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|19|AUSGANGSPUNKT I:
DIE REDE VON GOTT IN AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM SUBJEKTGEDANKEN Trinität und Offenheit Gottes Kurt Appel, Wien Problemanzeigen

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Will man heute einen Beitrag zur Gottesfrage verfassen1, der sich nicht auf die Darstellung philosophie- oder theologiegeschichtlicher Motive beschränkt, lassen sich mehrere Probleme diagnostizieren.

Das erste besteht darin, dass wir eine völlig neue Verhältnisbestimmung von Gott und Zeit vorzunehmen haben. Unser heutiges vulgärmaterialistisches Zeitverständnis rechnet mit einem (unerlösten) Verlöschen des Universums im entropischen Kältetod spätestens in Zeithorizonten von 10100 Jahren, womit jede klassische Gottesvorstellung ad absurdum geführt ist (siehe Kap. 1).2 Eine weitere Problemstellung verbindet sich damit, dass die bis weit ins 20. Jahrhundert hineinreichende Frontstellung von Theismus und Atheismus immer mehr in Auflösung begriffen ist. Dies in zweifacher Hinsicht: Erstens unterscheiden sich die verschiedenen Theismen und Atheismen untereinander so massiv, dass sie kaum mehr auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Žižek und Dawkins, um zwei bekannte Atheisten herauszugreifen, verfolgen völlig verschiedene Argumentationsstrukturen, die kaum etwas gemein haben außer der Tatsache, „atheistische“ Konsequenzen mit sich zu bringen. Ähnliches gilt auch für die Theismen, sogar innerhalb solcher christlicher Denomination. So wird es etwa extrem schwer fallen, den Gott, den Dietrich Bonhoeffer meint3, mit jenem neuscholastischer Theologien in Verbindung zu bringen. Zweitens scheint es für immer mehr Menschen unserer Zeit schwierig zu werden, sich einer der beiden Gruppen zuzurechnen. Unter den Begriff „agnostisch“, der als Alternative zur Dichotomie Theismus-Atheismus gewählt wird, fällt heute weniger jene Geisteshaltung, die meint, zu diesem Thema prinzipiell nichts aussagen zu können. Vielmehr bringt er zum Ausdruck, dass es massive |20|„Regionalisierungen“ des Glaubens und des Unglaubens gibt. Ein und dieselbe Person kann bei der Hochzeit der Kinder oder dem Begräbnis der Eltern gläubig zu Gott beten und in anderen Kontexten, z.B. einer Diskussion mit Arbeitskollegen, eine atheistische Haltung einnehmen.

Mit diesem Phänomen verbindet sich eine dritte Problemlage. Die Menschen unseres Kulturkreises, so scheint es, glauben, wenn sie nicht einem Vulgärmaterialismus folgen, heute mehr an Engel, Mächte, Energien, Übersinnliches als an Gott. Dies hängt wohl nicht zuletzt damit zusammen, dass die Theologie(n) völlig hypertroph geworden sind. Arbeitet man sich durch theologische Handbücher und Monographien der letzten Jahrzehnte durch, wird man förmlich „ertrinken“ an Gottesliebe, innertrinitarischer Harmonie, perfekter göttlicher Kommunikationsgemeinschaft, Alterität, Geltungsansprüchen usw. Kennzeichnend ist dabei, dass all diese Wörter viel zu groß und erfahrungslos geworden sind. Auf einer grundsätzlicheren Ebene ist zu diagnostizieren, dass die christliche Theologie vergessen hat, dass zumindest in ihren Heiligen Schriften Gott immer an bestimmte Ereignisse gebunden ist. Bezeichnungen Gottes wie „Gott Abrahams“, „JHWH“, „Vater Jesu“ usw. bringen eine Tatsache zum Ausdruck, die durch einen falsch verstandenen Universalismus immer mehr verschliffen wurde. „Gott“ ist, zumindest biblisch gesehen4, kein abstraktes Allgemeines, mit dem im Sinne eines Algorithmus begonnen oder geendet werden könnte, sondern ein Name, der als notwendig empfunden wurde, um kollektive und individuelle geschichtliche Ereignisse und deren Umbrüche zu deuten.

Dies bedeutet, dass die Fragestellung nach Gott nicht abgekoppelt werden kann von der Frage nach der Möglichkeit heutiger Geschichtserzählungen und Geschichtsdeutungen. Entscheidend ist, wieweit biblische Erzählungen und ihre theologischen und philosophischen Deutungen und Fortschreibungen Kategorien für ein (theoretisches, praktisches, ästhetisches) Verständnis heutigen Weltumganges bereitzustellen vermögen. Kann die Welt „offener“, vielfältiger, sensibler wahrgenommen werden unter dem Register des Gottesnamens?

Eine besondere Schwierigkeit besteht im Denken der Trinität. Rahners berühmte Formel der Entsprechung von immanenter und heilsökonomischer Trinität muss weitergedacht werden. Heute erfolgen Annäherungen an das trinitarische Gottesbekenntnis meist über den Weg ontologischer Spekulationen. „Gott ist in sich Beziehung“, lautet eine gängige Formel, aus der dann zwei Beziehungspole (Vater – Sohn) und eine Beziehungskopula (Geist) abgeleitet werden. Dabei ist schwer einsehbar, warum man, dieser Formel folgend, drei Glieder braucht und nicht bloß zwei, was ja schon Feuerbach |21|in seiner Schrift „Das Wesen des Christentums“ hellsichtig angemerkt hat5. Denn der Geist ist in diesem Gedankenkonstrukt letztendlich überflüssig, da ja Vater und Sohn schon in sich ganz auf Beziehung (oder in deutschen Landen meist auf Kommunikation) ausgelegt wären. Auf diese Weise schwindet also die Eigenbedeutung des Heiligen Geistes. Auf alle Fälle ist festzuhalten, dass theologisch gesehen das trinitarische Gottesbekenntnis den Monotheismus nicht ersetzt, sondern eine spezielle Auslegung des monotheistischen Gottes darstellt, der im Lichte des Christusereignisses geglaubt wird. Dazu kommt, dass sich gerade beim Zugang zur Trinität besonders zeigt, dass ihr Ausgangspunkt immer in konkreter Deutung von Glaubens-, Gebets-, Lese- und Geschichtserfahrungen liegen muss, sie also letztlich ihre Bewährungsprobe an der Erschließungskraft von geschichtlich-gesellschaftlichen Ereignissen hat.

Im Folgenden soll die Gottesfrage an Hand von zentralen biblischen Texten entwickelt werden. Leitfaden ist dabei das Moment der Offenheit des Seins, die in der Begegnung mit dem Gottesnamen deutlich wird. Die herangezogenen Perikopen können keiner detaillierten exegetischen Analyse unterzogen werden, sondern werden, auf Grundlage exegetischer Erkenntnis, auf entscheidende Aussagen über das Gott-Welt-Verhältnis und damit das Weltverständnis überhaupt befragt6. Begleitende philosophische Überlegungen erfolgen meist implizit, an manchen Stellen in Form von Exkursen. Die Denkbewegungen Kants und v. a. Hegels und ihre Fortschreibungen im 20. Jahrhundert (Heidegger, Merleau-Ponty, Derrida, Agamben, Bahr, Benjamin, Deleuze, Lacan u. a.) stehen allerdings im Hintergrund vieler exegetisch-theologischer Annäherungen an die Gottesfrage, ohne dass dies im Detail ausgewiesen werden könnte.

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