen, dass ihr Leben durch den Tod endlich ist, und gleichzeitig wissen sie, dass die Welt weiter bestehen bleibt. Aus diesem Wissen heraus setzen sie ihre Prioritäten und leiten Lebensentwürfe ab, bestimmt von der Zeitstruktur und den Zwangsläufigkeiten des Alltags sowie den Ereignissen aus der äußeren Welt. Der »[…] Bereich des Bewirkbaren […], Wissensvorrat aus […] vormalig aktuellen Wirkzonen […] findet seine absolute Begrenzung in der unmodifizierbaren ontologischen Struktur der Lebenswelt, vornehmlich in der Zeitstruktur.« (Schütz & Luckmann 2017, S. 87)

Erkrankte Menschen wissen, dass sie auf den Heilungsprozess einer Erkrankung warten müssen. »Im Warten begegnen wir einer uns auferlegten Zeitstruktur.« (Schütz & Luckmann 2017, S. 84)

Zu einer für die Menschen gemeinsamen Umwelt kommt es dann, wenn sich die jeweiligen Reichweiten überschneiden. »Was für mich erlangbar ist, mag auch für ihn prinzipiell erlangbar sein, aber – angesichts der Abstufung der subjektiven Wahrscheinlichkeit und des Vermögens – wird es von ihm wahrscheinlich doch nicht erlangt werden.« (Schütz & Luckmann 2017, S. 76)

Der Theorie folgend können wir für das Pflege-Klienten-Geschehen ableiten, dass eine gemeinsam geteilte Umwelt noch keine geteilte Wirklichkeit darstellt. Aufgrund der unterschiedlichen Biographien, Erfahrungen und Erinnerungen und der jeweiligen Ressourcen zur Bewältigung des Alltags ist diese verschieden charakterisiert. Auch wenn die Pflegefachpersonen über Fachwissen und berufliche Erfahrungen verfügen, kann dieses Wissen von psychisch erkrankten Menschen nur bedingt angenommen werden.

Verstehen in der Psychiatrischen Pflege

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